Von Anfang an

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Sichtweise Vincent

,, Alter wir müssen ihr hinterher. Sie ist völlig durch den Wind.’’ Dag bemerkte meine Sorge und widersprach nicht, als ich ihn vom Stuhl zog und nach draußen rannte. Hektisch blickten wir uns um, doch sahen Lisa nicht. ,, Komm, dort entlang.’’ forderte mein bester Kumpel mich auf. Wir rannten die Straße entlang, bis zur Abzweigung. ,, Und jetzt? Sie könnte überall sein.’’ Hilflos suchte ich nach einer Lösung, um Lisa zu finden.  ,,Vince, wir müssen nun ruhig bleiben. Wo würdest du in solch einer Situation hingehen?’’ Angestrengt überlegte ich. ,, Keine Ahnung, ich würde wahrscheinlich der Straße, auf der ich mich befinde, so lange folgen wie es nur geht und mich dann verstecken oder so. ,, Genial! Dahinten ist doch ein verlassenes Verkaufsgelände. Vielleicht haben wir dort Glück.’’ Ohne zu zögern liefen wir zum besagten Gelände und betraten das alte, modrige Gebäude. Bei jedem Schritt knarrte der Boden unter unseren Füßen. Vor ein paar Jahren, hatten wir hier das Video zu unserem Song ‘’ Hände hoch’’ aufgenommen. Schon damals war das Gebäude einsturzgefährdet, doch durch ein paar Beziehungen, bekamen wir die Drehgenehmigung. ,, Nicht so laut Mann!’’ schimpfte Dag mit mir, als ich aus Versehen über einen Stapel Holzpaletten strumpelte, die lauthals zur Seite fielen. ,, Sorry.’’ flüsterte ich.
,, Warte.’’ Dag hielt mich fest. ,, Hörst du das?’’ Nicht weit von uns vernahm ich ein leises Schluchzen. So leise es ging, folgten wir dem Geräusch und entdeckten tatsächlich Lisa, wie sie zusammengekauert auf dem Boden saß. ,, Haut ab. Lasst mich in Ruhe.’’ sie entdeckte uns und wich sitzend zurück.  An ihrem linken Knie war die Strumpfhose aufgescheuert und Blut war zu sehen. Auch an der Schläfe zeigten sich Spuren, die auf einen Sturz deuten ließen. ,, Wir wollen dir nicht weh tun. Wir wollen dir helfen.’’ sprach Dag mit ruhiger Stimme auf sie ein. Immerhin hatte er es schon mal geschafft, sie zu beruhigen. Also warum nicht auch jetzt?
,, Helfen? Das nennt ihr helfen? Sich an einem unschuldigen Mädchen zu vergehen?’’ wimmerte Lisa. Woahh, was hatte sie eben gesagt? Beschuldigt sie uns gerade ernsthaft der Vergewaltigung? ,, Bitte was sollen wir?’’ fragte ich empört. ,, Nun tue doch nicht so unschuldig. Warum lag sonst nur in T-Shirt und Unterwäsche in deinem Bett? Ich kenne euch doch gar nicht!'’ Langsam begriff ich, was sie meinte. ,, Das war alles ganz anders. Dag und ich wollten dir alles erklären. Doch bevor wir dazu kamen, bist du abgehauen.’’ Auch wenn der Moment alles andere als lustig war, musste ich innerlich schmunzeln, dass sie uns für so bekloppt halten würde, hätte ich nie gedacht. Dag und ich könnten keiner Fliege etwas zuleide tun. Mittlerweile kniete Dag neben Lisa und versuchte sie beruhigen. Diese dachte jedoch keinen Augenblick daran und rutschte immer weiter von ihm weg. ,, Lisa bitte, glaube uns. Wir wollen dir nichts Böses. Bitte, komm mit uns wir erklären dir alles in Ruhe. Aber wir müssen hier raus. Hier kann jede Sekunde alles zusammenbrechen.’’ Anhand ihres Gesichtsausdruckes, konnte ich erkennen, dass sie innerlich mit sich haderte. Schlussendlich nahm sie jedoch Dags Hand und ließ sich von ihm aufhelfen. Humpelnd an Dags Schulter gestützt, kamen die beiden auf mich zu. Auf dem Weg zu meiner Wohnung sagte keiner ein Wort. Drinnen angekommen setzte Dag Lisa auf dem Stuhl ab. ,, Läufst du auch nicht wieder weg?’’ wollte Dag von ihr wissen und sie schüttelte den Kopf. ,, Ich hole mal ein bisschen Verbandszeug.’’,  schlug ich vor und verschwand im Badezimmer. Während ich mich um die kleinen Verletzungen kümmerte, begann Dag zu erzählen. ,, An was kannst du dich denn erinnern?’’ Kurzes Schweigen ihrerseits, doch dann sagte sie. ,, Ich.. ich weiß nur, dass ich gestern mit Freunden feiern war und, dass ich mich mit Vince an der Bar unterhalten hatte.’’ Bei den Worten färbten sich ihre Wangen leicht rosa. ,, Dann wurde ich plötzlich von Tanja auf die Tanzfläche gezogen und dann… dann wurde ich von diesem ekeligen Typen in die Männertoilette gezogen… und.. und..’’ Nun fing Lisa an zu weinen und vergrub ihr Gesicht in den Händen. ,, Hey, alles wird gut.’’ ich nahm sie in den Arm und tröstete sie. Nach ein paar Minuten lockerte ich die Umarmung und Lisa sprach weiter. ,, Und ab dann weiß ich nichts mehr. Doch, irgendjemand sagte sowas wie ''Lass die Finger von ihr du Dreckskerl’’ ,, Das war ich.’’, sagte ich zu ihr. ,, Du?’’ fragte Lisa unglaubwürdig. ,, Ja, nachdem du von der Bar weg bist, kam Dag zu mir und nach einer Weile mussten wir dann mal für kleine Männer und liefen Richtung Toilette, da haben wir dich dann mit diesem Kerl gesehen und es machte nicht den Anschein, als wenn du wolltest, was er wollte. Also zog ich ihn von dir weg und…. Na ja, Dag hat ihm dann etwas unsanft gegen seine Nase geschlagen. Da Dag, ich weiß das klingt nun komisch, immer die Angewohnheit hat seine Getränke mit auf die Toilette zu nehmen, hat er das gute Nass über dir verschüttet, bei dem Versuche dem Kerl noch ein zweites Mal eine zu verpassen. Dieser hat sich dann verpisst und du lagst zusammengekauert auf dem Boden. Du warst kurz bewusstlos, dann aber wieder wach. Nur irgendwie nicht ganz da. Zuerst wollten wir den Krankenwagen anrufen, aber das hast du abgelehnt. Du sagtest, dir fehle nichts und alles sei gut. Weil wir dich in dem Zustand nicht alleine lassen wollten und deine Freundin nirgends finden konnten, haben wir beschlossen dich mit zu mir nach Hause zu nehmen, damit du dich beruhigen kannst. Und weil Dag sein Getränk über dir verschüttet hatte, haben wir uns gedacht, es sei besser, dir trockene und frische Kleidung anzuziehen. Wir haben dir ein T-Shirt hingelegt und du hast es dann selbst angezogen und dich sogar noch bedankt. Wir haben dir auch nichts weggeguckt, versprochen. Deine Kleider habe ich in die Waschmaschine geschmissen, damit du sie heute wieder anziehen kannst. Und glaube mir, das war nicht leicht. Nicht, dass ich nicht waschen kann, aber ich hatte  keinen Plan, ob alles auf einmal in die Maschine darf, weil es unterschiedliche Farben hatte. ‘’’ Bei meinem letzten Satz, lachte Lisa leise. ,, Also, habt ihr mir nur geholfen? Und ich Dussel beschuldige euch….’’
,, Schon gut.’’ warf Dag ein. ,, Das Ganze sah ja auch ein bisschen komisch aus. Das gebe ich zu. Aber eines musst du wissen. Wir würden solch eine Situation niemals ausnutzen. Bei keiner Frau. Zwar sind Vince und ich ein klein wenig bekloppt, aber wir haben Anstand.’’ ,, Stimmt, wir fragen höflich danach.’’ lachte ich. ,, Ach so einer bist du.’’ , Lisa sah mich skeptisch an. ,, Aber warum zur Hölle, erinnere ich mich an nichts? Sowas hatte ich noch nie.’’ ,, Hast du Kopfschmerzen?’’ fragte ich. ,, Ja vorhin, warum?’’ ,, Na ja, vielleicht hat dir auch jemand was in dein Getränk gemischt.’’ ,, Quatsch, wer sollte denn sowas machen?’’ widersprach sie. ,, Du bist nicht oft feiern, oder?’’ Während ich die Frage stellte, wurde Lisa wieder leicht rot im Gesicht.
,, Alles gut, das muss dir nicht peinlich sein. Ist doch schön, wenn du bodenständig bist.’’ munterte ich sie auf. ,, Nicht jeder ist der Typ zum ‘’ständig Party’’ machen. Aber das ist nicht schlimm.’’  ,, Ihr gehört dann wohl zu der nicht bodenständigen Sorte.’’ grinste sie. Dag und ich setzten unser verschmitztes Lächeln auf. ,, Ne, nicht so wirklich.’’ entgegnete ich bloß. ,, Aua. Pass doch auf.’’ Schnell zog ich die Kompresse, die ich zuvor in Desinfektionsmittel getaucht hatte, von ihrer Stirn weg. ,, Dann muss ich mich wohl bei euch beiden entschuldigen und mich bedanken.’’ ,, Ach, keine Rede wert.’’ sagte ich bloß und wagte einen erneuten Versucht, die Wunde zu säubern, wofür ich einen bösen Blick ihrerseits erntete. Wir setzten uns ins Wohnzimmer und nahmen einen Schluck von unseren Getränken, die wir vorhin in der ganzen Hektik einfach haben stehen lassen. ,, Wie kommt es, dass du dann gerade gestern feiern warst, obwohl du nicht so die Partygängerin bist, war irgendein besonderer Anlass?’’ Ich wusste, dass die Frage ganz schön neugierig klang, aber mit irgendeinem Thema musste man anfangen, um eine Konversation zu führen. ,, Am liebsten hätte ich mich gemütlich aufs Sofa gesetzt. Aber Tanja, sie ist die Freundin, mit der ich gestern da war, hatte andere Pläne. Also willigte ich ein und dann sind wir im K1 gelandet. Zusammen mit zwei Freundinnen von ihr, die ich vorher auch nicht kannte.’’  ,, Du weißt aber schon,dass man da nicht so leicht reinkommt, oder? Kennt deine Freundin den Betreiber irgendwie?’’ fragte Dag. ,, Nicht das ich wüsste. Mich hatte es nur gewundert, dass wir so schnell reinkamen. Immerhin war eine riesige Schlange vor uns. Tanja, hat dem Türsteher etwas ins Ohr geflüstert und er hat uns dann durchgelassen. Und wie seid ihr reingekommen? Wenn man doch so schwer dort reinkommt?’’ fragte Lisa neugierig. Ich muss sagen das Mädchen ist schon mal nicht auf den Kopf gefallen. ,, Ja Dag, wie sind wir da reingekommen?’’, amüsiert richtete ich die Frage an meinen besten Kumpel. Schließlich hatte er mit der ganzen Sache angefangen und ich war wirklich gespannt auf seine Antwort.  ,,Ähh, ein Freund von uns hat da seine Connections.’’ stammelte er. Wahnsinn, wie originell! Ok, die Wahrheit wollte er ihr dann wohl nicht erzählen, also schwieg ich und ließ das Ganze auf sich beruhen. ,, Was hast du denn heute noch vor?’’ fragte ich Lisa. ,, Ich denke, ganz viel schlafen. Irgendwie brummt mein Kopf und ich bin hundemüde. Apropos, wie komme ich denn nach Hause? Mein erster Versuch den Weg zu finden, hat mich direkt ein marodes Gebäude geführt.’’, sagte sie spöttisch. ,, Wir können dich gerne bringen, wenn du magst?’’ ,, Gerne.’’  ,, Willst du denn jetzt schon los?’’  Irgendwie klang die Frage enttäuschter, als sie sollte.
,, Ich denke schon.’’  Schade, innerlich hoffte ich noch mehr von ihr erfahren zu können, aber Reisende soll man nicht aufhalten. Eine halbe Stunde später lieferten Dag und ich Lisa vor der Haustür ihrer Wohnung ab. ,, Danke nochmal Jungs. Ohne euch, wüsste ich nicht, was passiert wäre. ‘’ Lisa kam auf uns zu und drückte uns. ,, Immer wieder gerne.’’ sagte Dag, der Lisa gar nicht mehr loslassen wollte. Von weitem hörten wir zwei Stimmen, die laut unsere Namen riefen.
,, Dag, Vincent?'' Hektisch sahen Dag und ich uns an.  ,, Wir müssen leider wieder. Vielleicht sieht man sich ja nochmal.’’ Schnell wendeten wir uns von Lisa ab und liefen in eine andere Richtung. Weg von den beiden Groupies. Darauf hatten wir nun gar keine Lust. Wir geben gerne Autogramme und machen auch Fotos. Manchmal wünscht man sich aber einfach nur ein bisschen Ruhe.

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