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So setzen Mama und ich für das letzte Spiel der Runde an. Meine Damen und Herren, ich präsentiere Ihnen ein unvergleichliches Duell zwischen den Besten der Besten. Ich werfe Mama einen herausfordernden Blick zu, doch sie pokert gut. Fast ohne Ausdruck in ihrem Gesicht spielt sie ihren ersten Zug. Aber auch ich platziere meine erste Position. Alles geschieht unter höchster Konzentration und wir geben wirklich alles. Felix übt sich als Kommentator und Liam fungiert als einziger Zuschauer. Aber Mama und ich sind uns einig. Ein Unentschieden entscheidet die erste Runde. „Nein, es muss einer gewinnen!", fordert Liam und so sind Mama und ich zu einer zweiten Runde gezwungen. Auch diesmal geht die Runde Unentschieden aus. „Könnt ihr nicht mal den anderen gewinnen lassen?", murmelt Liam und ist schon ganz hibbelig. „Geht nicht.", klärt Felix seinen Bruder auf. „Wenn Chris jetzt Oma gewinnen lassen will und Oma dann Chris, das geht doch gar nicht! Dann haben wir wieder ein Unentschieden." Was für eine dumme Situation. „Und jetzt?", frage ich. Felix hebt den mahnenden Zeigefinger. „Ihr spielt, bis einer gewinnt!", erklärt er. Ich mache große Augen. Alles klar, das kann ja was werden. Mama hält den Stift schon in der Hand. „Jungs, morgen ist wieder Schule.", fange ich ein neues Gespräch an. „Verbringt ihr denn diese Woche noch beim Papa?" Ich merke, wie Andreas' Blick auf mir ruht. Doch ich ignoriere es gekonnt. Das kann ich mittlerweile auch schon ganz gut. „Nein, wir bleiben ja noch diese Woche bei Papa und fahren dann Freitagabend zurück zu Mama.", sagt Liam. Ich nicke. Das klingt ja gut. Andreas scheint verwirrt zu sein. „Sicher? Ich meine, die Mama hat gesagt, ich bringe euch morgen noch zur Schule, danach geht es für euch aber wieder zur Mama." Felix schüttelt den Kopf und hängt sich gleich mal nach vorne gegen meinen Sitz. „Nö, eigentlich wollten wir noch bei dir bleiben.", murmelt er. Andreas lächelt. „Klar, dann bleibt ihr das auch. Wenn das für die Mama in Ordnung ist. Wir müssen ja auch mal ein bisschen schauen, wie es Annika damit geht. Nicht, dass die arme Maus euch dann so doll vermisst." In diesem Moment geht ein lauter Jubelschrei durch das Auto. „Tja, Onkel Chris...", flüstert Liam und schaut mich traurig an. „Einen Versuch war es wert.", antworte ich und reiche ihm den Stift. „Was? Wer hat gewonnen?", meldet sich Andreas noch einmal. Ich gebe zu, es war ein gutes Spiel. „Oma hat gewonnen.", freut sich Felix und gibt seiner Oma direkt einen Siegerkuss. „Wirklich?", fragt Andreas. Er klingt ein wenig schadenfroh. Vielen Dank, lieber Bruder. „Ja, es stimmt. Ich habe mich einfach verschätzt.", antworte ich. Mama beginnt zu lachen. Haben sich denn jetzt alle gegen mich verschworen? „Ja, ist ja gut. Die Oma hat mich abgezockt. Seid ihr jetzt alle zufrieden?", brumme ich und drehe mich wieder nach vorne. Seufzend verschränke ich die Arme. „Nein, sind wir noch nicht.", sagt Felix und Liam pflichtet ihm bei. Ich sehe die beiden verwirrt an. Was meinen die denn damit? „Du musst Oma jetzt eine Tüte ihrer Lieblingsbonbons kaufen.", erklärt mir Felix. Ich lache. Stimmt, da war ja noch etwas. „In Ordnung. Mache ich. Versprochen!", gebe ich mich geschlagen und alle sind einverstanden.

Die restlichen fünfundvierzig Minuten der Fahrt singen wir lautstark die Lieder im Radio mit. Die Stimmung könnte nicht besser sein. Die wenigen Baustellen haben wir schon hinter uns gelassen und steht uns einem schnellen Heimweg nichts mehr im Wege. Mit Andreas habe ich schon längst abgesprochen, dass er mich Zuhause ablädt und dann weiterfährt. Und so hält er keine zehn Minuten später in meiner Straße. „Bitte, ein Taxi bis vor die Haustür.", sagt Andreas. Ich nicke. „Vielen Dank!", verabschiede ich mich und hole noch eben meine Sachen aus dem Kofferraum. Dann winke ihnen noch nach, bis sie um die nächste Ecke verschwunden sind. Bepackt mache ich mich zur Haustür auf. Ich ziehe meinen Schlüssel aus meiner Hosentasche und schließe die Tür auf. Langsam aber sicher erklimme ich die Treppenstufen. Ich weiß auch nicht mehr, was ich mir dabei gedacht habe in den dritten Stock zu ziehen. Vielleicht wollte ich mir so das Fitnessstudio sparen. Nun ja, jetzt muss ich leider gestehen, dass ich mir das Fitnessstudio gespart habe und kein bisschen sportlicher geworden bin. Vor meiner Wohnungstür angekommen stelle ich meine Tasche auf den Boden. Nicht mal eine Sekunde später stehe ich im Dunkeln. Okay, das war irgendwie klar. Seit ein paar Wochen oder jetzt vielleicht sogar einem Monat schon, ist bei uns das Licht im Treppenhaus kaputt. Es funktioniert exakt fünfundvierzig Sekunden, bevor es wieder den Geist aufgibt. Normalerweise sollte es mehrere Minuten an bleiben. Ich suche also im Dunkeln den Lichtschalter, was eigentlich nicht so schwer ist und so ist das Licht nur einen Augenblick später wieder an. Ich schließe die Wohnungstür auf und schiebe mich samt Tasche durch die Tür. Ich war schon lange nicht mehr hier. Fünf Wochen vielleicht. So genau zähle ich das nicht mehr. Ich schlafe ja öfter bei Andreas, als bei mir. Möglicherweise sollte ich meine Wohnung ganz kündigen und in das große Haus mit einziehen. Ich meine, so oft, wie ich sowieso schon bei ihm bin. Die ganzen Tage, die wir dann zusammen in der Werkstatt oder im Büro hocken enden meistens damit, dass er mich noch auf ein Bier nach drinnen einlädt und ich dann bei ihm penne. Ganz oft setzen wir zusammen in das große Doppelbett, welches er noch hat. Wir reden und diskutieren dann über Gott und die Welt, aber am Ende liegen wir beide schnarchend in der Kiste.

Nothing else matters ~ Ehrlich BrothersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt