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Am 15.06.2019 ...

„Danke Düsseldorf!", rufen Andreas und ich wie aus einem Munde. Schon wieder winken wir und das auch schon minutenlang. Wir lachen beide und ich lege meinen Arm um meinen Bruder. Es ist geschafft! Auch diese einzigartige Show haben wir perfekt hinter uns gebracht. Was für ein unglaubliches Gefühl. Wir verbeugen uns noch etliche Male. Die Menge hört gar nicht mehr auf zu klatschen und zu jubeln. „Vielen Dank! Es war wunderbar bei euch!", ruft Andreas. Wir stehen hier bestimmt schon eine Viertelstunde. Ständig verbeugen wir uns. Sehen in die Menge und es ist ein so krasses Gefühl. Ich erkenne zwischen den einzelnen Personen viele bekannte Gesichter. Menschen, die man schon öfter in einer Show der Tour gesehen hat. Ein paar Leute aus dem Fanclub, die man schon kennt. Sie rufen alle laut und klatschen. Die Hände müssten doch allmählich schmerzen. „Ihr wart super! Das war der Wahnsinn!", brülle ich. Andreas lacht und schaut mich an. Es wird Zeit zu gehen. Ich wende sich an das Publikum. „Macht's gut. Bis irgendwann!", versuche ich mir Gehör zu verschaffen. Doch man hört mich nicht. Morgen kann wieder keiner etwas sagen. „Bleib nicht mehr so lange, sonst hören die nie auf." Mit diesen Worten verlasse ich die Bühne. Andreas bleibt allein auf der großen Bühne zurück. Ich gehe in den Backstagebereich hinter die Bühne. Das Gefühl werde ich vermissen. Die vielen staunenden Gesichter. Die vielen kleinen Fans, die noch gar nichts richtig begreifen können. Es ist zwar nicht für immer, aber für eine gewisse Zeit wird es mir fehlen. Das Gefühl auf der Bühne zu stehen. Man kann es sich leider nicht einpacken und mitnehmen. Für später aufheben, das geht leider nicht. Ich setze mich hinten auf eine der Kisten und stütze mein Gesicht auf meine Hände. Verdammt, was für ein Tag. Was für eine Show! Ich schlucke. So ein Scheiß. Ich reiße mir das Mikrofon vom Hals und schnaufe einmal tief durch. Die Temperatur steigt gerade ins Unermessliche an. Jetzt auch nach diesen vielen Shows, da fällt es mir sehr schwer. Andreas kommt auf mich zu. Ich höre es an seinen Schritten. Ich erkenne ihn an seinen Schritten. „Chris...", flüstert er leise. Doch ich achte nicht auf ihn. Da streckt mein Bruder seine Hand aus und berührte mich vorsichtig. Ich will ihm nicht weh tun, doch ich kann ihn nicht anschauen. „Bruder...", hauche ich. Behutsam setzt Andreas sich neben mich und zieht mich in eine Umarmung. Und da erwache ich aus meiner Starre. Ich kralle mich fest an meinen Bruder. Er streicht sanft über meinen Rücken, während ich doch irgendwie zu zittern beginne. Wie oft wurde uns gesagt, dass wir auch nur Menschen sind? Zu oft. Und was haben wir gesagt? 'Ach, das passt schon. Wir machen ja nicht übermenschliches...' Gelacht haben wir. Ich lehne meinen Kopf auf seine Schulter. Verstecke ihn dort. „Super gemacht.", sagt Andreas leise. Doch ich schweige. Doch statt Fragen zu stellen, drückt er mich noch näher an sich. Wir haben es geschafft. Wieder unzählige Shows hinter uns gebracht. Nur zwei Menschen sind heute nicht mehr dabei. Der Mensch, die uns am meisten unterstützt und geformt hat, was das Thema angeht, der fehlt heute. Und dann ein Mensch, der den Weg dann hinterher mit mir gegangen ist. Manchmal wünscht man sich schon, man könnte ihn noch ein letztes Mal fragen, ob das hier genauso ist, wie er es sich immer vorgestellt hat. Einfach mal fragen, ob er damit zufrieden ist. „Es war genauso, wie er es sich vorgestellt hat.", flüstert Andreas. Es war sogar noch viel besser! Und am liebsten würde ich ihr gerne zeigen, das ich alles überstanden habe. „Er hat es gesehen, Chris. Von oben. Da hatte er die schönste Sicht auf alles. Er hat es mit ihr zusammen gesehen. Ganz sicher. Sie freut sich total für dich.", kommt es leise von meinem Bruder. „Er... Ihm hat es unglaublich gefallen und ihr auch." Nach diesen Worten schweigt Andreas. Und ich schweige noch immer.

Wir sitzen eine lange Zeit einfach so. Ich bin mir sicher, inzwischen haben alle Fans die Halle verlassen und wir werden bestimmt erwartet. Doch niemand sucht uns hier. Ich muss mich dann doch irgendwann bewegen und so gibt Andreas mir ein bisschen mehr Platz. Da richte ich mich ganz auf. „Danke.", flüstere ich leise. „Aber immer doch, Bruder. Wir haben im Bus bestimmt noch Schokolade, die macht wieder gute Laune.", grinst Andreas. Aber ich sehe ihn nur mit meinen glasigen Augen an. „Wird das jemals besser?", frage ich ihn schniefend. Andreas zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung, Kleiner. Manchmal wünsche ich es mir auch sehr, aber merken tue ich nichts. Zumindest bei..." Nun lässt auch Andreas den Kopf hängen. „Wo sind eigentlich die Kinder?", erkundige ich mich. Wo wir gerade dabei sind, miese Stimmung zu verbreiten. Da können wir das Thema auch anschneiden. Mein Bruder seufzt. Okay, vielleicht doch das falsche Thema. Jetzt sinken wir noch tiefer mit der Stimmung. „Die saßen vorhin noch bei Mama im Publikum. Die Jungs haben sich wirklich mächtig gefreut.", erklärt Andreas. Ich nicke. „Okay, dann sollten wir uns gleich mal um die beiden kümmern.", sage ich. Mein Bruder nickt. „Ja, die beiden haben sicherlich auch schon großen Hunger.", lacht mein Bruder. Auch ich muss da lachen. „Wirklich. Dann sollten wir mal los. ", sage ich. Aber wir bewegen uns nicht.

Nothing else matters ~ Ehrlich BrothersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt