44th chapter

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„Viel Glück", murmele ich Louis mit fahlem Gesicht zu. Mittlerweile bereue ich meine letzte Mahlzeit, weil sich mein Magen bei dem Anblick des Regierungsgebäudes umdreht. Mein Mund wird trocken und ein dünner Schweißfilm legt sich auf meine Stirn, während ich auf meiner Unterlippe herumkaue.

„Wir treffen uns bei mir", meint Louis mit einem zuversichtlichen Ton in seiner Stimme, den ich ihm nun aber nicht mehr ganz abkaufen kann. „In ein paar Stunden wird Dave wieder sicher bei uns sein. Und in ein paar Stunden sehen wir uns wieder." Er verschränkt unsere Hände miteinander und haucht mir einen Kuss auf die Lippen. „Sei vorsichtig, Mira."

Noch einmal versuche ich mir seinen Anblick zu merken. All diese wunderschönen, unbeschreiblichen Farben ...

„Ich liebe dich", wispere ich, da ich meiner Stimme nicht traue und löse unsere Hände voneinander.

„Ich liebe dich mehr", antwortet er, bevor er mich gehen lässt.

Mit wackeligen Beinen stolpere ich zum Eingang. Auf den ersten Blick ist keine Bewachung zu erkennen, aber die Sicherheitskameras haben mich sicherlich bereits gescannt. In irgendeinem Büro wird nun eine Alarmleuchte blinken, die anzeigt, dass eine gesuchte Person auf einem der Überwachungssysteme entdeckt wurde.

Das Herz sackt mir in die Hose als eine streng aussehende Frau in Hosenanzug auf mich zugelaufen kommt.

„Mira Maxwell?", meint sie fragend, doch sie weiß genau, wer ich bin. Ich sehe es ihr an. Ich bin die rebellische Tochter ihres Vorgesetzten.

„Es ist wichtig", plappere ich los, „ich muss mit meinem Vater reden. Es muss eine Versammlung einberufen werden!"

„Ich denke nicht, dass Sie in der Position sind, Anweisungen zu geben", unterbricht sie mich, doch ich schüttele panisch den Kopf. Irgendwie muss ich es schaffen, die Wachen für einen Augenblick abzulenken, damit Louis und seine Leute hineinschleichen können. Wenn sie das System erst einmal sabotiert haben, dürften sie einige Minuten lang Zeit haben, bevor man ihre Absichten vorausahnen könnte.

„Nein, lassen Sie mich", fahre ich die Frau an, als diese mich an meinem Arm berührt.

Alleine haste ich los und sehe aus dem Augenwinkel, dass sie unauffällig Verstärkung anfordert. Gut so, je mehr Leute mit mir beschäftigt sind, desto weniger können die Rebellen bemerken. Ich weiß, wo sich die Sicherheitszentrale befindet. Mein Vater hat mich früher manchmal mitgenommen.

Mit lautem Gepolter stürze ich in den Raum, in dem etliche Monitore und Sensoren alles protokollieren, was im Gebäude abläuft. Ich kann mein Glück kaum fassen, als ich dort bekannte Gesichter sehe. Diese Leute hat mein Vater schon einmal zu uns eingeladen. Sie erkennen mich und ihre Augen weiten sich ungläubig.

„Mira?", fragt einer von ihnen perplex.

„Bitte, ihr müsst mir helfen!", meine ich, obwohl ich selbst nicht einmal weiß, um was ich sie bitten will. Mein Plan hat sich auf 'Sicherheitsleute ablenken' beschränkt. 

„Du bist verwirrt, Mira", sagt er und steht auf. „Weiß dein Vater, dass du hier bist?"

Er kommt langsam auf mich zu, als wäre ich ein wildes Tier, das in jedem Moment fliehen könnte. Offensichtlich ist bekannt, dass ich gesucht werde, aber sie versuchen, es zu verbergen.

„Nein, nein, bitte", murmele ich.

Auf einem der Monitore sehe ich Louis und ich beginne gleichzeitig mit dem Aufleuchten der Warnlampe zu schluchzen. Es klappt, die Aufmerksamkeit liegt auf mir.

„Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich bin kein Rebell, das bin ich wirklich nicht!", spiele ich das Theater weiter.

Mit einem lauten Knall öffnet sich die Tür. Zwei Männer in Anzügen kommen auf mich zu und packen mich an beiden Armen, um mir diese schmerzhaft auf den Rücken zu drehen.

„Nein!", rufe ich noch einmal.

„Tom", fällt mir der Name einer der Männer ein, „bitte, lass das nicht zu, Tom! Lass nicht zu, dass sie mir die Spritze geben!"

Die beiden sind sichtlich verwirrt durch mein Auftreten und ich bete darum, dass es ausreicht. Louis und seine Leute müssen das Sicherheitssystem außer Gefecht gesetzt haben, bevor der Einbruch auffällt.

„Lasst mich mit meinem Vater reden", verlange ich. „Ich werde mich stellen!" Dieser Satz sorgt dafür, dass sie alle stocken. „Ich werde mich stellen", wiederhole ich, etwas ruhiger, und schlucke. „Wenn ich mit meinem Vater reden darf, werde ich mich nicht gegen die Spritze wehren. Aber lasst mich mit ihm reden."

Das ist die einzige Möglichkeit, den Rebellen weiterhin zu helfen. Meinem Vater werden Probleme jeglicher Art mitgeteilt, also werde ich erfahren, falls sie entdeckt worden sind und kann mir im Notfall spontan etwas einfallen lassen.

Die beiden Männer, die mich an den Armen festhalten, reden nicht. Trotzdem weiß ich, dass sie mich zu meinem Vater bringen werden. Selbst als Bald-Rebell habe ich das Privileg, Tochter eines angesehenen Mannes zu sein und das sorgt in einer Gesellschaft wie unserer für Respekt. Eine weitere Sache, die ich nie hinterfragt habe, obwohl sie schon immer ungerecht war.

Den ganzen Weg bis zum Büro meines Vaters sind meine Gedanken bei Louis. Haben sie es geschafft, das Gebäude unbemerkt zu betreten? Haben sie Dave möglicherweise sogar schon gefunden? Ich hasse das Gefühl, unwissend zu sein.

Auf den Anblick meines Vaters, der in seinem großen Bürostuhl vor dem edlen Mahagonischreibtisch sitzt, bin ich trotz allem nicht vorbereitet. Er ist noch immer mein Dad, der Mann, der mich aufgezogen hat. Vielleicht hatte er nicht immer die richtigen Einstellungen, aber er hat mir von Anfang an seine unbegrenzte Liebe geschenkt. Und ihn werde ich nun enttäuschen.

„Mira", sagt er nun sanft. „Meine allerliebste Tochter. Du hast dich also doch noch für den richtigen Weg entschieden."

„Dad", erwidere ich und schlucke. „Es tut mir leid."

Eine Träne kullert meine Wange hinunter. Doch was für ihn ein Geständnis meiner Schuld ist, ist für mich eine Entschuldigung dafür, dass ich ihn schon wieder enttäuschen werde.

Die Dinge, die sie nicht sehen || l.t. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt