Kontrollverlust

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Sicht Lisa

Vincent lief in der Wohnung auf und ab. Seine Unruhe machte mich nervös. ,, Kannst du dich bitte hinsetzten? Du machst mich ganz hibbelig.'', bat ich ihn. Doch anstatt sich zu setzten, wählte er wieder Dags Nummer und hatte dieses Mal sogar Glück. Gespannt lauschte ich dem Gespräch in der Küche, doch konnte leider nicht alles verstehen. ,, Dag weiß Bescheid und passt auf, wenn er morgen Heim fährt.'', sagte Vince und ich merkte, dass ihm ein Stein vom Herzen fiel. Er stellte mir einen Tee auf den Tisch und für sich hatte er Kaffee gemacht. ,, Morgen gehen wir zur Polizei. Vielleicht finden die etwas über die Handynummer heraus.'' Vincent versuchte die Worte überzeugend klingen zu lassen, doch ich merkte, dass er selbst an seiner Aussage zweifelte. ,, Ich weiß, ich habe das schon mal gefragt, aber ist dir in letzter Zeit wirklich nichts auffällig vorgekommen? Irgendwelche Personen, die du häufiger gesehen hast, wenn wir irgendwo waren?'' Er drehte sich zu mir, in der Hoffnung ich könnte einen kleinen Anhaltspunkt liefern. ,, Nicht das ich wüsste. Das einzige was mir einfallen würde wäre eine junge Frau, die mir sowohl beim Videodreh, als auch nach unserem Treffen in der Bar begegnet ist. Ihr Gesicht hatte ich irgendwo schon mal gesehen.'', sagte ich zögerlich. ,, Hat sie was gesagt?'', bohrte er weiter.  ,, Nichts Besonderes. Nur, dass ich dich in Ruhe lassen solle, weil du ihr Freund seist.'' Ich versuchte es so lässig wie möglich klingen zu lassen, auch wenn ich die Begegnung mit ihr mehr als gruselig fand. ,, Und das sagst du jetzt erst?'' , böse schaute Vincent mich an. ,, Ich habe es nicht für wichtig gehalten. Wir wissen doch gar nicht, ob sie etwas damit zu tun hat?'' ,, Und wenn doch? Du hättest es mir sagen müssen.'' ,, Jetzt bleib' mal locker. Ich muss dir gar nichts sagen, ok? Du kannst doch nicht einfach irgendwelche Leute beschuldigen.'' Langsam nervte mich seine dominante Art. ,, Wie sah sie denn aus? Weißt du wie sie heißt?'', ohne Luft zu holen sprudelten die Fragen aus ihm heraus. Damit er endlich Ruhe gab, erzählte ich ihm, was passiert ist und versuchte so gut es ging das Mädchen zu beschreiben. Nachdenklich suchte er nach einem Foto in seiner Handygalerie. ,, Ist sie das?'', fragte er. Auf dem Foto lächelten zwei Personen glücklich in die Kamera. Die unbekannte Frau an Vincents Seite war tatsächlich die gleiche, der ich begegnet bin. Stumm nickte ich ihm zu. Ich traute mich nicht zu fragen, wer sie war. Denn ich wusste, die Antwort würde mich nur verletzen. Leider hatte Vincent solch ein Redebedürfnis, dass meine Frage trotzdem beantwortet wurde. ,, Wir hatten mal was miteinander. Aber das ging nicht lange. Drei Monate oder so. Wie soll ich's sagen? Sie ist etwas speziell! Nachdem ich gemerkt hatte, dass bei ihr etwas nicht rund läuft und sie mir das Leben zur Hölle gemacht hat, habe ich das Ganze beendet. Na ja, danach hat sie versucht sich umzubringen und ist in der Klapse gelandet. Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört.''           ,, Denkst du wirklich, sie ist so verrückt und versucht sich an dir zu rächen? Ich meine, selbst wenn, was haben Dag und ich dann damit zu tun?'' Vincents Theorie schien mir nicht ganz aufzukommen. Auch wenn die junge Dame psychisch nicht in der besten Verfassung ist, traue ich ihr so was nicht zu. ,, Trotzdem sollten wir es in Erwägung ziehen.'', sagte Vince. Skeptisch verzog ich das Gesicht und sagte. ,, Wenn du meinst.'' Viel mehr wurmte es mich, dass er noch immer das Foto auf dem Handy hatte, wenn er sie doch so '' speziell'' fand. ''Höre ich da etwa Eifersucht raus?'' Meine innere Stimme meldete sich zu Wort. ''Reiß dich zusammen Lisa. Es kann dir egal sein, mit wem er was hat. Ihr seid nur Freunde.'', ermahnte ich mich selbst. Anscheinend hatte der Kuss doch Spuren hinterlassen, was ich nicht wahrhaben wollte. Während ich einen Monolog führte, zeichneten sich in meinem Gesicht die unterschiedlichsten Stimmungen ab. Es muss wohl so amüsant ausgesehen haben, dass ich durch Vincents Lache in meinem Gedankengang unterbrochen wurde. ,,Was ist?'', fragte ich unschuldig. Prustend brachte mein Gegenüber hervor. ,, Guckst du immer so, wenn du nachdenkst?'' ,, Was dagegen?'' , fragte ich. ,, Ne, ne. Sieht übelst interessant aus.'' Vincent nahm einen Schluck Kaffee und grinste noch immer. Ich hingegen stand auf, um nach Hause zu gehen. Der Tag war anstrengend genug und ich wollte einfach nur ins Bett. ,,Wohin willst du?'' , fragte