Kleines Entlein - 2

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Ich war vollkommen erschüttert und wusste nicht, was ich sagen sollte. Das Mädchen hatte eben miterleben müssen, wie ihre Mutter bei einer gewaltigen Explosion verletzt wurde. Der Gedanke verwirrte mich. Es schien unmöglich, dass das Kind direkt den Flammen ausgesetzt gewesen war. Es hätte dabei sterben oder zumindest schwer verletzt werden müssen und ich konnte an der Kleinen keine einzige Schramme feststellen. Das Mädchen und seine Mutter hatten höchstens einen schwachen Teil der Explosionsauswirkung miterlebt. Sie hatten wahrscheinlich nicht direkt in den Flammen gestanden, sondern hatten kleine Auswirkungen der Druckwelle miterlebt. Anderseits konnte ich mir auf diesen Mann, den das Mädchen erwähnt hatte, einfach keinen Reim machen. Vielleicht hatte der Fremde sie vor niederfallenden Haustrümmern oder etwas in der Art gerettet?

Das war mit Sicherheit eine gute Theorie, doch die nächsten Worte meiner Gesprächspartnerin zerstörten meine Überlegungen auf der Stelle: „Der Mann war wirklich mutig. Er hat mich vor dem Flammenmeer beschützt. Meine Mutter hat jedoch sehr starke Verbrennungen bekommen."

Verwirrt blinzelte ich einmal, dann ein zweites Mal. Mein Gehirn versuchte eine halbwegs logische Lösung zu finden, doch es konnte sich einfach keine zusammenreimen.

Die Hochbahn wurde langsamer. Eine freundliche Stimme ertönte durch die Lautsprecher und die Kleine hob erstaunt den Kopf. Verwirrt betrachtete sie kurz ihre Umgebung, bevor sie sich an mich wandte und erklärte: „Ich muss hier raus. Vielen Dank für deine Geschichte. Grüß deine kleine Schwester von mir."

Die Türen der Bahn gingen auf und das Mädchen lief zusammen mit vielen weiteren Menschen aus dem Wagon. Einen Moment stand ich unschlüssig da. Samuels besorgte Stimme schlich sich in meinen Kopf. Er hatte keine Ahnung gehabt, was sich bei dieser Explosion genau abgespielt hatte. Scheinbar war sie für den Kontrollverlust eines mächtigen Flammengeborenen zu schwach gewesen und doch sprachen alle Indizien genau dafür. Was war jedoch, wenn hinter der Explosion noch mehr stand?

Ich blickte dem kleinen Mädchen nach. Mit sicheren Schritten ging sie auf die noch geschlossene Aufzugstür zu. Ich ließ eben die Gelegenheit, mit einer Augenzeugin zu reden, einfach so an mir vorbeiziehen. Vielleicht hatte das Mädchen wirklich etwas Wichtiges gesehen? Was hatte es mit dem seltsamen Mann auf sich? Sollte ich ihr nicht vielleicht doch ein, zwei kleine Fragen stellen? Es könnte Samuel von Nutzen sein und den Tod von Vielen erklären. Wütend schüttelte ich den Kopf. Was dachte ich da bloß? Ich war ein ganz normaler, winziger Mensch und sollte mich nicht in Angelegenheiten einmischen, die viel größer waren als ich. Meine Fragerei würde mir bloß meinen eigenen Kopf kosten.

Die Türen der Hochbahn schlossen sich langsam. Ich warf einen letzten Blick auf das Mädchen und seufzte schwer. Sollte ich nicht vielleicht doch...? Auf einmal bewegten sich meine Beine wie von selbst. Ich rannte los, quetschte mich durch den winzigen Spalt, der noch nicht ganz geschlossenen Türen und sprang auf den Bahnhof. Die Leute hinter mir meckerten mich laut an, doch ich joggte bereits auf das Mädchen zu. Die Kleine wandte sich bei den Aufruhr um und beobachtete mich mit ihren großen braunen Augen fragend.

„Ich habe beschlossen, dass ich dich nach Hause begleite", erklärte ich leicht schnaufend. Ich sollte wirklich irgendwann an meiner Kondition arbeiten.

„Das möchte ich aber nicht", erwiderte das Mädchen prompt und blickte mich misstrauisch an.

„Wieso?", fragte ich so lieb wie nur möglich nach, doch scheinbar brachte mein höflicher Ton nicht viel, denn sie trat nervös von einen Bein auf das andere.

Mit ängstlichen Blicken schaute sie von einer zur anderen Seite und zuckte bei jedem neuen Menschengesicht zusammen. Mit ihren kleinen weißen Zähnchen biss sie sich leicht auf die Lippen, bevor sie einfach den Kopf schüttelte.

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