7th chapter

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„Ich gehe hier nicht weg, Louis", sage ich trotzig und recke das Kinn in die Höhe. „Ich komme mit dir, ob du es willst oder nicht. Der einzige Grund, warum ich hier bin, ist, dass wir Zeit miteinander verbringen sollen. Du hast es doch genauso gut in der Schule gelernt wie ich: Wir sind füreinander bestimmt und sollen uns in der ersten Woche besser kennenlernen."

Er starrt mich für einen Moment entgeistert an. „Mensch, Mira, warum kapierst du es denn einfach nicht?! Meine Freundin ist krank und ich möchte gerne zu ihr, um ihr Medizin zu bringen. Und ich kann dich dort absolut nicht gebrauchen! Ich habe auch nicht damit gerechnet, dass das alles jetzt passiert, aber wir können wohl beide nichts daran ändern. Allerdings möchte ich mein Leben trotzdem noch weiterführen können!"

Ob wir wirklich füreinander bestimmt sind, wage ich in diesem Moment zu bezweifeln, denn er scheint ja nicht sehr begeistert davon zu sein.

Aber es ist, wie es ist und die Regierung macht keine Fehler, deshalb seufze ich nachgiebig und versuche, ihm eine weitere Chance zu geben.

„Hör mal, Louis", meine ich und probiere es diesmal auf die sanfte Art und Weise. Die ganze Motzerei bringt uns ja auch nicht weiter, „es ist alles ein bisschen viel auf einmal. Das verstehe ich auch, aber es lässt sich eben nicht ändern. Wir werden unser ganzes restliches Leben miteinander verbringen und sollten uns langsam daran gewöhnen. Ich wollte deine Freundin doch so oder so kennenlernen und es macht mir auch nichts aus, dass sie krank ist. Du hast lediglich etwas gegen Erkältung gekauft, also komm mir bitte nicht mit etwas wie 'Es ist hochansteckend'. Ich weiß, dass es das nicht ist. Vielleicht wird sich deine Freundin ja sogar freuen, die zukünftige Frau ihres besten Freundes mal zu treffen!"

Wieder sieht er mich einige Sekunden lang sprachlos an, bis er schließlich in erzwungener Selbstkontrolle durchatmet, die Hände zu Fäusten ballt und wieder zu mir sieht. „Mira. Meine Freundin hat nichts Hochansteckendes, aber ich will dich nicht dabeihaben. Lass mich doch einfach in Ruhe, okay? Irgendwann anders kannst du mich nerven, aber nicht jetzt. Geh doch einfach zurück in deine Luxusvilla und heul in deine Geldscheine, oder was auch immer du sonst tust. Mich interessieren die banalen Fakten über dich nicht die Bohne und ich habe auch keine Lust, mir ständig wie in einem Verhör vorzukommen, weil ich jede deiner dummen Fragen beantworten muss und ich möchte jetzt echt gerne einfach, dass du verschwindest. Verstanden?"

Ich blinzele einige Male verwirrt.

Meine Unterlippe beginnt zu zittern und ich beiße auf sie, um sie zu stoppen.

„Das ...", beginne ich mit bebender Stimme und merke gleichzeitig, dass mir Tränen in die Augen steigen, „... war einfach nur asozial."

Ich fange an, zu schluchzen und drehe mich zur Seite, um ihm nicht ins Gesicht blicken zu müssen.

Es kommt mir erniedrigend vor, ich will aufhören, mich wie ein kleines Kind zu benehmen und presse mir die Faust vor den Mund, in der Hoffnung, das Schluchzen damit ersticken zu können, aber immer mehr Tränen füllen meine Augen, verschleiern meine Sicht und tropfen mir auf die Wange.

Er ist derjenige, auf den ich mein ganzes Leben schon gewartet habe. Auf den ich mich gefreut habe, seit ich alt genug war, um zu verstehen, was eine Seelenverwandtschaft bedeutet. Der Grund, weshalb ich manchmal kaum einschlafen konnte, aus Vorfreude und gleichzeitig einem winzigen Fünkchen Angst, er würde niemals kommen.

Ich wünschte, er wäre noch nicht gekommen. Denn dieser beschissene Mann vor mir, mit dem ich mein restliches Leben verbringen, eine Familie gründen und Kinder bekommen soll, nimmt mich nicht in den Arm, weil ich weine.

Nein, er ist der Grund dafür, dass ich es tue.

Unbeholfen steht er da und sieht mir ganz einfach beim Heulen zu, während sich einige Leute schon nach mir umdrehen und mir komische Blicke schenken.

„Hier", sagt er irgendwann bedrückt und hält mir eine Packung Taschentücher, die er eben in der Apotheke bekommen hat, hin, ohne mich anzusehen.

Wütend schlage ich sie ihm aus der Hand. Er kann meinetwegen sonst wohin gehen.

Selbst seine Farben sind im Schleier der Tränen nicht mehr ganz so attraktiv wie vorher, sondern wirken ein wenig zu grell in der sonst fast tröstlichen Welt aus Grautönen.

„Mira, ich ...", stammelt er betreten und beißt sich auf die Innenseite seiner Wange.

„Geh weg!", schreie ich ihn an.

Er guckt etwas hilflos durch die Wäsche.

„Na los, verschwinde!", fordere ich ihn noch mal auf. „Dann geh zu deiner Freundin und bring ihr ihre Medizin. Hauptsache, ich muss dich nie wieder sehen!"

„Verdammt, es tut mir leid, Mira", murmelt er kleinlaut und sieht sich unbeholfen um.

„Es interessiert mich nicht!"

Er presst die Lippen aufeinander. „Das war nicht fair, was ich gesagt habe. Ich ... ich bin nur in letzter Zeit ein wenig neben der Spur, weißt du?"

„Neben der Spur", wiederhole ich verachtend. „Das gerade eben klang aber ziemlich sicher."

Ich schniefe, wische mir die Tränen weg und versuche, nicht ganz so schäbig auszusehen, wie ich mich gerade fühle.

Er bläst die Backen auf.

„Es tut mir wirklich leid. Ich weiß, ich bin ein Arsch, aber ich meinte es wirklich nicht so!", beteuert er.

„Warum willst du dann nicht, dass ich mitkomme?", frage ich mit heiserer Stimme.

„Es ... es geht wirklich nicht", seufzt er. „Ich weiß, dass ich nicht in der Position bin, jetzt auch noch Bedingungen zu stellen, aber könntest du es dabei vielleicht einfach belassen? Es ist privat ..."

Ich nicke langsam.

Schämt er sich etwa für mich?

„Wir machen was anderes zusammen, okay?", meint er aufmunternd und ich nicke erneut.

Ich will ihm in seiner Privatsphäre nicht zu nahe treten, aber langsam habe ich das Gefühl, dass er mir etwas verschweigt. Nur was, ist die Frage ...

Die Dinge, die sie nicht sehen || l.t. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt