Wo bin ich?

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Schmerzgeplagt glitt meine Hand gegen meine Stirn und ich versuchte durch leichte Druckbewegungen gegen das Pochen in meinem Kopf anzukommen. Der Versuch scheiterte jedoch kläglich. Am liebsten würde ich einfach wieder die Augen schließen und noch weiterschlafen, in der Hoffnung, dass wenn ich aufwache, alles vorüber ist. Wunschdenken. Denn mein Kopf machte keine Anstalten, die unerträglichen Schmerzen auszulöschen. Instinktiv griff ich nach meiner Nachttischschublade. Für Notfälle hatte ich immer Kopfschmerztabletten darin versteckt. Jedoch fand ich beim Öffnen der Schublade keine Tabletten, sondern meine Hand strich über eine leere, glatte Holzoberfläche. Komisch, seit wann ist meine Schublade denn leer? Ich suchte weiter nach meiner Nachttischlampe, um genauer nachzuschauen. Erschrocken stellte ich fest, dass ich mich nicht in meinem Zimmer befand. Um mich herum sah ich ein spärlich ausgestattetes Zimmer. Lediglich zwei Nachtschränke und ein Kleiderschrank standen dort. Wo zur Hölle bin ich? Panisch setzte ich mich im Bett auf und blickte an mir herunter. Was ist das für ein T-Shirt und warum liege ich hier auf Unterhose? Nein, bitte nicht! Das konnte nicht wahr sein. Wurde ich etwa….? Langsam kamen die Erinnerungen an den gestrigen Abend wieder. Hatte dieses Arschloch etwa doch noch seinen Willen bekommen? Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und fing leise an zu weinen. Neben einem leisen Wimmern, das ich verlautete, vernahm ich Stimmen, die immer näher kamen. ,, Meinst du wir können da jetzt einfach so rein? Sie schläft bestimmt noch.’’
,,Dicker, es ist 15 Uhr. Langsam sollten wir mal nach dem Rechten schauen.’’, erklang eine weitere Stimme. Schnell sprang ich auf und versteckte mich hinter der Tür. Vorsichtig wurde sie geöffnet. Ich hielt den Atem an und bereitete mich darauf vor, mich zu wehren. ,, Sie ist nicht mehr da.’’ stellte die erste Person erschrocken fest. Das war meine Chance, ich kam hinter der Tür hervor und stürzte mich auf den ersten Angreifer. Schützend hielt er seine Hände vor das Gesicht, als er auf dem Boden lag. Der Zweite bekam einen Lachkrampf. ,, Alter, du lässt dich gerade von einer Frau vermöbeln.’’ Ich merkte, wie mich zwei starke Arme von der Person unter mir wegzogen. ,, Ganz ruhig Kleine, wir tun dir nichts.’’ Er drehte mich zu sich und ich sah in zwei strahlend blaue Augen, die mich besorgt ansahen. ,,Hast du etwa geweint?’’ skeptisch wurde ich gemustert. Auf jeden Fall war er schon mal nicht der widerliche Kerl von gestern und böse schien er auch nicht zu sein, ansonsten wäre er nicht so besorgt. Ich drehte mich zu dem Mann auf dem Boden um. Mittlerweile hatte er sich aufgerichtet und ich sah, wen ich vor mir hatte. ,, Du? Was machst du hier? ‘’, fragte ich verwirrt. Schüchtern sah er mich an. ,, Ähm , ich wohne hier.’’ ,, Oh.!’’ brachte ich nur heraus. ,, Und, was mache ich hier?’’,  fragte ich weiter.

