1st flashback

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Der kleine Junge mit den verwuschelten Haaren keuchte atemlos, als er über den Schulhof sprintete. Seine Schultasche baumelte über seiner rechten Schulter und das Hemd seiner Schuluniform war falsch geknöpft.

Hastig stürmte er in das Gebäude hinein und sah sich einen Moment lang gehetzt um, da er sich unsicher war, in welchem Raum er Unterricht hatte.

Schließlich hatte er die Orientierung wiedergefunden, sprintete den engen, schon lange leeren Gang entlang und klopfte mit seiner kleinen Faust mehrmals gegen die Tür am Ende des Flures.

Erschöpft stemmte er die Arme auf die Knie und rang kurz nach Luft, doch schon wurde die Tür geöffnet und ein älterer Mann mit dünnem Haar und einer Halbmondbrille bedachte ihn durch seine Gläser mit einem strengen Blick. Seine Nase ging leicht nach unten und verlieh ihm Ähnlichkeiten mit einem Vogel ein Habicht vielleicht.

„Louis Tomlinson", empfing er ihn streng und zog die hellgrauen Augenbrauen beim Anblick der unordentlich geknöpften Uniform empor. „Wieder einmal zu spät."

Der kleine Junge keuchte, richtete sich dann jedoch auf und versuchte vergeblich, seine Haare mit der Hand ein wenig zu richten, während er das Kinn in die Höhe reckte und sich gerade hinstellte, die Füße nebeneinander und mit hinter dem Rücken verschränkten Armen.

Unter dem strengen Blick seines Lehrers sackte er allerdings bald schon wieder in sich zusammen.

„'Tschuldigung", murmelte er geschlagen und versuchte, sich an dem Älteren vorbei zu quetschen, doch dieser hielt ihn an der Schulter fest.

„Wie bitte?"

Der junge Louis blieb stehen, sah jedoch immer noch weiter nach vorne, bis er auch schließlich das aufgab und dem Mann ergeben in die Augen sah.

„Entschuldigen Sie, Sir", meinte er klar und deutlich, aber ohne jegliche Spur von Enthusiasmus in der Stimme.

„Setzen", befahl sein Lehrer streng, murmelte jedoch leise vor sich hin: „Was soll nur aus dir werden, mein Junge?"

Doch Louis Tomlinson wusste, was aus ihm werden würde. Er hatte es schon seit dem ersten Tag in der Schule gewusst, seit seine Füße unter dem kleinen Schreibpult gestanden hatten und der Lehrer vorne strenge Anweisungen gegeben hatte. Er hatte schon immer gewusst, dass er in dieses System nicht reinpasste. Und er wusste es auch jetzt.

„Wir nehmen heute das Thema Rebellen durch", kündigte sein Lehrer währenddessen vorne an und ging im Raum auf und ab.

Er bediente einen kleinen Projektor im vorderen Teil des Klassenzimmers und legte eine Folie darunter, die durch seine kleine, unleserliche Schrift mehrere Punkte auflistete.

Das Gerät summte leise und Louis kniff die Augen zusammen, um die Wörter enziffern zu können.

„Rebellen", begann der hakennasige Mann vorne derweil seinen Vortrag, „sind Menschen, die sich nicht in die Gesellschaft einfügen. Bei der Auswahl wird ihnen keine Arbeit zugewiesen. Sie sind ..." Er stockte kurz, räusperte sich und sprach dann weiter: „Abschaum. Menschen, die unsere Gesellschaft zerstören wollen. Familienangehörigen wird befohlen, jeglichen Kontakt abzubrechen. Es verstößt gegen unsere Verhaltensregeln, jemanden zu töten. Daher erhalten sie einen Wohnort in einem ihnen zugewiesenen Bereich der Stadt."

In der Klasse wurde getuschelt.

Jeder wusste, dass sich niemand freiwillig in den abgezäunten Bereich am Stadtrand wagte, in dem die Rebellen wohnten.

„Ruhe!", schallte die Stimme des alten Mannes.

„Rebellisches Verhalten macht sich schon früh bemerkbar", belehrte er sie dann. „Sie sind Rabauken, Raufbolde, Schwätzer, Verhaltensauffällige und", sein Blick bohrte sich über die halbmondförmigen Brillengläser hinweg direkt in Louis' Augen, „Zuspätkommer."

Der Jüngere schluckte, doch er hatte es ohnehin schon gewusst. Er war eben nicht wie die anderen.

„Rebellen sind unhöflich und wollen sich nicht anpassen. Sie lehnen sich gegen unsere Regeln auf."

Das stimmte nicht. Louis hatte versucht, alles richtig zu machen. Schon seit der ersten Schulstunde hatte er versucht, es den Lehrern recht zu machen. Er hatte sich gemeldet und fleißig die Hausaufgaben erledigt, doch war es nie genug gewesen, so wie es schien.

Auch heute morgen hatte er wirklich versucht, pünktlich zu sein, doch dann war seine Schwester gekommen und hatte etwas von ihm gewollt. Er hatte sie nicht enttäuschen können, deshalb hatte er ihr geholfen, bevor er das Haus verlassen hatte. Es waren nur fünf Minuten gewesen, doch diese fünf Minuten hatten ausgereicht, um knapp zu spät zu kommen und eben gerade dann zu erscheinen, wenn der Unterricht begonnen hatte.

Er war eben nicht genug. Egal was er tat, ganz gleich, wie er sich bemühte, Louis Tomlinson wurde immer als Faulpelz, Dummkopf oder eben Zuspätkommer bezeichnet.

Währenddessen hatte der Lehrer vorne die Folie gewechselt.

Nun war an die Wand das Bild eines Armes geworfen worden, an dem sich unverkennbar ein dunkles Zeichen absetzte.

„Daran könnt ihr sie erkennen", erklärte der Mann seinen Schülern und deutete mit dem Zeigestock auf das Mal. „Das Zeichen wird ihnen tätowiert, als Kennzeichen der Auflehnung und Warnung für alle unschuldigen Bürger. Kurzum, damit sie daran erinnert werden, dass sie Verbrecher sind."

Der Junge mit den verwuschelten Haaren und dem falsch geknöpften Hemd schluckte. Er merkte, dass seine Hände schwitzig wurden und wischte sie heimlich an seiner Hose ab.

Er hatte Angst vor den Schmerzen, die mit dieser Prozedur auf ihn zukommen würden.

„Daran erkennt man ja auch Ihre Kinder!", rief ein Mädchen aus der letzten Reihe rein, Finja.

Sie würde ebenfalls als Rebell enden, da war Louis sich sicher.

Der Lehrer fuhr herum.

Ohne lange zu zögern, durchquerte er den Raum mit wenigen langen Schritten, holte aus und gab dem hellhaarigen Mädchen eine schallende Ohrfeige.

In der Klasse herrschte nun absolute Stille.

„Wag es ja nicht, noch mal ein Wort über meine Söhne zu verlieren", knurrte er aufgebracht, doch Louis meinte ein verräterisches Glitzern in seinen Augen zu erkennen, das der Lehrer jedoch eilig wegblinzelte.

„Ich sehe schwarz für euch", prophezeite er dann. „Für dich, Finja, und für unseren feinen Mr Tomlinson."

Angesprochener senkte den Blick und sah auf seine Hände.

Er wusste es.

Die Dinge, die sie nicht sehen || l.t. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt