Amerika?

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Sichtweise Dag

Phil saß noch vorne und zockte ein wenig, während ich es mir im Bett gemütlich machte. Irgendwie brauchte ich gerade ein bisschen Ruhe und zog mich deswegen zurück. Ich lag einfach so da und starrte die Wand an. Leise klopfte es an der Tür. ,, Herein.'' ,, Hey, schläfst du schon?'', fragte Lisa. ,, Sehe ich so aus, als würde ich schlafen?'', lachte ich. ,, Komm rein, was hast du auf dem Herzen?'' ,, Wieso sollte ich was auf dem Herzen haben?'', komisch sah sie mich an. Ich zog meine Augenbrauen zusammen und musterte sie. ,, Na gut, du hast recht.'', gestand sie. ,, Setz dich.'' Mit der Hand klopfte ich auf den Platz neben mir und sie gab mir einen Zettel. ,, Der lag heute Morgen im Briefkasten. Vincent weiß nichts davon.'' ,, Lass mal sehen.'' Ich faltete das Papier auseinander und fing an zu lesen. ,, Und jetzt machst du dir Gedanken darüber, was es damit auf sich hat?'' Sie nickte. ,, Ich würde erst mal abwarten und Vincent den Zettel geben. Sag einfach, du hast heute Morgen die Post geholt und als du die Briefe durchgegangen bist, lag dieser Zettel lose dazwischen. In der Eile hast du ganz vergessen ihm das zu sagen. Dann siehst du wie er reagiert.'' ,, Und wenn das stimmt? Wie soll ich damit umgehen? Vincent ist seit Jahren der erste Mann in meinem Leben, der mir nach der Sache damals wieder so nahe kommen darf. Ich will ihn nicht gleich wieder verlieren.'' ,, Nun mache doch nicht gleich die Pferde scheu. Noch weißt du überhaupt nicht, ob es stimmt. Aber, von was für eine Sache sprichst du überhaupt?'' Ehrlich gesagt wusste ich nicht was Lisa meinte. Auf jeden Fall musste es etwas sein, dass ihr schwer zu schaffen macht. Denn so aufgelöst und nachdenklich hatte ich sie noch nie gesehen.  ,, Ach, egal. Ist nichts Wichtiges.'', wimmelte sie ab. Ich holte tief Luft. ,, Hör zu, ich sehe doch, dass dich etwas belastet. Wir sind Freunde, du kannst mir alles erzählen. Manchmal hilft es, wenn man über seine Probleme spricht.'' ,, Bist du nun ein Hobbypsychologe?'', lächelte sie leicht. ,, So in der Art.'', lächelte ich zurück. Sofort merkte ich, wie schwer es Lisa fiel den Anfang zu finden. Ich sagte nichts und gab ihr die Zeit, die sie brauchte. ,, Damals als ich nach Berlin gezogen bin...weg von zu Hause... Ich wollte einen Neuanfang. In meiner Heimat hat mich einfach alles an ihn erinnert. Ich konnte nirgends hingehen, ohne an ihn denken zu müssen. ‚'' Lisa schluckte. ,, Wir waren vier Jahre zusammen und hatten sogar geplant ein Haus zu bauen. Und dann.. dann kam dieser Anruf, der alles veränderte.'' An ihren Armen bildete sich Gänsehaut. ,, Er war mit seinen Kumpels auf einem Junggesellenabschied.... vier Tage lang auf dem Deichbrand Festival.....Sven, sein bester Freund hatte es sich damals so gewünscht. Als sie am letzten Abend die Heimreise antraten, geschah es dann.... Irgend so ein Vollidiot ist unter Drogen Auto gefahren und hat nicht gesehen, dass vor ihm auf der Straße welche laufen. Mit hoher Geschwindigkeit fuhr er direkt in die Gruppe. Darunter auch Mark, mein Freund. Er war sofort tot. Ein paar seiner Kumpels kamen schwerverletzt ins Krankenhaus.'' Jetzt fing Lisa an zu weinen. Ich zog sie ein Stückchen zu mir und nahm sie in den Arm. Meinen Kopf legte ich auf ihrem ab und streichelte mit meiner rechten Hand sanft durch ihre Haare. ,, Als seine Mutter mich anrief..... sie war so aufgelöst....... Ihre Stimme, kühl und distanziert. Ich glaube, sie wollte es genau wie ich einfach nicht wahrhaben.'' , leise murmelte sie in meinen Pullover. ,, Hast du je mit irgendwem darüber gesprochen?'' Lisa schüttelte den Kopf. ,, Deswegen bin ich damals auch von zu Hause weg. Irgendwie war jeder der Meinung, ich müsse darüber sprechen. Sag Vincent bitte nichts davon. Ich will es ihm irgendwann selbst sagen.'' ,, Keine Sorge, ich behalte es für mich, versprochen.'' ,, Danke.'' ,, Und wegen des Schreibens, ich glaube nicht, dass es stimmt. Sicherlich ist es nur ein Missverständnis. Sonst hätte Vincent schon längst mit uns darüber gesprochen.'', versuchte ich Lisa ihre Angst zu nehmen. ,, Dein Wort in Gottes Ohr.'', schmunzelte sie leicht. ,, Was hältst du davon, wenn ich dir ein bisschen auf der Gitarre vorspiele?'' Wieder nickte sie. Ich spielte ein paar sanfte Töne und sang leise. Lisas Kopf lehnte immer noch an meiner Schulter. Irgendwann bemerkte ich, dass sie eingeschlafen war. Vorsichtig hob ich ihren Kopf an und deckte uns beide zu. Die ganze Zeit über beschäftigte mich dieser Brief. Warum spricht mein Kumpel denn nicht mit mir? Er kann doch nicht einfach ohne mich so was planen. Wie stellt er sich das denn vor? Und wie soll es mit SDP weitergehen? Wir wollen doch im Februar auf Tour. Ich beschloss vorerst abzuwarten. Spätestens morgen, wenn Lisa ihm den Brief geben wird, wissen wir mehr. ,, Hey.'', Phil kam zur Tür herein. ,, Psst.'', ich deutete auf Lisa, die friedlich schlief. Phil setzte sich zu uns. ,, Hat sie geweint?'', fragte er. Lisas Augen waren leicht geschwollen. Ich nickte. ,, Stress mit Vincent?'', fragte er weiter. ,, Ne, zwischen den beiden ist alles gut. Private Probleme.'', antwortete ich ihm. ,, Verstehe. Ich penn' dann mal in ihrem Bett.'', er lachte leise. ,, Es ist mir auch nicht vergönnt mal in diesem wunderbaren Bett zu übernachten.'', witzelte er weiter. ,, Morgen ist es deins.'', sagte ich grinsend. ,, Warten wir mal ab.'', sagte er, holte ein paar Sachen aus seiner Tasche und ging dann wieder raus. Meine Augen wurden immer schwerer und auch ich schlief irgendwann ein. ,, Nein... Geh nicht weg...Bitte!!'' Mit einem Mal wurde ich aus meinen Träumen gerissen. Lisa lag schreiend neben mir im Bett.       ,, Lisa... hey.. aufwachen.'' Ich rüttelte fest an ihren Schultern. Schweißgebadet und blass lag sie neben mir. Die Tür ging auf. ,, Was....'' Vincent und Miriam stürmten rein. Lisas Schreie haben mit Sicherheit die ganze Mannschaft aufgeweckt. ,, Dicker, was ist hier los?'', fragte Vincent und schaute erst mich und dann Lisa an, die mittlerweile wach war. ,, Ich habe nur wieder schlecht geträumt.'', schluckte Lisa. Ich gab ihr meine Flasche Wasser, die auf dem Nachttisch stand. Vincent setzte sich zu uns und nahm sie in den Arm. Er wirkte besorgt. ,, Ich gehe mich mal frisch machen.'' Lisa stand auf und lief ins Bad. Vincent fuhr sich mit seinen Händen durchs Gesicht.      ,, Alles klar, Dicker?'', fragte ich. Er stützte seinen Kopf auf seinen Händen ab. Sein Blick wanderte zum Nachttisch, wo der geöffnete Zettel lag. Fuck, das gibt Ärger. Er nahm den Zettel an sich und las ihn aufmerksam durch. Derweil kam Lisa wieder zurück und blieb im Türrahmen stehen, als sie sah, dass Vincent den Zettel in der Hand hielt. ,, Wo habt ihr den her?'', fragte er.    ,, Ich.. ich hatte heute Morgen die Post aus dem Briefkasten geholt und der Brief lag lose dazwischen. Weil wir so hetzten mussten, hatte ich ganz vergessen ihn dir zu geben.'', entschuldigte Lisa sich. ,, Und warum liegt er dann hier?'' Vincent wirkte erstaunlich ruhig. ,, Es ist meine Schuld.'', sagte ich. ,, Lisa hat ihre Tasche hier im Zimmer vergessen und als ich mir ein Taschentuch nehmen wollte, habe ich den Brief gefunden.'' Irgendwas musste ich mir ja einfallen lassen. ,, Stimmt es, was da steht? Hast du wirklich vor für drei Monate nach Amerika zu gehen?'', fragte ich Vincent schließlich. ,, Ja, es stimmt.'', sagte er leise. ,, Wann wolltest du mir davon erzählen?'' Ich versuchte es nicht ganz so traurig klingen zu lassen, obwohl es mich kränkt, dass er nicht mit mir darüber gesprochen hat. ,, Es hat sich irgendwie so ergeben. Charlie hatte mit dem Gedanken gespielt, ein Auslandssemester zu machen und ich dachte mir, ein Tapetenwechsel könne mir nach all den Jahren nicht schaden. Ich habe es als Chance gesehen. Das Label würde gerne mit mir zusammenarbeiten und ich könnte gemeinsam mit namhaften Musikern Songs produzieren. Bevor ich es aber nicht schwarz auf weiß habe, wollte ich keine Pferde scheu machen.'' ,, Und, wie soll es mit der Tour weitergehen?'', fragte ich weiter. ,, Die ist erst im Februar. Bis dahin wäre ich wieder da. Außerdem kann ich auch von Amerika aus arbeiten.'' Scheinbar ist er im Kopf schon alle Eventualitäten durchgegangen. ,, Was ist mit uns? Wie stellst du dir unsere Beziehung vor, wenn uns 8000 Kilometer trennen? Hast du da schon mal drüber nachgedacht?'', erschöpft sah Lisa Vincent an. ,, Ich weiß noch gar nicht, ob ich es machen werde.'' ,, Aber du ziehst es in Erwägung.'', sprach Lisa weiter. ,, Lisa, ich weiß es noch nicht. Kann ich die Nachricht vielleicht erst mal sacken lassen?'' ,, Klar doch. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Auf den einen Tag mehr oder weniger kommt es auch nicht mehr an. Schließlich hast du es bis jetzt auch für dich behalten.'', antwortete sie sarkastisch. ,, Ich würde sagen, jeder geht in sein Bett und wir schlafen erst mal eine Nacht darüber. Morgen sieht die Welt schon anders aus.'', schlug Miriam vor.

Sichtweise Lisa

,, Kommst du zu mir?'', fragte Vince. ,, Ne, ich glaube ich muss die Nachricht erst mal sacken lassen.'' Ich war stinksauer auf ihn. Manchmal glaube ich wirklich, es soll einfach nicht sein, dass wir glücklich werden. Ständig kommt irgendwas dazwischen. Traurig verließ er den Raum. Miriam kam auf mich zu. ,, Mach dir keinen Kopf Süße, alles wird gut. Ich bin für dich da. Du weißt, wo du mich findest.'' Sie ging raus und schloss die Tür hinter sich. Dag saß wie angewurzelt auf dem Bett. ,, Wie kann er so was ohne mich planen? Ich dachte, wir seien Freunde.'', verletzt starrte er die Wand an. Ich ließ mich an der Tür runtergleiten und wir saßen uns gegenüber. Liebend gerne hätte ich ihm seine Frage beantwortet. Doch auch ich wusste nicht, was Vincent geritten hat, auf solch eine Schnapsidee zu kommen. Lange saßen wir einfach nur da und schwiegen uns an. Keiner rührte sich oder sagte ein Wort. Ich merkte wie meine Augenlider immer schwerer und schwerer wurden, bis ich schließlich einnickte.

Schmerzen im Nacken und in den Schultern sorgten dafür, dass ich am nächsten Morgen wie eine alte Frau versuchte aufzustehen. Scheinbar hatte Dag sich irgendwann zu mir gesetzt, denn ich wachte angelehnt an seiner Schulter auf. ,, Aua.'', sagte ich leise, als ich aufstand und versuchte meine Knochen zu sortieren. Leise öffnete ich die Tür und lief durch den Bus. Miriam saß im Schlafanzug auf einem der Sitzplätze und hörte Musik. ,, Guten Morgen.'', ich zog ihr die Ohrstöpsel aus den Ohren. ,, Man, hast du mich erschreckt.'', lachte sie. ,, Wie hast du geschlafen?'', fragte Miriam vorsichtig. ,, Es geht. Ich bin an der Tür angelehnt eingepennt und fühle mich gerade, als sei ich 80.'', grinste ich. ,, Wollen wir frühstücken? Ich ziehe mich nur schnell um.'', schlug ich vor. Wir liefen in den Backstagebereich und zeigten unsere Pässe vor.       ,, Guten Morgen, die Damen.'', begrüßten Stefan und Raphael uns. ,, Setzt euch. Nach dem Frühstück geht es los.'', sagte EF. ,, Womit los?'', fragte Miriam. ,, Na Schichtbeginn. Ihr seid doch zum Arbeiten hier, oder nicht?'' ,, Was dürfen wir denn Schönes machen?'', wollte ich wissen.        ,, Eigentlich habt ihr einen ganz chilligen Job. Ihr seid im Catering eingeteilt und dürft die Backstagepässe der Gäste kontrollieren.'' ,, Ernsthaft? Und dafür kriegen wir Geld?'', lachte Miriam. ,, Cool, oder? Den Job habt ihr mir zu verdanken.'', sagte er stolz. ,, Du bist der Beste.'' Ich drückte ihn. ,, Hier sind eure Pläne. Wenn ihr nicht gerade eingeteilt seid, dürft ihr natürlich machen, was ihr wollt.'' ,, Ok, alles klar. Vielen Dank.'' , Miriam freute sich tierisch. So hatte sie die Möglichkeit einigen Stars ganz nahe zu kommen und vielleicht das ein oder andere Autogramm abzustauben. Bis zum Schichtbeginn hatten wir noch eine Stunde Zeit. Gemütlich frühstückten wir zu Ende und begaben uns dann auf unsere Plätze. Am Eingang stand ein Tisch mit zwei Stühlen, was für die nächsten Stunden unser Arbeitsplatz sein wird. Munter ließen wir uns die Pässe vorzeigen, bevor irgendjemand rein durfte. Irgendwann gegen 12 trudelte auch der Rest der SDP Mannschaft ein. Verpennt kam Dag uns entgegengelaufen, dicht gefolgt von Vince und Phil. ,, Morgen.'', begrüßte er uns verschlafen und wollte geradewegs zum Buffet laufen. ,, Moment. Wir müssen erst eure Pässe sehen.'', sagte ich. ,, Dein ernst?'', quengelte Dag.   ,, Ja, Vorschrift ist Vorschrift.'', grinste ich. ,, Vergiss nicht, wer dir diesen Job besorgt hat. Also benimm dich.'', ermahnte Dag mich. Als Nächstes kam Vincent, der mir gerade einen Kuss geben wollte, doch ich drehte meinen Kopf zur Seite. Geknickt lief er den anderen hinterher und sah mich traurig an. ,, Musst du ihn so leiden lassen?'', fragte Miriam. ,, Er kann ruhig spüren, dass er Scheiße gebaut hat.'', antwortete ich bloß. ,, Ja, aber es steht doch gar nicht fest, dass er wirklich geht. Sieh ihn dir doch an. Es tut ihm wirklich leid.'', Sie deutete auf den Tisch nicht weit von uns entfernt. Vincent schaute ständig zu uns rüber. ,, Trotzdem. Und, wenn er doch geht? Wir sind frisch zusammen und dann gleich wieder getrennt.'', jammerte ich. ,, Es sind doch nur drei Monate. So was kann eine Beziehung auch festigen.'' Mit allen Mitteln versuchte Miriam mir die Sache schönzureden. ,, Mal schauen.'', antwortete ich und widmete mich wieder der Arbeit zu.

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