Wir saßen in der Küche als Vincent, so hieß der Mann, den ich gerade aus Versehen zu Boden gebracht hatte ,mir einen Becher Kakao auf den Tisch stellte. Ich bedankte mich und schaute verlegen zur Seite. Mir war mein Verhalten von vorhin ganz schön peinlich. Was sollen Dag und er denn nun von mir denken? In meinem Kopf suchte ich nach den passenden Worten und plötzlich sprudelten es nur so aus mir heraus.  ,,Entschuldigung wegen vorhin. Irgendwie sind mir einfach die Sicherungen durchgebrannt.’’ Vincent lächelte und machte einen Witz.
,, Tja, ich hätte mir unser drittes Treffen auch anders vorgestellt.’’ Hatte ich das gerade richtig verstanden? Er wusste also gestern in der Bar ganz genau, wer ich war, nachdem ich ihn so angestarrt hatte. Dabei tat er so, als wüsste er nicht wer ich bin. Komisch. Von der rechten Seite wurden wir skeptisch angeschaut. Dag sah zu Vincent herüber und wollte anscheinend eine Erklärung. ,, Ihr kennt euch?’’,  fragte er schließlich. ,, Ähh, nicht direkt. Wir haben uns schon mal gesehen.’’, stotterte Vincent vor sich hin. ,, Ja, genau. Dreimal.’’,  klugscheißerte Dag. ,, Du hast mir doch gesagt, du würdest sie nicht kennen.’’ Mir wurde die ganze Situation unangenehm. Keinesfalls wollte ich für Ärger sorgen. ,, Dag, ich kenne sie auch nicht. Wir sind uns vor ein paar Tagen zufällig im Park begegnet. Wir haben aber nicht miteinander gesprochen. Als wir dann gestern feiern waren, traf ich sie an der Bar und erinnerte mich an ihr Gesicht. Mehr nicht. Nun reg dich mal ab, Alter.’’ Die Diskussion zwischen den beiden wurde immer hitziger. Anscheinend bemerkten sie gar nicht, dass sie nicht alleine waren. Irgendwann wurde es mir zu bunt und ich mischte mich ein. ,, Hört zu, ich will keinen Ärger verursachen. Eigentlich wollte ich nur wissen, was gestern passiert ist und warum ich hier bin. Mehr nicht. Ich denke, es ist besser, wenn ich jetzt gehe.’’ Ich hüpfte vom Stuhl herunter und machte mich auf den Weg in das Zimmer, in dem ich vorhin aufgewacht bin. Schnell meine Klamotten holen und dann weg hier. Leider befand sich meine Kleidung aber nirgends im Raum. ,, Suchst du die hier?’’ Dag stand mit ein paar zusammengefalteten Kleidungsstücken in der Hand im Türrahmen. ,, Danke.’’ Ich nahm sie ihm ab und schloss die Tür hinter mir, um mich in Ruhe umziehen zu können. Erst jetzt fragte ich mich, warum ich dieses T-Shirt noch immer anhatte und quasi auf Unterwäsche in einem fremden Raum aufgewacht bin? Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich mich gestern Nacht ausgezogen hatte. Also mussten die beiden… Scheiße… Waren sie vielleicht doch nicht so nett, wie ich zuerst vermutet hatte? Hatten wir…. Oh Gott, bitte nicht! Panisch schaute ich an mir herunter. Bis auf ein paar blaue Flecken an den Armen konnte ich keine Spuren von Gewalt entdecken. Die stammten aber sicherlich von der Aktion in der Männertoilette. Also bedeutete das, ich habe freiwillig mit den beiden…. Nein, das kann nicht sein! Sowas mache ich nicht! Hastig streifte ich das T-Shirt über meinen Kopf und schlüpfte in meine eigene Kleidung. Sie roch frisch gewaschen, was nur noch mehr Fragen aufwarf. Mein Kopf schien vor lauter Verwirrung förmlich zu platzen. Warum erinnere ich mich an nichts mehr, was gestern Abend nach meinem Zusammenbruch passiert war? Irgendwie musste ich hier ja schließlich hergekommen sein. Ich stand auf und lief zur Tür hinaus. Dag und Vincent saßen in der Küche und starrten mich ganz verdattert an, als ich schnurstracks zur Haustür lief, um zu verschwinden. Fliehen war gerade mein einziger Gedanke. Ich musste weg von hier. Weg von diesen beiden Perverslingen. Mit meinen Armen umklammerte ich meine Körper. Ich fühlte mich so dreckig und beschmutzt. Ich wollte nur noch nach Hause. Schnellen Schrittes rannte ich durch die Straßen Berlins, ohne zu wissen, wo ich mich befand. Tränen liefen die Wangen runter. Nach einer gefühlten Ewigkeit bemerkte ich, dass ich mich im Kreis bewegte. Meine Orientierung hatte ich völlig verloren.

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