'' Und die Stadt unter uns, ist hier oben so lautlos''

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100 Reads. Vielen Dank, dass ihr so fleißig am Lesen seid :)

Sicht Lisa

Von hier oben sah die Welt dort unten klein aus. Mittlerweile hatten wir alles in den Umzugskartons verstaut und kletterten auf das Flachdach des Hauses. ,, Hast du etwa Höhenangst?’’ Dag bemerkte meine Unsicherheit, reichte mir bei der letzten Stufe die Hand und zog mich hoch.
,, Ein bisschen vielleicht.’’ Minimal führte ich den rechten Daumen und Zeigefinger zusammen, um meine Angst zu veranschaulichen. Doch der Anblick, der sich mir bot, ließ mich alles Negative vergessen. ,, Wow, das ist der Wahnsinn.’’ Ich schloss die Augen und streckte die Arme aus.
,, Jetzt weißt du, warum ich so gerne hier bin. Komm, das musst du sehen.’’ Er hielt mir seine Hand entgegen und ich griff danach. Langsam liefen wir Richtung Kante und ich blickte nach unten auf Berlin. Die Menschen wirkten wie kleine Figuren und der sonst so laute Stadtlärm verstummte. So schön das alles aussah, mein Magen fand die schwindelerregende Höhe gar nicht lustig. Leicht taumelte ich mit dem Oberkörper nach vorne.
,, Hey, Vorsicht!’’ Dags starker Griff umklammerte meine Taille und er zog mich ein Stück vom Rand weg. ,, Ich denke, für den Anfang reicht es.’’ , lachte er mich an und wir gingen zurück zur Feuertreppe. ,, Und was ist mit dem Sonnenaufgang?’’, fragte ich. ,, Den schauen wir uns morgen Früh an.’',  sagte er. ,, Und wenn ich verschlafe?’’, kam ein Einwand meinerseits.
,, Das wird nicht passieren. Versprochen.’’ Auch wenn Dag manchmal leicht verpeilt war und es mit der Pünktlichkeit nicht ganz so genau nahm, vertraute ich ihm. Der Anblick der Wohnung wirkte triste. Überall standen die Kartons gestapelt. Das Sofa war das einzige Mobiliar, was noch aufgebaut im Raum stand. Alles andere war in Einzelteile zerlegt worden. Selbst sein Bett stand schon abholbereit, gut verpackt im Nebenzimmer. Während ich mich nochmal umsah, kam Dag mit zwei Decken, Kerzen und Trinken wieder. ,, Leider sporadisch, aber besser als nichts.’’, verlegen sah er mich an. Er reichte mir ein Glas Wasser und gemeinsam prosteten wir uns zu.
,, Auf dein Zuhause.’’ ,, Auf eine wunderbare Zeit, die ich nie vergessen werde.’’, sagte Dag.
In Decken eingekuschelt setzten wir uns auf das Sofa und starrten die leeren Wände an.
,, Mann bin ich froh, wenn ich endlich wieder auf der Bühne stehen kann.’’, lachte er plötzlich.
,, Viel zu lange ist es her, dass ich vor einem Publikum spielen durfte.’’  ,, Na, dann wird es aber Zeit. Nicht, dass du noch Entzugserscheinungen bekommst.’’, witzelte ich. ,, Kommt Mara auch mit zu den Festivals? Sie war doch letztes Jahr auch mehrmals mit.’’  Von Vincent hatte ich erfahren, dass Mara, ich lernte sie das erste Mal beim Videodreh kennen, Dags beste Freundin war und wohl häufiger mit zu Veranstaltungen kam. ,, Ahh, das glaube ich nicht.’’ Dag setzte die Bierflasche an den Mund und nahm einen Schluck. ,, Warum? Beim Videodreh machte sie den Anschein, als würde sie sich schon tierisch darauf freuen, wieder dabei zu sein.’’ ,, Es läuft gerade nicht so gut zwischen uns. Irgendwie ist das Ganze kompliziert.’’, sagte er.
,, Ich verstehe, es sind also Gefühle im Spiel.’’, gab ich plump zurück. ,, Quatsch, wie kommst du denn darauf?’’, er zog seine Augenbrauen hoch.
,, Weiß nicht… Dachte nur…’’ ,, Du sollst nicht immer so viel denken.’’ Mit dem Zeigefinger tippte Dag gegen meinen Kopf. ,,Hey, das tut weh.’’ Ich zog meinen Kopf weg und schaut ihn böse an. Natürlich konnte ich bei seinem Anblick nicht lange ernst bleiben und setzte ein freundliches Gesicht auf. ,, Was macht denn dein Liebesleben? Wir können ja nicht immer nur über mich sprechen.’’ Mein Gegenüber grinste mich an.
,, Tote Hose.’’, lachte ich.
,, Das klingt ganz schön stumpf.’’ Da musste ich Dag zustimmen. Aber was Besseres fiel mir nicht ein, denn in Sachen Liebe herrschte bei mir schon seit längerem Ebbe. Allerdings empfand ich es auch nicht als störend. Ich genoss meine Freiheit und wollte im Moment auch keine Beziehung. So wie es gerade ist, bin ich glücklich.
,, Es gibt doch so viele Männer da draußen. Der Richtige war noch nicht dabei?’’, ungläubig schaute Dag mich an. ,, Nö, ich bin aber auch nicht auf der Suche. Irgendwann, wenn ich nicht damit rechne, steht mein Traumprinz vor Tür und hält um meine Hand an.’’ Theatralisch stellte ich die Szene nach. ,, Du wartest also auf einen Märchenprinzen? Sorry Dornröschen, du musst aus deiner Scheinwelt aufwachen. Es gibt keinen Prinzen, der dich wach küssen wird. Du musst schon selbst aktiv werden.’’ Heulend vor Lachen, krümmte ich mich und fiel zu Boden. Egal, was ich sage, Dag hat immer einen passenden Spruch auf Lager.
,, Das Gleiche gilt auch für dich, mein verehrter Herr. Prinzessinnen wachsen nicht auf Türmen, sie stehen direkt vor dir und wollen von dir erobert werden.’’  ,,  Tzz, jetzt klaust du mir auch noch meine poetischen Ideen.’’, beleidigt verschränkte er die Arme und schaute zur Seite.
,, Na, wer ist denn da beleidigt?’’ , ich kniff leicht in seine Wange und gab ihm einen Schmatzer, so wie meine Oma es früher immer gemacht hat.
,, Finger weg.’’ Gespielt verzog es das Gesicht und wischte sich meine Spucke von der Wange. Irgendwann überkam mich die Müdigkeit und ich dummelte ein.

,, Hey Lisa, aufwachen.’’ Ich merkte, wie mich jemand wach rüttelte. Mürrisch drehte ich mich zur Seite. ,, Aufwachen, du Schlafmütze.’’ Das Ruckeln wurde immer heftiger.
,, Ist ja gut.’’, genervt schlug ich die Decke beiseite und stand auf. ,, Beeil dich, sonst verpassen wir den Sonnenaufgang.’’, hektisch wurde ich aus der Wohnung gescheucht. Auf dem Dach war es frischer als gedacht. Klugerweise hatte Dag eine Jacke mitgenommen und reichte sie mir.
,,Traust du dich auf die Kante zu setzen? Dort ist der Ausblick besonders schön. Ich passe auch auf dich auf.’’ Ich schluckte einmal, riss mich zusammen und setzte mich schließlich auf die Kante. Meine Füße baumelten in der Luft. ,, Rutsch noch ein Stückchen nach hinten, das ist sicherer.’’ Sanft zog Dag mich an und ich konnte mich mit meinen Händen auf den Kieselsteinen des Flachdachs abstützen. Langsam kämpfte sich die Sonne am Horizont hervor und tauchte die Stadt unter uns in leuchtende Farben. ,, Na, habe ich zu viel versprochen?’’,
zufrieden sah er mich an. ,, Es ist wunderschön. Danke.’’ Ich lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter und genoss den Moment. Noch nie, hatte ich etwas so Wunderbares gesehen. Am liebsten hätte ich ein Foto gemacht, doch ich wollte den Augenblick als solchen im Gedächtnis behalten und entschied mich schließlich dagegen. Bestimmt eineinhalb Stunden saßen wir nur so da und wechselten kein Wort miteinander. Erst, als die Stadt unter uns zu leben begann und die Menschen sich durch die Straßen tummelten, gingen wir zurück in die Wohnung und warteten darauf, dass wir mit dem Umzug starten konnten.
,, Danke, dass ich den letzten Tag doch nicht alleine sein musste.’’, lächelnd sah Dag mich an.
,, Ich habe zu danken. Noch nie durfte ich einen Sonnenaufgang aus solch einer schönen Perspektive betrachten.’’, lächelte ich ebenfalls zurück. In dem Moment wurde mir wieder bewusst, wie froh ich war, Dag und Vincent kennengelernt zu haben. Binnen kürzester Zeit, habe ich so viele neue Dinge erlebt und fange langsam wieder an mein Leben zu genießen. Die schlechten Zeiten ließ ich hinter mir und wendete mich dem Positiven zu. Gegen 11 Uhr kam endlich Verstärkung und der Wohnungswechsel konnte starten.

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