er, als ich meine Jacke von der Garderobe nahm. ,, Nach Hause. Ich bin müde.'' Er zog eine Augenbraue hoch. ,, Warum bleibst du nicht hier? Es ist nicht so, dass ich kein Bett habe.'' ,, Lieb gemeint, aber ich brauche ein bisschen Zeit für mich.'' , entschuldigte ich mich und wollte gerade zur Tür hinaus, als er mich aufhielt. ,, Ich würde mich freuen, wenn du hier bleibst.'' Schon wieder sah Vincent mich mit seinen Kulleraugen an. Wenn er das tat, fiel es mir immer schwer nein zu sagen. Doch ich musste stark bleiben. Das war ich mir selbst schuldig. Schnell wendete ich den Blick von ihm ab. Sanft zog seine Hand mein Kinn nach oben und mir blieb nichts anderes übrig, als ihm wieder in die Augen zu schauen. ,, Lisa, bitte!'' Verzweifelt versuchte ich mich nicht davon beeindrucken zu lassen. Ein Kampf zwischen mir und meinem Schweinehund begann. Es war fast so, als säßen Teufel und Engel auf meiner Schulter, die lauthals miteinander diskutierten. Je länger ich Vince in die Augen schaute, desto schlimmer wurde das Kribbeln in meinem Bauch. Bitte nicht! Das darf nicht wahr sein! Krampfhaft redete ich mir ein, dass was ich spüre, sei nicht real. Um zu entspannen, schloss ich kurz die Augen und öffnete sie langsam wieder. Immer noch haftete sein Blick an mir. Mit jedem Atemzug hatte ich das Gefühl, als käme er ein Stückchen näher, was mein Herz zum Ausrasten brachte. Ich bemerkte nicht einmal, dass seine Hand an meiner Hüfte lag. Erst als ich spürte, wie mein Becken leicht gegen seins gedrückt würde, realisierte ich es. Instinktiv richtete ich den Blick nach unten. Mit seinen Fingern strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht und verankerte sie hinter dem Ohr. Schüchtern neigte ich den Kopf zur Seite und bemerkte, wie ich errötete. Vincent nahm meine Hand und legte sie auf seine Brust. Ich spürte seinen schnellen Herzschlag. Er donnerte mit solch einer Gewalt gegen seinen Brustkorb, dass ich das Gefühl hatte, die Vibration überträgt sich auf meinen Körper und mein Herzschlag passt sich seinem an. Unsicher sah Vince mich an. Unschlüssig darüber, wie es weiter gehen sollte. Am liebsten wäre ich einfach losgerannt. Weg aus dieser Situation, von der ich wusste, sie würde kein gutes Ende nehmen, wenn ich nicht bald die Reißleine ziehe. Zwischen Vincent und mir, das geht einfach nicht. Wir sind Freunde und ich weiß, dass seine Gefühle sich nur auf das Eine beziehen. Bisher war es immer so, dass er die Frauen um sich herum als Objekt der Begierde gesehen hat und mehr nicht. Zu mindestens in der Zeit, in der ich ihn kenne. Außerdem weiß mein Verstand, dass er immer noch an Franzi hängt. Also wäre alles, was jetzt zwischen uns passieren würde nur wieder einer seiner Ablenkungsstrategien. Schweren Herzens löste ich mich mit einem Lächeln aus seinem Griff, ging einen Schritt auf ihn zu und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Während ich das tat, hielt ich den Blickkontakt aufrecht. In seinem Gesicht zeigte sich ein Wechselbad der Gefühle. Diese Reaktion hatte er scheinbar nicht erwartet und konnte die Situation nicht ganz einordnen. Ich drehte mich zur Tür und wollte sie öffnen, doch von hinten glitt eine Hand an meiner Schulter vorbei und drückte sie vorsichtig wieder zu. Danach spürte ich, wie Vince ganz dicht an mich herankam, meine Haare zur Seite legte und sanft anfing meinen Hals zu küssen. Genüsslich schloss ich die Augen. Die Gänsehaut in meinem Nacken beschleunigte meinen Pulsschlag. Mein Verstand setzte aus. In meinen Ohren hörte ich ein Rauschen und mein Körper verlangte nach mehr. ''Reiß dich zusammen Lisa! Reiß dich zusammen'', sprach die Stimme in mir. Doch von Sekunde zu Sekunde wurde sie immer leiser, bis sie schließlich verstummte. Ich ließ es einfach zu. Scheiß drauf! Ich übergab Vince die volle Kontrolle. Als er mich zu sich drehte, sah ich den Glanz in seinen Augen, der pure Lust widerspiegelte. Mit der einen Hand fasste er mir an den Po und drückte mich zu sich heran. Mit der anderen strich er sanft über meine Wange und zog mein Gesicht weit zu sich. Vorsichtig tasteten sich seine Lippen zu meinen vor. Zögerlich berührten sich unsere Oberlippen. Dann plötzlich, gab es keinen Halt mehr und wir fingen an uns leidenschaftlich zu küssen. Vincent schob mich bis zum Sofa und wir ließen uns fallen. Unsere Knutscherei hielt gefühlte zwei Stunden an, bis wir endlich voneinander abließen. Wahrscheinlich wäre zwischen uns noch mehr gelaufen, wenn es nicht an der Tür geklingelt hätte.

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