Kapitel 2

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Es waren, seit meiner Entlassung, nun drei Tage vergangen. Viel war nicht passiert, nur dass meine Eltern mir meine neue Schule gezeigt hatten, ich meine Tasche ausgeräumt habe und ich über so einiges nachgedacht hatte.

Die Schule war in etwa 20 Minuten von meinem zu Hause entfernt (zu Fuß). Mit dem Auto war man um Einiges schneller da, aber ich würde laufen, da ich Busse hasste und meine Eltern frühs zur Arbeit mussten.

Das Ausräumen der Tasche war auch keine große Sache gewesen: abgesehen von ein paar Klamotten, meinem Handy samt Zubehör und Waschzeug hatte ich in der Psychiatrie nicht viel gehabt.

Meine Eltern bestanden deshalb darauf, dass ich nächste Woche in die Stadt ging und mir Klamotten kaufen solle sowie irgendwas, was mir gefallen könnte.

Viel gabs da aber auch nicht.

Das Einzige, was wirklich mit leichtem Aufwand verbunden gewesen war, war das Nachdenken. Ich hatte darüber nachgedacht, wie ich mich in der Schule zurechtfinden würde. So viele Menschen.. so viele fremde Menschen.

Klar, ich galt als "geheilt", aber ich wusste es besser: in mir waren noch immer dieselben Ängste und Phobien, wie noch vor zwei Jahren, mit dem Unterschied, dass sie nur noch für mich "sichtbar" waren. Denn sie waren in mir und ich hatte gelernt durch meine Fassade unantastbar zu werden. Unerreichbar für Menschen. Manchmal sogar unerreichbar für mich. Ein weiterer Unterschied war, dass ich meinen Frust, meinen Hass und meine Trauer nicht mehr mit körperlichen Schmerzen ausgleichen musste. Auch da hatte ich so meine Tricks entwickelt: manchmal reichte es aus, auf einem Stift zu kauen, manchmal half es mir meine Gefühle in mein Tagebuch zu schreiben und an anderen Tagen konnte ich mich mit singen und tanzen beruhigen. Es kam ganz darauf an, weshalb ich aufgebracht war.

Allerdings machte das meine Vergangenheit nicht rückgängig. Ich konnte die Zeit nicht zurückdrehen und alles ungeschehen machen.

Ja und du bist selbst dran Schuld, dass es damals überhaupt soweit gekommen war.

Ach, da war sie wieder: meine innere Stimme! Auch hier hatte ich gelernt, sie einfach zu ignorieren und nicht auf ihre dummen Bemerkungen einzugehen.

Es klopfte an der Tür. "Jimin? Darf ich reinkommen?", hörte ich Eommas Stimme fragen.

"Klar, komm rein", antwortete ich ihr.

Sie öffnete die Zimmertür und setzte sich zu mir aufs Bett.

"Ich wollte nur noch einmal sicher gehen, dass es dir gut geht. Ich weiß, dass du erst seit drei Tagen wieder hier bist und dass morgen dein erster Tag an der Schule beginnt und ich möchte nur, dass du weißt, dass es auch okay ist, wenn wir dich erst in ein paar Wochen in die Schule gehen lassen, dass du Zeit hast, dich hier einzugewöhnen", sprach sie mit ihrer sanften Stimme.

"Nein, es ist alles gut. Es ist vollkommen okay, wenn ich morgen schon zur Schule gehe, keine Sorge", log ich.

Ich hatte keinerlei Lust zur Schule zu gehen. Menschen..
Aber besser, als erst ein paar Wochen später, denn morgen, am 1. Schultag nach den großen Ferien, fielen neue Schüler weniger auf, als mitten im Schuljahr.

"Okay, dann bin ich beruhigt. Ich lasse dich dann wieder in Ruhe. Gehe aber bitte nicht zu spät ins Bett", mit diesen Worten verließ Eomma mein Zimmer und ich war wieder alleine mit meinen Gedanken.

Der Gedanke an die neue Schule bereitete mir ein flaues Gefühl in der Magengegend und ich konnte nichts dagegen machen. Dieses Gefühl kam, sowie jedes andere Gefühl, dass ich empfand. Es war, wie diese gewisse Vorahnung, sozusagen der 6. Sinn von dem so viele Menschen sprachen. Zum Beispiel möchtest du in den Urlaub fliegen, aber irgendwas sagt dir, dass du nicht in dieses Flugzeug steigen solltest und du tust es nicht. Wenige Stunden später erfährst du, dass eben dieses Flugzeug abgestürzt war und es keine Überlebende gegeben hatte. So konnte man dieses Gefühl beschreiben. Dieses mulmige Gefühl im Bauch, bei dem man sich unwohl fühlte. Es fühlte sich genauso an, wie ich es beschrieben hatte: wie eine Vorahnung.

Ich wollte nicht noch mehr Zeit mit meinen düsteren Gedanken verbringen und ging ins Badezimmer, welches an meinem Zimmer angrenzte und durch eine Holztür von meinem Zimmer getrennt wurde.

Ich zog mich aus und ging duschen. Das Wasser, welches auf meinen Körper prasselte half mir den Kopf frei zu bekommen und für einen Moment an nichts denken zu müssen.

Nach der Dusche, trocknete ich mich ab und zog mir frische Klamotten über, bestehend aus Shorts und einem T-Shirt.

Normalerweise trug ich keine T-Shirts, weil ich viele Narben an den Armen hatte.. und auch an den Beinen, doch diese sah man nie.

Insbesondere die quadratische Narbe, welche sich über einen großen Teil meines Armes erstreckte, ließen mich in die schlimmsten Tage meines bisherigen Lebens denken.

Vorsichtig strich ich über sie. Die darüber gewachsenen Hautschichten waren uneben und das Gewebe war rau und stark vernarbt, wie auf einer Straße, auf der nur Risse und Schlaglöcher waren.

An meinem anderen Arm befanden sich ebenfalls Narben. Narben, die mich an die Zeit erinnerten, als ich von der Schule nach Hause gekommen war, mich im Bad eingesperrt hatte und meinen damaligen besten Freund aus einer Box geholt hatte: die Rasierklinge.

Doch die Zeiten des physischen Schmerzes war vorbei und diese Narben waren nichts weiter als Erinnerungen. Traurige Erinnerungen..

Seufzend ging ich zurück in mein Zimmer und legte mich aufs Bett.

Ich kuschelte mich unter die Bettdecke und stellte meinen Wecker auf 6:00 Uhr.

Anschließend legte ich mich schlafen, was anfänglich nicht ganz einfach war, denn meine Gedanken schweiften immer zum morgigen Tag. Schule.

Beruhig dich, Jimin. So schlimm wird es schon nicht. Vielleicht findest du ja jemanden, mit dem du dich gut verstehen wirst.

All das waren Dinge, die ich mir einredete, um die Angst, die soziale Phobie, zu unterdrücken, doch letztendlich war es nur ein kläglicher Versuch, Dinge schön zu reden, an denen es nichts schön zu reden gab.

Mit diesen Gedanken schlief ich schließlich ein.

Behind The Fears || Yoonmin FF || BTS Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt