Ungewolltes Wiedersehen

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Zeitsprung ein Jahr

Sichtweise Dag

,, Warum ist es heute so warm, Alter?'' Innerhalb von zwei Stunden, hatte ich fünf Flaschen Wasser intus und das Gefühl, alles gleich wieder auszuschwitzen. ,, Vielleicht weil wir Sommer haben?'', lachte Vincent. Bei fast 38 Grad im Schatten warteten wir auf unseren Auftritt, der in circa zwei Stunden losgehen würde. ,, Ach, bevor ich es vergesse. Dein Schatzilein möchte, dass du mal auf dein Handy guckst. Sie schreibt dir wohl schon seit Stunden und wartet auf eine Antwort.'', grinste ich und verkrümelte mich in den Tourbus, wo ich bis kurz vor unserem Auftritt die kühle Klimaanlage genoss. ,, Bist du soweit, Dag? Es geht gleich los.'' Hektisch lief Vincent in seine Kabine, zog ein frisches T-Shirt über und dieselte sich von oben bis unten mit Deo ein. ,, Ich bin startklar.'', antwortete ich gechillt. Gemeinsam liefen wir zur Bühne und warteten auf das Startsignal. ,, Hallo Dortmund'', begrüßten wir die Fangemeinde und lautes Gekreische kam aus allen Richtungen. Mit unserem neuen Bühnenprogramm rockten wir das Open Air und waren voll in unserem Element. Unser Act war der letzte des Abends und somit standen wir irgendwann im Dunkeln auf der Bühne, was die farbenfrohe Lichtershow umso besser zur Geltung brachte. Zum Schluss spielten wir einen etwas älteren Song, den wir beide sehr gerne mochten. '' Kurz für immer bleiben''. Vor uns gingen die Arme nach oben und ein Meer aus Lichtern erstreckte sich bis zum Horizont. Vincent setzte sich an sein Klavier und schloss gefühlvoll die Augen, bevor er mit dem Singen begann. Ich wartete auf meinen Einsatz und stieg ebenfalls mit ein. Dabei ließ ich meinen Blick durch die Menge schweifen. Dieser Moment bescherte mir jedes Mal Gänsehaut. Vor einem so riesigen Publikum spielen zu dürfen, das hätten Vincent und ich uns vor ein paar Jahren nie erträumt. Leider geht die Zeit immer viel zu schnell vorbei und somit erklang der letzte Ton, ehe wir die Bühne verließen. Mein Herz pochte wie wild. Ich war total hibbelig und aufgedreht. ,, So, dann wollen wir mal was trinken gehen.'', klopfte Vincent mir auf die Schulter und reichte mir ein Handtuch. Im Backstagebereich steuerten wir sofort auf den Getränkestand zu und füllten unsere Becher mir Jägermeister und Cola. Plötzlich klopfte mir jemand auf die Schulter und ich drehte mich um. Sido streckte seine Hand zum High five aus. ,, Geiler Auftritt Jungs.'' Vincent grinste seinen Bro an und hielt ihm einen Becher hin. Gemeinsam stießen wir auf den Abend an und binnen kürzester Zeit, hatten wir den gesamten Alkoholvorrat leer gesoffen. ,, Ich kümmer mich mal um Nachschub.'' , schlug ich vor und lief zu den Veranstaltungsmitarbeitern, die mir zusicherten uns gleich neue Flaschen zu bringen. Bevor ich allerdings zurückging, beschloss ich noch in Ruhe eine zu Rauchen.               ,, Hoppla, tut uns leid.'', entschuldigten sich zwei Damen, die geradewegs in mich reinrannten, als ich um die Ecke bog. Ich konnte meine Zigarette gerade noch so zur Seite halten, um niemanden ein Brandmal zu verpassen. Dem Lallen nach zu Folge, waren die Ladies genau wie ich, nicht mehr ganz nüchtern. Trotz des Zusammenpralls blickte ich freundlich zu ihnen rauf und erschrak. Das kann nicht sein. Ich muss halluzinieren. Doch als auch Lisa erschrocken zu mir schaute, wusste ich, dass dieser Moment real war. Mein Herz fing an zu rasen. Ich wurde nervös und konnte nicht mehr klar denken. Ich wollte etwas sagen, konnte aber nicht. Ihr schien es nicht besser zugehen, denn noch immer starrte sie mich an. ,, Erde an Lisa? Kommst du? Ich habe Durst.'' Die unbekannte Frau hakte sich bei Lisa ein und zog sie mit sich. Schnell packte ich Lisas Arm. ,, Ey, lass meine Freundin gefälligst los.'', die Kleine baute sich vor mir auf. ,, Schon gut, Miriam. Wir kennen uns.'', beruhigte Lisa ihre Begleiterin. ,, Sag das doch gleich.'', antwortete diese genervt. Endlich fand ich meine Stimme wieder. ,, Was machst du hier?'', fragte ich vorsichtig. ,, Ähm, Miriam und ich haben Backstagekarten gewonnen und feiern ein bisschen.'', antworte Lisa zögerlich. ,, Das meine ich nicht. Wo warst du die ganze Zeit? Kannst du dir vorstellen, was wir uns für Sorgen gemacht haben? Plötzlich warst du wie vom Erdboden verschluckt.'' Bei dem Gedanken an die letzten Monate wurde ich traurig. Ich bin wortwörtlich durch die Hölle gegangen. ,, Dickerchen, was machst du denn hier solange? Wir haben Durst. Wolltest du nicht Nachschub besorgen?'' , brüllte Vincent aus weiter Entfernung und steuerte auf uns zu. Mit versteinerter Miene schaute er erst mich und dann Lisa an. Fast so, als wolle er nicht glauben, was er gerade sieht. ,, Was macht die denn hier?'' Abwertend musterte er Lisa, die sich nicht traute ihm in die Augen zu schauen. Schnell antwortete sie: ,, Meine Freundin und ich wollen einfach ein bisschen feiern. Lasst euch von uns nicht stören. Wir wollten auch gerade wieder gehen.'' ,, Ach, verpisst du dich also wieder?'', sagte Vincent spöttisch. ,, Vince, lass gut sein. Ich weiß, du bist sauer. Aber das hat doch nun keinen Sinn. '' Lisa versuchte die Situation zu entschärfen und eine Eskalation zu vermeiden. ,, Ein ganzes Jahr lang bist verschwunden und dann tauchst du hier einfach so auf, als sei nichts gewesen? Findest du das nicht ein bisschen dreist?'' Vincents Stimme wurde immer lauter, sodass die anderen Partygäste uns verstört ansahen. ,, Können wir das vielleicht woanders klären?'' Lisa schaute nervös um sich. ,, Ne, können wir nicht.'' , pampte mein Kumpel sie an. ,, Vincent, die Leute gucken schon. Lass uns reingehen.'', bat ich ihn. Widerwillens folgte er uns zum Künstlerraum, wo er lauthals die Tür hinter uns zu fielen ließ. Phil und die anderen drehten sich blitzartig in unsere Richtung und kniffen verwundert die Augen zusammen, als sie Lisa erkannten. ,, So, dann leg mal los. Was war so wichtig, dass du Dag und mich einfach im Stich gelassen hast?'', Vincent stellte sich vor die Tür, verschränkte die Arme vor der Brust und erwartete eine Erklärung. Miriam setzte sich derweil zu den anderen aufs Sofa und sah gespannt zu uns rüber. Scheinbar kannte sie uns nicht und war leicht verwundert über das Theater, welches wir veranstalteten. ,, Ich hatte meine Gründe.'', antwortete Lisa knapp. ,, Und die wären?'', bohrte Vincent weiter nach. ,, Ich kann da jetzt nicht drüber reden, ok?'' ,, Du kommst hier nicht weg, bevor die mir nicht sagst, warum du verschwunden bist!'' Demonstrativ versperrte er den Ausgang. ,, Vince, bitte. Lass mich gehen.'' Er dachte nicht mal daran sich auch nur einen Millimeter vom Fleck zu bewegen. Genervt verdrehte Lisa ihre Augen. ,, Genauso so kindisch, wie früher. Wenn du meinst, das bringt was. Ich habe Zeit mitgebracht.'' Gechillt ging sie zum Tisch, mixte sich einen Drink und setzte sich auf einen der Ledersessel. ,, Seit wann trinkst du eigentlich Alkohol?'' Noch vor einem Jahr bekam ich auf die Frage, was sie trinken wolle, immer die Antwort ''Wasser''. ,, Ich habe eben von den Besten gelernt, dass Alkohol so einiges geradebiegen kann.'', zwinkerte sie. Danke, nun sind wir auch noch schuld daran, dass sie trinkt. Es wird echt immer besser. Doch das eigentliche Highlight des Abends ließ nicht lange auf sich warten, als von außen die Tür aufging und Charlie reinkam. ,, Was ist hier denn los?'' Langsam wanderte ihr Blick durch den Raum und blieb an den Mädels haften. ,, Was machen die beiden Schlampen denn hier?'', biestig giftete sie unsere Besucher an. ,, Die Frage ist wohl eher, was du hier machst?'', Charlies Anwesenheit schien Miriam nicht zu gefallen. ,, Ihr kennt euch?'', fragte ich verwirrt. ,, Ja, leider.'', antwortete Charlie. Mit hasserfülltem Blick sah Lisa sie an und stand auf. Mit einer Geste signalisierte sie Miriam, mitzukommen, die sich ebenfalls vom Sofa erhob. Nur einen im Raum schien das Gezicke überhaupt nicht zu interessieren. ,, Ich habe immer noch keine Antwort auf meine Frage bekommen.'', sagte Vincent genervt. ,, Die wirst du auch nicht kriegen.'', antwortete Lisa und drückte den Türknauf nach unten. ,, Von wegen, Fräulein.'' Mit einem Ruck zog Vincent die Tür wieder zu. Charlie fasste ihn am Arm und fragte. ,, Schatz, woher kennst du Lisa?'' Lisas Miene erhellte sich schlagartig und spöttisch sagte sie. ,, Ach, ihr seid zusammen? Hat Papi das organisiert?'' ,, Hey, du hast nicht das Recht so über sie zu reden.'', verteidigte Vincent seine Freundin. ,, Na, da haben sich ja zwei gefunden.'' Lisa lachte lauthals auf. Nachdenklich beobachtete ich die Situation. So war Lisa doch sonst nicht drauf. Was war bloß aus dem süßen, schüchternen Mädchen von vor einem Jahr geworden?

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