Shoppingtour

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Sicht Dag

Bevor Vincent und ich Lisa nach Hause brachten, holten wir aus seiner Wohnung ein altes iPhone, das er nicht mehr brauchte. So hatte Lisa wenigstens ein Handy, auf dem sie erreichbar ist, wenn irgendwas sein sollte. Allmählich spitze sich die Lage immer weiter zu. Erst Vincents Auto, dann der dubiose Anruf, den ich an dem Abend bekam, bevor ich Hals über Kopf aus Hamburg abreiste und jetzt auch noch ein Taschendieb. Auf jeden Fall gab es zwischen allen Ereignissen einen Zusammenhang, den ich nur noch nicht zu wissen schien. ,, Du willst wirklich in die Stadt?'', vernünftig versuchte ich Lisa von der Idee abzubringen. ,, Soll ich mich hier verschanzen? Außerdem kann ich Sophie nicht absagen. Sie würde mich umbringen.'', bekam ich als Antwort. ,, Ja, aber.... wenn dir was passiert?'' , stammelte ich weiter. ,, Dann dürft ihr ja auch nicht mehr raus.'', sagte Lisa. ,, Uns könnte überall etwas passieren! Wollen wir uns wirklich von irgendeinem dahergelaufen Volltrottel das Leben versauen lassen?'', fragend schaute sie mich an. Ich wusste zwar, dass sie recht hatte, trotzdem sorgte ich mich. Vor nicht ein mal zwei Stunden wurden wir auf offener Straße angegriffen und nun will sie einfach so in die Stadt, wo es nur so von Menschen wimmelt. Vor potenziellen Angreifern, um es genau zu sagen. ,, Dag, ich weiß, du machst dir Sorgen. Aber das brauchst du nicht, ok? Ich passe auf mich auf. Versprochen.'' Mit Kulleraugen und einem zuckersüßen Lächeln sah sie zu mir rüber. Da ich sie schlecht einsperren konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als ihre Entscheidung zu akzeptieren und zu hoffen, dass alles gut geht. Sie wandte sich von mir ab und ging auf Vincent zu. ,, Kannst du mir nochmal die Bedienung erklären?'', hilflos hielt sie das iPhone in der Hand. Zum ersten Mal an diesem Tag sah ich meinen Bro lächeln. Seine schlechte Laune fiel mir schon heute Morgen auf. Zwar war es nichts Ungewöhnliches, aber so hatte ich ihn lange nicht erlebt. Vor allem, weil gestern Abend noch alles in Ordnung war. Während er Lisa Schritt für Schritt erklärte, wo sich auf dem Handy, welche Funktion befand, amüsierte ich mich an ihrem Gesichtsausdruck. Angestrengt folgte sie seinen Anweisungen. Eigentlich war sie nicht dumm, was technische Geräte angeht, ganz im Gegenteil. Deswegen wunderte mich ihre Hilflosigkeit ein wenig. ,, Gut, ich glaube jetzt habe ich es kapiert.'', sagte Lisa schließlich und bedankte sich nochmal bei Vincent, der immer noch grinste. Bei einem Blick auf die Uhr schreckte sie auf. ,, Ich muss mich schnell fertig machen, Sophie kommt in einer Stunde! Falls ihr noch was trinken möchtet, bedient euch.'' Schnell verschwand Lisa im Schlafzimmer und danach im Bad. Frisch geduscht und leicht geschminkt, kam sie wieder zu uns in die Küche und schenkte sich ein Glas Wasser ein. Ihre Haare hatte sie zu einem lässigen Dutt zusammengesteckt. Ihre Augen weiteten sich, als es an der Wohnungstür klingelte. ,,Warum kommt sie immer zu früh?'' Fluchend verließ Lisa den Raum. Vincent und ich hörten durch den Flur ein leises Kreischen, als die Tür aufging und Lisas Freundin reinkam. Warum Frauen so etwas machen, begreife ich bis heute nicht. Eine kleine zierliche Person betrat die Küche und schaute uns verwundert an. ,, Sind das die beiden Schnuckelchen, von denen du erzählt hast?'', gespannt sah sie zu Lisa rüber, die rot anlief und am liebsten im Erdboden versunken wäre. Wir sind also ihre Schnuckelchen, grinste ich innerlich. ,, Ja, das sind Dag und Vincent.'', stellte Lisa uns vor. ,, Kommen die beiden mit?'', fragte Sophie. ,, Ähm, eigentlich wollten sie gleich nach Hause.'', stammelte Lisa. Enttäuscht senkte Sophie den Kopf. ,, Schade. Männliche Shoppingbegleitung wäre schon ganz nice.''               ,, Wenn ihr uns unbedingt dabei haben wollt, kommen wir gern mit.'' Ich ging auf Vince zu, der mich mit seinem '' Dein ernst Alter?'' Blick anschaute. ,, Cool, dann würde ich sagen, auf geht's.'' Sophie scheuchte uns förmlich aus der Wohnung. Beim Rausgehen, flüsterte Vincent. ,, Das kriegst du alles wieder, Dicker. Shoppen! Ich glaube, mein Schwein pfeift.'' Lisa sah mich ebenfalls verwundert an. Mit unserer, bzw. meiner Zustimmung hatte sie anscheinend nicht gerechnet. Na ja, ganz uneigennützig ist das alles ja nicht. So kann ich ein Auge auf sie werfen, falls etwas passieren sollte. Als Erstes schleppten die Damen uns zu H&M. So, als sei es das natürlichste der Welt, steuerte Sophie direkt auf die Unterwäscheabteilung zu und hielt uns Strings und BH's unter die Nase. Dafür, dass die Frau uns gerade mal ein paar Minuten kannte, war sie ganz schön offen und hatte anscheinend kein Problem damit, fremde Männer nach ihrer Meinung zu fragen, was ihre Unterwäschewahl betraf. Überfordert sah Vince zu mir rüber und Lisa kicherte. Gut, wenn sonst keiner will, gebe ich eben ein Statement ab. ,, Ich würde das linke nehmen. Die Farbe ist schöner.'', sagte ich. ,, Ok. Bin gleich wieder da.'' Sophie zog sich in eine der Umkleidekabinen zurück. ,, Sie führt uns das aber nicht live vor, oder?'', fragte ich Lisa, die herzlich zu Lachen begann. ,, Wieso? Du bist doch sonst auch nicht so verschlossen.'' Immer noch grinste sie mich an. Glücklicherweise präsentierte Sophie uns ihre Auswahl nicht, sondern packte es einfach in die Tasche und stöberte weiter durch die Regale. ,, Hier, das wäre doch was Hübsches für dich Süße.'' Sie zeigte Lisa einen, mit Spitze bezogenen BH. ,,Nein, danke..'' , bekam Sophie als Antwort auf ihren Vorschlag. Danach ging es rauf in den ersten Stock. Vor uns tummelten sich reihenweise Kleiderständer mit Frauenklamotten. ,, Dag, warum tust du mir das an? Hasst mich wirklich so sehr?'', verzweifelt stand mein Kumpel neben mir und sah mich vorwurfsvoll an. Mich hingegen amüsierte die Tatsache, dass ich ihn zu etwas zwang, was er abgrundtief hasste. Als er noch mit Franzi zusammen war, nötigte sie ihn ständig dazu mit ihr Kleider shoppen zu gehen. Solange bis er sich Ausreden einfielen ließ, warum er nicht mitkonnte. Meistens mussten die Musik oder ich als Alibi hinhalten. ,, Entspann dich Dicker. Vielleicht lernst du noch was.'', ich verzog meinen Mund zu einem frechen Grinsen. ,, Dag! Vincent! Kommt mal her!'' Fragend liefen wir Richtung Umkleideraum und gerieten mitten in eine Frauendiskussion. ,, Lisa, komm endlich raus.'' Genervt wartete Sophie vor der Umkleidekabine. ,, Nein, das sieht furchtbar aus.'', hörte ich nur. ,, Könnt ihr mal ein Machtwort sprechen? Sie hat so ein süßes Kleid an, meint aber, es sieht scheiße aus. '', fragte Sophie höflich. ,, Schnuppelchen, komm raus. Wir beißen nicht.'' , sagte ich zu Lisa. ,, Nenn mich nicht Schnuppelchen, du Doofkopf.'', wütend stand sie vor uns. Genau das wollte ich bezwecken. Lisa hasste es, wenn ich sie Schnuppelchen nannte. Warum, weiß ich bis heute nicht. Immer, wenn ich sie ärgern oder so wie jetzt, zu etwas bewegen wollte, nannte ich sie so. ,, Was haste denn? Sieht doch gut aus.'' Ich betrachtete das Kleid und konnte nicht nachvollziehen, was daran auszusetzten war. ,, Aber das ist doch viel zu kurz.'', nörgelte sie rum. ,, Dreh dich mal um.'' , bat ich sie. ,, Oh Gott, mein sieht ein Stück von deiner Pobacke.'', scherzte ich. ,, Was?'', verlegen hielt sie sich die Hände an das Gesäß. ,, Scherz. Das Kleid ist nicht zu kurz. Es sieht super aus.'' , sagte ich ernst. Für meinen Witz kassierte allerdings ich einen Seitenhieb ihrerseits. Nach zwei Stunden waren wir endlich fertig und konnten was essen gehen. Wir machten Halt an unserer Lieblingsdönerbude und setzten uns auf die Holzbänke. Neugierig quetschte Sophie Vincent und mich aus. Nachdem wir die beiden Damen nach Hause gebracht hatten, liefen Vincent und ich noch kurz zum Studio. ,, So, jetzt raus mit der Sprache. Was ist los bei dir Dicker?'', fordernd stellte ich mich vor Vincent, der es sich im Drehstuhl gemütlich gemacht hatte. ,, Nix, was soll denn sein?'' Dachte er wirklich, damit gebe ich mich zufrieden? ,, Komm schon, gestern war alles gut und heute? Warum war Lisa heute Morgen überhaupt in ihrer Wohnung? Sie hat doch gestern bei dir gepennt, oder nicht?'' Sein Blick wurde nachdenklich und meines Erachtens kam die Antwort auf meine Frage mit großer Verzögerung. ,, Ihr ging es nicht gut und sie wollte Heim.'' ,, Ah ja, und warum seht ihr beide heute so beschissen aus? Habt ihr euch gestritten? Hast du sie etwa wieder unnötig angemeckert, obwohl sie nur helfen wollte?'' In seinem Gesicht machte sich Panik breit. ,, Alter, laber keinen Müll. Wir haben uns nicht gestritten.'' Kopfschüttelnd und böse sah Vincent zu mir rüber. Lügen konnte er noch nie besonders gut, weswegen ich ihn mit meinem '' Verarsch mich nicht und rück endlich mit der Wahrheit raus!'' Blick durchbohrte. Kurz überlegte mein Kumpel, ob er einen zweiten Versuch starten sollte, mir etwas vom Pferd zu erzählen, entschied sich dann aber dagegen und rückte mit der Wahrheit raus. ,, Wir haben uns geküsst.'' Er drehte den Kopf zur Seite und fixierte den Bildschirm. Das tat er immer, wenn ihm etwas unangenehm war. ,, Denkste, das wusste ich nicht?'', sagte ich.             ,, Woher? Hat Lisa...?'' ,, Nein, hat sie nicht. Ihr beide verhaltet euch schon die ganze Zeit so komisch und da habe ich eins und eins zusammengezählt. Außerdem kenne ich dich lange genug, um zu wissen, wann du eine Frau interessant findest. Was ich allerdings nicht verstehe ist, warum ihr beide so pissig drauf seid? Normalerweise solltet ihr auf Wolke sieben schweben. Oder will sie nichts von dir?'', fragte ich neugierig. ,, Das ist ja das Problem. Irgendwie ist die ganze Sache kompliziert und wir wissen es selber nicht so genau.'', jammerte Vincent rum. ,, Oh Mann, bei dir kann es auch nicht einmal vernünftig laufen mit den Frauen, oder?'' ,, Sagt der Richtige.'', nuschelte er vor sich hin. ,, Was willste damit sagen?'' ,, Ach komm Dag, Mara und du seid ja wohl viel schlimmer, als nur kompliziert.'' ,, Laber nicht rum. Wir hatten einmal was miteinander und ich habe gemerkt, dass es nur Freundschaft ist und kann nichts dafür, dass sie mehr empfindet.'', verteidigte ich mich. ,, Du weißt aber, dass sie nicht nur mit dir befreundet sein will.'', kam sofort zurück. ,, Natürlich weiß ich das. Deswegen ist ja so kompliziert. Wir können nicht mit und nicht ohne einander. Was soll ich denn machen?'' Über das Thema zu sprechen löste in mir innere Unruhe aus. Sofort merkte ich, wie der Drang eine zu Rauchen und mich runterzufahren immer stärker wurde. ,, Bin mal kurz draußen.'' Ich schnappte meine Jacke und lief vor die Tür, um an meiner Kippe zu ziehen. Sonst rauche ich auch drinnen, aber gerade brauchte ich ein bisschen frische Luft. So gut es geht, versuche ich die Geschichte mit Mara zu verdrängen und mich abzulenken, weil jeder Gedanke daran schmerzt. Ich mag sie wirklich. Aber eben nur als Freundin. Ich weiß, wie schwer es für sie sein muss, mich um sich zu haben und zu wissen, dass aus uns nie mehr werden wird. Wer konnte die Situation besser nachvollziehen, wenn nicht ich? Sie aus meinem Leben streichen, kam allerdings auch nicht infrage, dafür habe ich sie zu gern. Fuck ey! Warum kann nicht einfach mal irgendwas mitlaufen? Warum muss mein ganzes Leben immer so verkorkst sein? Die Lust Musik zu machen und Songtexte für das neue Album zu schreiben verschwand und ich wollte den restlichen Abend lieber allein auf der Couch verbringen. Also schrieb ich Vincent, dass ich auf dem Heimweg sei und wir uns morgen sehen. Reinzugehen, um mich persönlich zu verabschieden, darauf hatte ich gerade keinen Bock.

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