Feindbild - 2

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Meine Augen hefteten sich panisch auf den Bildschirm und betrachteten eine Reportage über die Explosionen. Der Text war eher gering gehalten und wurde von vielen grausamen Bildern überschattet. Die meisten von ihnen zeigten zerstörte Gebäude, in denen kleinere Feuer brannten, doch es wurden auch viele Menschen, Leviathane und Gestaltwandler abgebildet. Sie alle waren mit Ruß verschmiert und hatten teilweise große Wunden. Die Kinder auf den Fotos schrien stumm nach ihren Müttern. Es waren allerdings nicht die zerstörten Gebäude, die Verletzten oder Trauerenden, die mich so entsetzen. Die bittere Wahrheit war, dass ich genau diese Bilder erwartet hatte, anders sah es jedoch mit der reißerischen Überschrift und den vielen hasserfüllten Kommentaren aus.

So gut wie alle Kommentarschreiber waren sich einig, dass die Flammengeborenen nicht nur eine Gefahr für die Stadt darstellten, sondern dass sie die Explosionen als gezielte Anschläge nutzen. Ein paar forderten die Flammengeborenen auf unverzüglich die Stadt zu verlassen, doch die meisten nutzten die Kommentarspalten aus, um die Flammengeborenen auf das Übelste zu Beschimpfen und zu Bedrohen. Ich konnte absolut keine Menschlichkeit in den meisten Sätzen erkennen, denn sie waren getränkt mit reinem Hass.

Wie hatte die Situation so schnell derartig stark außer Kontrolle geraten können? Mit klopfendem Herzen suchte ich nach älteren Artikeln und stellte fest, dass dort die erste Explosion als ein tragischer Unfall geschildert wurde. Selbst ein paar Mitleidsbekundungen konnte ich unter den älteren Kommentaren finden, während die neueren wieder darauf abzielten, die Flammengeborenen zu verhöhnen und zu verspotten, da nun die Wahrheit ans Licht gekommen sei.

Bereits kurz nach der zweiten Explosion, die nur wenig später nach der Ersten stattfand, glaubte scheinbar kaum einer mehr an die Unschuld der Flammengeborenen. Verwirrt forschte ich nach, woran das liegen konnte und fand einen Artikel, der kurz nach der ersten Explosion erschienen war. Aus vertrauenswürdigen Quellen wusste ich, dass hinter dieser Internetseite der Konzern Alpha steckte. Als ich den Artikel überflog, konnte ich mir auch sehr rasch ausmalen wie der Zorn der Bevölkerung zustande gekommen war. Der gesamte Text war gestückt mit nicht beweisbaren Behauptungen, die jedoch auf dieser Seite als Tatsachen formuliert waren. Angeblich wollten die Flammengeborenen mit geschickt drapierten Explosionen die Stadt schwächen. So würden sie nach dem Artikel ihre derzeit wacklige Position sichern und weiterhin an der Spitze der Macht bleiben.

Hätte nur eine Explosion die Stadt erschüttert, wären die meisten Leser dem Ziel des Artikels auf die Schliche gekommen. Die Leviathane wollten mit dieser Aufhetzung gegen die Flammengeborenen, selbst ihre Machtposition festigen und wenn möglich erweitern. Doch nach der ersten Explosion folgte kurz darauf die Zweite. Einige Gemüter schwappten über und ließen ihre aufbrausenden Gefühle den Verstand übernehmen. Es entstanden viele hassgetränkte Kommentare, die zunächst in kleinen Gruppen großen Beifall fanden. Diese Gruppen wuchsen jedoch rasch an, als die Explosionen nicht stoppten.

Ich konnte es niemanden übel nehmen, dass man an der Theorie von Unfällen zweifelte, immerhin tat ich das auch. In dieser Stadt hatte zuletzt vor 80 Jahren ein Flammengeborener die Kontrolle verloren. Es hatte sich dabei um ein kleines Kind gehandelt, das in einem Wutanfall ein ganzes Hochhaus mit ins Grab genommen hatte. Doch man durfte noch lange nicht die Augen verschließen und einer dummen Lüge glauben, nur weil man gut erkannt hatte, dass es sich bei den Explosionen wahrscheinlich nicht um Unfälle handelte. Die Wut und das Festklammern an ein Feindbild waren eine vollkommen menschliche Reaktion auf schreckliche Unglücke, aber noch nie war aus emotionsgetriebenen Fehlschlüssen etwas Gutes entstanden.

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