Unsicher starre ich auf die Kontaktliste meines Handys. Ich weiß nicht, ob ich erleichtert darüber sein soll, dass er mir letztendlich doch seine Nummer gegeben hat.
Ich bin erleichtert, weil ich ihn anrufen kann, doch gleichzeitig kommen mir mit einem Mal Bedenken.
Was, wenn die Regierung schon lange herausgefunden hat, dass Louis ein Rebell ist und mich nun auch verdächtigt.
Ich muss einen Fehler haben! Es ist nicht möglich, dass ein Rebell ein Seelenpartner wird. Es geht ganz einfach nicht. Und das ist auch der größte Widerspruch bei meiner Theorie: Rebellen verlieren die Eigenschaft, eine andere Person bunt zu sehen, wobei auch allen anderen Menschen die Möglichkeit genommen wird, sie als Seelenverwandten zu haben und somit farbig sehen zu können. Das heißt also gleichzeitig: Wenn etwas mit Louis nicht stimmt, ist auch bei mir etwas falsch.
Und das ist auch der Grund, weshalb ich Angst habe, ihn anzurufen.
Deshalb habe ich Angst vor der Regierung, denn diese würde garantiert auch etwas mit mir machen, wenn sie herausfinden würde, dass mein Seelenpartner ein Rebell ist.
Letztendlich gebe ich mir jedoch einen Ruck und rufe an. Ich muss einfach mit ihm reden, denn die Ungewissheit ist wohl die schlimmste Folter. Wenigstens will ich mir sicher sein.
Es klingelt mehrmals.
Mit gemischten Gefühlen wandere ich in meinem Zimmer auf und ab, hoffe einerseits, dass er nicht rangeht und andererseits, dass ich endlich mit ihm sprechen und ihn mit meiner Theorie konfrontieren kann.
Es klingelt noch ein weiteres Mal und ich entferne das Handy von meinem Ohr, um aufzulegen.
Erleichtert atme ich aus, aber dann höre ich seine Stimme doch noch: „Mira?"
Ich schlucke und führe das Telefon wieder zu meinem Ohr.
„Louis", sage ich monoton und lasse mich schließlich auf mein Bett sinken. „Ich muss mit dir reden, Louis."
„Alles in Ordnung bei dir?", fragt er besorgt und ich beiße mir auf die Lippe.
„Ja", murmele ich, „wahrscheinlich schon. Können wir uns in einer halben Stunde treffen?"
Eine kurze Pause auf der anderen Seite der Leitung entsteht, sodass ich fast glaube, er hätte mich nicht verstanden, doch dann antwortet er: „Klar. Wo?"
Ich zögere.
„Bei Madison's", meine ich darauf.
Es ist der erste Ort, der mir eingefallen ist und irgendwie passend. Dort, wo ich ihm so viel über mich erzählt habe, werde ich nun auch etwas über ihn erfahren.
Genau eine halbe Stunde später stehe ich vor dem kleinen Café, das heute gut besetzt ist.
Es ist kälter geworden, weshalb ich mich fröstelnd tiefer in die Jacke kuschele.
Ich muss nicht lange warten, bis er neben mir steht.
Durch seine langen Ärmel kann ich das Mal natürlich nicht sehen, aber auch so bin ich mir sicher, dass er wieder einen Verband trägt.
Und mit einem Mal kommen mir die ganzen Farben, die auf mich trotz allem noch in voller Pracht einwirken, eher bedrohlich als schön vor. So viel Unbekanntes auf einmal überfordert mich geradezu.
Er schenkt mir ein strahlendes Lächeln und breitet die Arme aus, um mich kurz zu drücken, doch ich schiebe ihn leicht von mir. Ich will ihn nicht umarmen, nicht, wenn es sein könnte, dass er ein Rebell ist.
Verwundert legt er die Stirn in Falten und sieht mich fragend an.
Ohne mich zu erklären, gehe ich voraus.
„Lass uns reingehen", meine ich so fröhlich ich nur kann und öffne die Tür, woraufhin die Glöckchen über dem Eingang leise zu klingen, anfangen.
Ich halte auf einen Tisch mittig im Raum zu, wo ich gut im Blickfeld der anderen Cafébesucher – meist junge Pärchen – bin. Mir wäre unwohl dabei, mit Louis allein sein zu müssen.
Zögerlich folgt er mir, nimmt mir dann höflich die Jacke ab und hängt sie an die in der Ecke stehende Garderobe.
„Was gibt es denn so Dringendes?", fragt er neugierig, setzt sich mir gegenüber und lächelt.
Er sieht wirklich unschuldig aus. Keiner würde einen hübschen jungen Mann wie ihn wohl als Rebell verdächtigen, doch der Teufel ist bekanntlich ein Eichhörnchen, er lauert dort, wo man ihn am wenigsten erwartet.
„Einen Apfelstrudel, bitte", bestelle ich und lenke damit vom Thema ab.
Ich bin heute nicht in der Stimmung, etwas Neues auszuprobieren.
„Und ein Glas Wasser", fügt Louis hinzu.
Da ist es schon wieder! Dieser kleine Hinweis darauf, dass er anders sein könnte.
„Und jetzt: Was ist denn los?", will er nochmals wissen und ich spiele nervös an der karierten Tischdecke herum.
„Was hast du an deinem Arm gemacht?", frage ich ein weiteres Mal und er sieht mich nun schon etwas prüfender als zuvor an.
Seine gute Laune ist verflogen und hat einem ernsten Gesicht Platz gemacht.
„Nichts Besonderes", erklärt er mir, aber das ist nicht das, was ich hören will. Schon wieder weicht er meinen Fragen aus.
„Ich will es wissen!"
Er schnaubt genervt.
„Es ist privat, Mira", grummelt er.
Ich sehe ihn aus zusammengekniffenen Augen an.
„Du schuldest mir übrigens noch Geld", bemerke ich spitz. Dass ich eigentlich gesagt hatte, ich würde ihn einladen, ignoriere ich dabei. „Beim letzten Mal, als wir hier waren, musste ich für uns beide bezahlen."
Er starrt mich einen Moment lang fassungslos an, bis er sich wieder gefasst hat.
„Ja, richtig", stimmt er zu, räuspert sich und sucht seine Taschen ab.
„Mein Portemonnaie ist in der Jacke", entschuldigt er sich schließlich und nickt zur Garderobe hinüber.
Ich kneife die Augen nur noch enger zusammen.
„Du hattest keine Jacke an, Louis", zische ich.
Was für ein Lügner er doch ist!
„Ach ja, richtig", murmelt er verlegen. „Es ist trotzdem in der Jacke. Ich habe es vergessen."
„Was verheimlichst du mir?", fauche ich ihn wütend an. „Vielleicht etwas unter deiner Armbinde, was du lieber nicht zeigen möchtest? Oder die Tatsache, dass du kein Geld hast?!"
Nun ist er völlig verwirrt. „Worauf willst du hinaus?"
„Nun", rufe ich aufgebracht, „vielleicht darauf, dass du ein verdammter Rebell bist und es die ganze Zeit vor mir geheimgehalten hast!"
Es ist still geworden im Café. Die Leute starren Louis und mich ängstlich an.
Wütend springe ich auf.
„Wir gehen", bestimme ich, greife nach meiner Jacke und stürme hinaus, ohne darauf zu achten, ob er mir folgt.
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Die Dinge, die sie nicht sehen || l.t. ✓
FanfictionWATTYS WINNER 2020 ❝ I figured it out from black and white. ❞ ©2018, neliery und Moenqueen Mira lebt in einer Welt aus Schwarz und Weiß. Sie kennt keine Farben. Doch eine Person, irgendwo dort draußen, nur eine einzige Person, die darauf wartet, gef...