Irgendwann holt die Vergangenheit einen ein

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Zwei Monate später.

Sichtweise Lisa

Draußen fielen die ersten Schneeflocken vom Himmel, die die Bäume mit einer dicken Schneeschicht bedeckten. Es erinnerte mich irgendwie an Puderzucker. Nach der Uni nahm ich einen kleinen Umweg durch den Park. Heute war der perfekte Tag um mal wieder ein paar schöne Fotos zu machen. Gemütlich lief ich den kleinen See entlang. Eine dünne Eisschicht bedeckte die Oberfläche und am Rand tummelten sich Enten, die munter übers Wasser liefen. Natürlich hatte ich meine Handschuhe vergessen und merkte, wie meine Hände langsam immer kälter wurden. Nachdem ich ein paar Schnappschüsse gemacht hatte, trat ich den Heimweg an. Doch vorher wollte ich noch kurz zu Dag, der mit Männergrippe im Bett lag. Im nächsten Einkaufscenter besorgte ich noch schnell die Zutaten für eine frische Hühnersuppe und lief dann vollbepackt zu seiner Wohnung. Er hatte mir extra seinen Zweitschlüssel gegeben. Als ich die Tür aufschließen wollte, fiel mir natürlich die Einkaufstasche aus der Hand und alle Lebensmittel waren auf dem Boden zerstreut. Schnell suchte ich alles beisammen und versuchte mein Glück erneut. ,, Dag, ich bin's'', rief ich vom Flur aus. Im Wohnzimmer hörte ich Stimmen, die plötzlich verstummten. Gespannt lief ich in die Stube, um zu sehen, wer da ist. Dag saß mit einer Decke auf dem Sofa und neben ihm Vincent mit einer Frau. Mir stockte der Atem. Cool bleiben Lisa, lass dir nichts anmerken. Den Gefallen tust du ihm nicht. Als ich den Raum betrat, sah Vince zu mir rauf. Er wirkte geschockt und wütend zugleich. ,, Hi.'', sagte ich freundlich. Keine Reaktion.             ,, Alles gut bei euch?'', fragte ich. Die Stimmung im Raum wirkte angespannt. Die unbekannte Dame kam auf mich zu und stellte sich vor. ,, Ich bin Franzi.'', freundlich hielt sie mir die Hand hin. ,, Hi, Lisa.'', sagte ich skeptisch. Bei näherer Betrachtung kam sie mir bekannt vor. Ich hatte sie schon mal auf dem Festival gesehen. ,, Bliebt ihr länger? Ich wollte Suppe kochen, ihr könnt gerne mitessen.'', fragte ich höflich und deutete zur Küche. ,,Setz dich mal bitte hin.'', bat Dag mich. Da ich nicht neben Vincent sitzen wollte, setzte ich mich neben Dag auf die Sofalehne.            ,, Ich bin schwanger.'', erzählte Franzi ganz aufgeregt. ,, Herzlichen Glückwunsch. Aber warum erzählst du mir das? Ich kenne dich doch gar nicht.'', fragte ich leicht verwundert. ,, Sie ist von Vincent schwanger.'', klärte Dag die Situation. Mir entflog lediglich ein ,, Oh.'' Mehr konnte ich darauf nicht antworten. Als ich den ersten Schock verdaut hatte, fragte ich: ,, In welchem Monat?'' ,, Vierter.'' Vincent schluckte. In meinem Kopf ratterte es und ich zählte die Monate zurück. Vier Monate, das heißt.......... er hat mich betrogen. Er hat mit ihr geschlafen, als wir noch zusammen waren. ,, Ist sie der Grund für die Trennung?'', fragte ich ruhig. Ein paar Wochen nach dem Festival fing es an, dass Vincent sich veränderte. Er lachte kaum noch, war ständig genervt und hatte immer irgendwelche Ausreden, warum er keine Zeit hat. Kurz vor seiner Amerikareise ließ er dann die Bombe platzen und gestand mir, dass er sich seiner Gefühle zu mir nicht mehr sicher sei. Aber, dass er mich betrogen und deswegen die Beziehung beendet hat, damit hätte ich nicht gerechnet. Ehrlich gesagt dachte ich wirklich, wir bekommen alles wieder hin, wenn er zurück in Berlin ist. Ich meine manchmal merkt man erst, dass man jemanden liebt, wenn derjenige nicht mehr da ist. Mir wurde gerade alles zu viel. Ich spürte einen stechenden Schmerz in der Herzgegend und mir wurde schwindelig. In meinen Ohren begann es zu rauschen. Wie kann er mir so was bloß antun? Schnell rannte ich zur Toilette und schloss mich ein. Die kühle Wand im Rücken tat gut. Ich wartete solange, bis ich wusste, dass Franzi und Vincent die Wohnung verlassen haben. ,, Sie sind weg, du kannst rauskommen.'', sagte Dag heiser. Langsam stand ich auf und öffnete das Türschloss. Verheult sah ich meinen besten Kumpel an und lehnte mich an seine Brust. Er legte seine Arme auf meinem Rücke ab. ,, Ich hab die beiden rausgeschmissen und Vincent gesagt, er braucht sich in nächster Zeit nicht blicken lassen.'', sagte Dag, als würde es die Situation besser machen. ,, Ich mache dir erst mal deine Suppe.'' Ich löste mich von ihm und war auf dem Weg zur Küche. ,, Das brauchst du nicht.''              ,, Doch, ich muss mich ablenken. Außerdem habe ich Hunger.'', antwortete ich. Trotz der Männergrippe half er mir beim Schneiden und während die Suppe vor sich hinköchelte, setzten wir uns auf das Sofa und schalteten den Fernseher ein. Ich krabbelte unter Dags Decke und legte meine Hände auf seinen Bauch. ,, Alter, deine Hände fühlen sich an wie Eiszapfen.'', seine Bauchmuskeln spannten sich an. ,, Sorry.'', schnell zog ich sie weg, doch Dag legte sie wieder auf seinem Bauch ab. ,, Jetzt ist auch egal.'', lachte er und fing an zu husten. Nach dem Essen legte Dag sich hin, während ich mich um den Abwasch kümmerte. ,, Gehst du bitte zur Tür?'', rief er aus dem Wohnzimmer. Ich legte das Handtuch beiseite und öffnete die Wohnungstür. ,, Hi, eigentlich dachte ich ja, du würdest dich bei mir melden. Ungezogenes Mädchen.'' Ohne Aufforderung betrat Felix, der Typ aus der Kneipe damals, die Wohnung. Es war Ewigkeiten her und ich hatte seine Nummer direkt in den Müll geworfen, nachdem er sie mir gegeben hatte.         ,, Ähm, entschuldige, was machst du hier?'', fragte ich forsch. Es war ganz schön unhöflich einfach so in Fremde Wohnungen einzudringen. ,, Nett habt ihr es hier.'' Felix strich mit seinen Fingern über die Bilder an der Wand. ,, Dag, kommst du mal bitte.'', rief ich mit zittriger Stimme. Felix Anwesenheit machte mich nervös. ,, Na na, wer ruft denn da gleich um Hilfe? Wir unterhalten uns doch nur.'' Felix drückte mich gegen die Wand und ich hatte keine Chance mich zu befreien. ,, Was bist du denn für ein Spinner?'' sofort zog Dag ihn beiseite. Felix wehrte sich nicht.

Sichtweise Dag

Als Lisa mich rief, stand ich sofort auf und lief in den Flur. Irgend so ein komischer Typ stand mit seinen Armen an der Wand vor ihr. Ich zog ihn zur Seite. ,, Felix? Was willst du hier?'', fragte ich erschrocken, als ich ihn erkannte. ,, Begrüßt man so etwa seinen besten Kumpel?'' Mit seiner widerlichen Art stand er vor mir und tat, als seien wir beste Kollegen. ,, Was willst du?'', fragte ich erneut. ,, Okay, okay, du möchtest scheinbar gleich zum Punkt kommen und verzichtest auf ein nettes Plauderchen.'', lachte er hämisch. ,, Wollen wir uns nicht lieber setzen?'' Aus seiner Hosentasche zog er ein Klappmesser und drängte uns damit ins Wohnzimmer. Lisa griff reflexartig nach meiner Hand, ich sah ihr an, dass sie Angst hatte. ,, Awww, wie süß. Ihr beide passt viel besser zusammen. Ich habe sowieso nie verstanden, was du an Vincent findest.'', abwertend schaute Felix an Lisa herab. Mittlerweile saßen wir auf der Couch. ,, Ich muss sagen, es hat echt Spaß gemacht mit euch.'' ,, Was meinst du?'', fragte ich ihn. ,, Na, die kleinen Spielchen, die ich mit euch spielen konnte.'', grinste er triumphierend. ,, Du warst das? Du hast uns verfolgt?'' Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich Felix an. ,, Nicht ich Dag, meine Handlanger. Du weißt doch, dass ich mir die Finger niemals selber schmutzig mache.'' ,, Aber warum?'', wollte ich wissen. Felix lachte spöttisch auf. ,, Warum? Fragst du mich gerade ernsthaft, warum? Schon vergessen, dass Vincent und du mich damals bei den Bullen verpfiffen habt? Wegen euch durfte ich in den Knast.'' ,, Das ist Jahre her.'', sagte ich kühl. ,, Na und? Glaubst du das interessiert mich? Glaubst du, ich lasse euch ungeschoren davon kommen?''         ,, Und was hat Lisa mit der ganzen Sache zu tun?'', wollte ich wissen. Felix drehte sich zu ihr. In der einen Hand hielt er das Messer, mit der anderen strich er über ihre Wange. Angeekelt drehte Lisa sich weg. Mit Gewalt zog er sie wieder zu sich. Ich wollte ihr helfen, doch mit seinem Messer signalisierte er mir, mich nicht zu rühren.

Sichtweise

Zitterndsaß ich auf der Couch. Felix war dicht vor mir, dass ich nicht die Möglichkeithatte, meinen Blick von ihm zu wenden. ,, Du kleines, hübsches Ding. Hast auchimmer nur Pech in der Liebe.'' Seine Augen fixierten mich. ,, Ehrlich gesagt,bin ich ja ein bisschen beleidigt, dass du mich nicht wieder erkennst.Eigentlich dachte ich immer, solche Gesichter prägen sich bei den Menschenein.'' Er schaute mir tief in die Augen. Ich sah den Hass, den er mir gegenüberzeigte.   ,, Na gut, dann will ich dir mal auf die Sprünge helfen.'', begann erzu erzählen. ,, Es war ein heißer Sommertag. Coole Musik, geile Partys. Alles,was eben so dazu gehört. Es war der letzte Tag. Das Geschäft boomte. Der Umsatz, hervorragend Zur Belohnung feierte ich michselbst. Gegen Abend ging es dann zurück in die Heimat. Doch leider lief mir soein Vollidiot direkt vors Auto. Er stand einfach so da. Mitten im Weg.'' Ichschluckte. Vor meinen Augen spielten sich die Szenen ab. Ich stellte mir vor,wie er Mark getötet hat. Ich selbst war nicht dabei, doch seine Erzählungensorgten dafür, dass ich mir alles bildhaft vorstellen konnte. All dieErinnerungen an die Gerichtsverhandlungen kamen wieder hoch. Wie er mirgegenüber saß, mit seinem Grinsen im Gesicht. Er zeigte kein bisschen Reue. Ichknallte ihm eine. Mit der Hand fuhr er sich über den Kiefer. ,, Nicht schlecht,für eine Frau.'', sagte Felix. ,, Bist du im Bett auch so wild?'' Er berührtemeinen Oberschenkel. ,, Nimm deine dreckigen Finger von mir, du Mörder.'',schrie ich ihn an. Dags Hände ballten sich zu Fäusten. Er stand kurz vor einerExplosion. ,, Werde mal ein bisschen lockerer. Dann kannst du es mehrgenießen.'', leise hauchte er mir die Worte ins Gesicht. ,, Du miesesSchwein.'' Dag hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. Wutentbrannt ging er aufFelix los. Auf dem Boden prügelten die beiden sich. ,, Hört auf!'', schrie ichverzweifelt. Von ihren Gesichtern tropfte das Blut. Ich wusste, sie würden biszum bitteren Ende kämpfen. ,, Hört auf, verdammt!'' Sie ließen nichtvoneinander ab. Ohne darüber nachzudenken, ging ich dazwischen. Ich spürteeinen dumpfen Schmerz in der Bauchgegend. Instinktiv tastete ich mit der Handdie Stelle ab, die sich anfühlte, als hätte mir jemand meine Eingeweideherausgerissen. Es wurde warm an meiner Haut. Ich fühlte das Blut, wie es anmeiner Hand klebte. Dag ließ von Felix ab und starrte zuerst auf die offeneWunde an meinem Bauch, bevor er das am Boden liegende Messer realisierte. Mitmeinen Augen folgte ich seinem Blick. Ich spürte das Blut in meinen Adern pulsieren.Ich wurde schläfrig, bis ich schließlich ganz das Bewusstsein verlor.

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