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Während sich der Samstag zum Ende neigt, plane ich schon für den Sonntag. Erst einmal fange ich wieder an zu joggen. Heute war ich ja nun nicht, aber morgen muss ich dann auf jeden Fall wieder. Vielleicht mache ich mich auch mal auf eine längere Strecke mit verschiedenen Zielen. So einen Tagesausflug. Das ist doch wirklich eine schöne Idee. Dann schmiere ich mir ein paar Brote mehr und nehme mir in einem kleinen Rucksack auch zwei Flaschen mit. Das wird sicherlich richtig schön. Begeistert von diesem Vorhaben und voller Vorfreude gehe ich dann doch relativ früh ins Bett. Aber so richtig einschlafen kann ich erst sehr spät. Was man am nächsten Morgen dann auch direkt merkt. Als ich meine Augen aufschlage und mein Blick zu meinem Wecker schweift, staune ich erneut nicht schlecht. Es ist Viertel nach Zehn. Hoffentlich ist es draußen nicht schon zu warm. Der Sommer macht sich ja schon irgendwie bemerkbar. Aber davon lasse ich mich nicht aufhalten. So packe ich mir mein Gepäck ordentlich zusammen. Dann suche ich mir wetterfeste Kleidung heraus. Also Multifunktionswäsche und noch eine Unterlage, falls ich mich mal außerhalb der Zivilisation befinden sollte. Mit solchen Sachen kann man sich dann nämlich auch auf Waldboden setzen, wenn man da Hemmungen hat. Also, ich habe ja keine. Aber das würde mir vermutlich nun auch keiner mehr glauben. Die Sachen sind fertig gepackt und ich muss mich nur noch anziehen. Dann bin ich fertig und schwinge den Rucksack über meine Schultern. Nur noch ein letztes Mal die Wohnung abchecken und schon mache ich mich auf den Weg nach draußen. Nachdem ich das Haus verlasse habe, beginne ich leicht zu joggen. Mal schauen, wo mich der Weg heute hinführt. Ich hoffe sehr, nicht zu weit weg. Denn so viel Geld für ein Taxi nach Hause habe ich nicht dabei. Aber während ich so laufe, fällt mir auf, dass ich mir eigentlich ganz gut auskenne. Und ich habe ja auch genügend Ausdauer bei der Tour und dem üblichen joggen schon aufgebaut. Die Strecke ist also doch nicht ganz neu und so komme ich nach einem langen Tag und einem Eis wieder nach Hause.

Als ich aus der Dusche steige ist es schon Viertel vor Fünf. Gerade als ich mir meine Jogginghose überziehe, klingelt es an der Tür. Ist es jetzt Andreas, der einen Überraschungsbesuch machen möchte? Ich gehe zur Tür und öffne diese. „Herr Reinelt, ich bringe Ihnen ihre Eier wieder. Als kleines Dankeschön, habe ich Ihnen einen Kuchen gebacken. Nun ja, ich fürchte zwar, dass ich dafür auch ein zwei Eier gebraucht habe, aber es wurde daraus ja ein schöner Kuchen.", lächelt Frau Hartl mich an. Ich nicke. „Aber natürlich, ich freue mich sehr über den Kuchen. Und wissen Sie was? Ich lade Sie einfach spontan zum Essen ein. Wenn Sie nichts anderes vorhaben, dann bleiben Sie doch einfach und ich koche uns etwas nettes.", schlage ich vor und die Schachtel mit den Eiern entgegen. Auch den Kuchen reicht Frau Hartl mir rüber. „Oh, das ist doch nicht nötig, Herr Reinelt.", sagt sie dann verlegen. Doch ich bestehe darauf. „Kommen Sie schon. Ich habe mich auch noch gar nicht richtig dafür bedanken können, dass Sie sich immer um meine Post kümmern. Da haben Sie ja auch noch etwas gut. Warum nicht bei einem leckeren Essen? Ich verspreche Ihnen auch, dass es kein aufwendiges Fünf-Gänge-Menü wird, sondern nur eine Kleinigkeit.", versuche ich Frau Hartl zu überzeugen. Noch ist sie nicht ganz überzeugt, aber sie läuft vorsichtig in meine Wohnung. „Nun ja, schaden wird es ja nicht. Ich wusste bis gerade sowieso nicht, was ich heute Abend kochen wollte. Die Pfannkuchen sind mir gestern total misslungen.", beschwert sie sich und lacht danach herzlich auf. Auch ich muss lachen. Dann führe ich Frau Hartl in die Küche. „Nehmen Sie doch solange Platz. Ist es Ihnen Recht, wenn ich schon anfange? Oder haben Sie noch gar keinen Hunger?", frage ich. Doch Frau Hartl weiß ziemlich schnell, wann sie essen möchte. „Ich verhungere bald, wenn ich nichts esse.", lächelt sie und ich grinse. Dann salutiere ich und antworte: „Ihr Wunsch ist mir Befehl, Ma'am."

Ich mache mich sogleich ans Werk und beginne ein leckeres Abendessen zu zaubern. Nun ja, was man so zaubern nennt. Während des Kochens unterhalte ich mich mit Frau Hartl und wir verstehen uns gut. Sie erzählt mir ein bisschen etwas über ihre Familie und ich höre ihr geduldig zu. Aber auch ich erzähle ein bisschen über unsere Familie. Ich erzähle viel über den Job und die Beziehung zu meinem Bruder. Es ist ein schönes und nettes Gespräch. Schließlich ist das Essen auch schon fertig und ich serviere es auf dem Tisch. Schnell decke ich noch den Tisch und reiche Frau Hartl ihr Besteck. „Möchten Sie auch etwas trinken?", frage ich Frau Hartl. Sie nickt. „Ein Glas Wasser, wenn es geht." Ich erfülle ihr diesen Wunsch sofort und stelle ihr ein gefülltes Glas neben ihren Teller. Dann setze ich mich auf den anderen freien Stuhl. „Bitte, bedienen Sie sich. Ich hoffe, dass es Ihnen schmeckt.", sage ich und Frau Hartl legt sich etwas vom Essen auf ihren Teller. Die ersten Minuten des Essens verlaufen schweigend. „Sie kochen wirklich gut. Ich meine dafür, dass Sie immer unterwegs sind und eigentlich auch nie kochen müssen.", lobt Frau Hartl. Ich lache. „In der Tat. Das hätten Sie bestimmt nicht gedacht, aber in mir schlummern verborgene Talente.", sage ich. Da muss auch Frau Hartl lachen. Ich stecke mir eine weitere Gabel mit Spagetti in den Mund. Es ist wirklich sehr lecker. Ich hätte niemals gedacht, dass es so gut wird. Wirklich fantastisch. Naja, das war ja irgendwie doch einfach. Nudeln kochen und dann nur noch die Soße kochen. Aber ja, kochen kann ich gut. „Es freut mich, dass ich Sie zu diesem Essen überreden konnte.", erkläre ich. Frau Hartl lacht. „Wie hätte ich da Nein sagen können?" Ich schmunzle. Tja, das war dann wohl mein unverwechselbarer Charme. Wir unterhalten uns noch lachend über Fußball, bis plötzlich mein Handy klingelt. „Bitte entschuldigen Sie. Ich fürchte, ich muss da rangehen.", sage ich und erhebe mich. „Aber natürlich. Ich halte Sie nicht auf, bitte, bitte.", meint Frau Hartl. „Vermutlich ist das mein Bruder, der gerade seine Kinder weggebracht hat und jetzt wieder allein Zuhause sitzt. Möglicherweise endet das nachher noch mit einem ruhigen Bier auf der Couch. Meistens enden unsere Abende dann so, dass ich bei ihm schlafe.", erkläre ich noch. Dann bin ich auch schon im Wohnzimmer und nehme den Anruf auf meinem Handy an. „Ja, Hallo?", melde ich mich. Aber es ist nicht Andreas am anderen Ende. Das ist ja das, was ich irgendwie erwartet habe. Zuerst höre ich nur viele leise Stimmen. Manche lauter, andere leiser. Das andere Handy wird gerade scheinbar weitergereicht. „Ist da der Onkel jetzt dran? War das die Nummer?", fragt plötzlich eine fremde Stimme. Mir bleibt das Herz stehen. Wer ist da? „Hallo, wer ist da bitte?", erkundige ich mich nervös. Und als es mir erklärt wird, muss ich mich setzen. „Guten Tag, Herr Reinelt. Mein Name ist Johannes Lanke. Ich bin Rettungsassistent. Meine Kollegen und ich sind zu einem Einsatz bei Ihrem Bruder gerufen worden. Aufgrund seiner Verletzungen ist ein Transport in das Lukas-Krankenhaus unumgänglich. Können Sie vielleicht vorbeikommen und sich um die Kinder kümmern? Ansonsten würde die Polizei die Kinder bei Ihnen vorbeibringen."

Ich weiß gar nicht, was ich zuerst gedacht habe. Ob ich wirklich zuerst Andreas gedacht habe? Oder zuerst an die Kinder? Vielleicht habe ich auch zuerst daran gedacht, wie schnell ich dahin fahren kann. Oder wo die ganzen Blitzer auf der Strecke stehen. Oder habe ich jetzt doch zuerst daran gedacht, was ich nun mit dem angefangenen Abendessen machen soll? Muss ich eigentlich nochmal zur Toilette oder war ich schon? Habe ich eigentlich beim letzten Mal voll getankt? Vielleicht ist ja auch keine dieser Fragen wichtig. Oder sie sind es alle. Manche berichten ja nach solchen Situationen von einem Kopfkino, das dann plötzlich gestartet ist. Bei mir ist da nichts. Möglicherweise rattert da was, aber das Bild bleibt dunkel. Ein schwarzer Bildschirm und so viele Fragen. „Herr Reinelt? Sind Sie noch da?" Auch eine Frage. Aber keine von meinen. Ich glaube, das ist keine Frage an mich. Mein Bruder heißt ja auch Reinelt. Mama auch. Und die Kinder. Lene hat den Namen auch noch. „Ja, bin ich.", krächze ich und versuche mich daran zu erinnern, wo mein Autoschlüssel liegt. Ausgerechnet jetzt. „Die Polizei wird dann mit den Kindern nur hier warten. Wir fahren sobald Ihr Bruder transportfähig ist.", erklärt mir Herr Lanke. Ich gebe wirklich alles, aber irgendwie werde ich gerade unfassbar müde. Aber ich glaube auch, dass müde das falsche Wort ist. „Können Sie vorbeikommen? Es ist wirklich dringend?", mahnt Herr Lanke. Ich beiße mir auf die Lippe und plötzlich erwache ich aus meiner Schockstarre. „Ich bin unterwegs. Das dauert nur zehn Minuten. Sagen Sie den Kindern bitte, dass ich unterwegs bin. Sie sollen sich keine Sorgen machen.", sprudelt es plötzlich nur so aus mir. Herr Lanke, am anderen Ende, bedankt sich und legt dann auf. Ich lege ebenfalls auf und gehe zurück in die Küche. „Und was wollte Ihr Bruder?", erwartet mich Frau Hartl. Sie schaut mich lieb an und ich senke den Blick. Es dauert einen Moment, bis ich etwas sagen kann. „Keine Ahnung, was er wollte. Er war es nämlich nicht.", antworte ich und laufe los, um mir meine Schuhe anzuziehen. „Ich weiß auch noch nicht, was da genau los ist. Ich muss da jetzt nur mal hin und das am besten ganz schnell. Es tut mir wirklich so leid, dass das jetzt so enden muss. Aber ich muss da jetzt wirklich hin.", sage ich und schlüpfe einfach in meine Nieten-Chucks.

Dann räume ich im Eiltempo meinen Teller weg. „Die Rest des Essens können Sie mir mitgeben, ich werde Ihnen die gespülten Töpfe dann später zurückgeben.", merkt Frau Hartl an. Ich nicke. „Okay, gut. Man kann es ja auch wieder aufwärmen.", füge ich hinzu und wir füllen die Reste schnell in einen Topf. Aber dann kann es auch schon losgehen. Ich verabschiede mich von Frau Hartl und renne dann zu meinem Wagen. Normalerweise bin ich ein ruhiger Fahrer und ich verzichte auch auf gefährliche Fahrmanöver. Doch gerade kann mich irgendwie nichts halten. Es geht immerhin um meinen Bruder! Ich liebe ihn, er ist mein Bruder. Ich kenne ihn schon mein ganzes Leben und er mich auch. Er kennt mich sogar besser, als ich mich jemals kennen werde. Was mache ich denn jetzt bloß? Es ist Sonntagabend und die Straßen sind Gott sei Dank größtenteils leer. So bin ich innerhalb von zehn Minuten bei Andreas angekommen. Schon von weitem sehe ich das Blaulicht. Es macht mir irgendwie ein bisschen Angst. Wie sagte der Rettungsassistent? Ein Transport ist unumgänglich? Wie schwer wird er verletzt sein? Und wann sagt mir endlich mal einer, wie es dazu kommen konnte? Ich parke das alte Auto mit quietschenden Reifen fast direkt vor Andreas' Haustür. Diese steht offen. Ich schlucke. Aber dann steige ich aus meinem Auto und gehe vorsichtig zur Tür. Ich höre schon wieder viele Stimmen. „Hallo?", rufe ich und gehe bis ins Wohnzimmer vor. Dort hocken Annika, Liam und Felix wie Hühner auf der Stange. Ängstlich aneinander gekuschelt, erzählt Liam seinen kleinen Geschwistern gerade etwas, dass ich erst verstehe, als ich näher komme. „Und der König hatte viele Spielsachen, aber keines war der Prinzessin gut genug. Sie wollte immer mehr haben. Der König verstand das nicht, aber er erfüllte ihr diese Wünsche. Und eines Tages...", sagt Liam leise. Doch als Annika mich entdeckt, gilt ihre Aufmerksamkeit nicht mehr der schönen Geschichte.

to be continued...

Nothing else matters ~ Ehrlich BrothersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt