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„Komm, ich helfe dir hoch. Du kannst doch aufstehen, oder?", erkundige ich mich und greife meinem Bruder unter die Arme. „Aber natürlich, Chris. Das ist nur eine kleine Schürfwunde am Bein. Das wird schon wieder.", grummelt Andreas und steht langsam mit meiner Hilfe auf. Ich schlucke. Aber sicher wird das wieder. „Guck mal, du stehst ja schon wieder allein. Mach das nie wieder, okay? Mann, ich hatte Angst um dich!", brumme ich und boxe Andreas gegen den Oberarm. „Autsch!", gibt dieser von sich und lacht mich dann an. „Gut, wie bekommen wir dich jetzt zum Arzt? Wir sind locker noch fast einen Kilometer von Zuhause entfernt.", sage ich. Was machen wir denn nun? „Soll ich dir einen Rettungswagen rufen?", frage ich dann und bin erschrocken, wie einfach diese Frage war. Andreas schüttelt den Kopf und atmet tief durch. „Nein, brauche ich nicht. Wir laufen einfach langsam nach Hause, dann wird das schon.", antwortet er. Ich zweifle ein wenig an seinem Vorhaben, aber ich widerspreche ihm nicht. Ich stütze ihn nur, während wir zwei dann Richtung Zuhause humpeln. Ein unauffälliger Blick auf die Uhr zeigt mir, dass wir mittlerweile schon Viertel vor Elf haben. Neben mir schnauft und keucht Andreas ziemlich. Er belastet das verletzte Bein auch gar nicht mehr, sondern hüpft vorsichtig vorwärts. „Wann haben die Jungs denn Schulschluss?", beginne ich ein neues Thema. Er schnauft einmal tief und bleibt dann stehen. Ich ebenfalls und schaue ihn an. „Ich...", keucht er, „Ich denke, ganz normal um zehn nach eins.", meint er dann. Ich nicke. „Das ist sehr gut. Wir haben erst Viertel vor Elf. Dann kann ich dich gleich in Ruhe zum Arzt fahren und wir fragen dann, wie lange es dauert. Wenn es länger als zwei Stunden dauert, was ich nicht glaube, lasse ich dich da und hole dann die Kinder ab. Anschließend fahre ich mit ihnen noch einkaufen und danach holen wir dich dann gemeinsam vom Arzt ab.", präsentiere ich meinen Vorschlag und habe damit eigentlich alles geklärt. Doch Andreas ist nicht wirklich begeistert. „Ich kann die Kinder auch später abholen.", erklärt er. Ich verdrehe genervt die Augen. Der Plan gefällt ihm immer noch nicht. Tja, es tut mir ja auch leid, aber so ist das nun mal und jetzt muss er sich damit abfinden. Ich diskutiere doch nicht mit ihm, wie mit einem kleinen Kind. „Keine Widerrede! Ich bringe dich zum Arzt und wenn ich dich dahin trage, das ist mir egal.", verkünde ich streng und versuche meine ganze Autorität und Strenge walten zu lassen. Andreas lacht ironisch auf. „Ist klar, du trägst mich dahin..." Zweifelt er etwa an mir? Oder an meiner Fähigkeit ihn zu tragen? Gut, ich gestehe, dass ich es wahrscheinlich wirklich nicht könnte, aber immerhin hätte ich ihn zum Arzt schleifen können. „Meinetwegen, dann schleife ich dich eben zum Arzt.", antworte ich kühl und wir gehen weiter. Besser gesagt, ich gehe und Andreas hüpft auf einem Bein.

Es dauert wirklich lange, bis wir Zuhause ankommen. Ich zweifelte wirklich manchmal, ob wir richtig abgebogen sind. Aber die Tatsache, dass wir nicht abbiegen mussten, besiegt den Zweifel relativ schnell. „Bald geschafft.", informiere ich meinen keuchenden und schnaufenden Bruder. Auf den letzten zwei Metern hat seine Kraft schon stark nachgelassen und im Augenblick ziehe ich ihn auch mehr, als er allein läuft. Aber bald sind wir Zuhause und dann verfrachte ich ihn nur ins Auto. So wie er jetzt ist. Ich putze es ihm danach auch, wenn er will. Oder wir nehme direkt mein Auto. „In welches Auto schaffe ich dich denn gleich? Fahren wir mit deinem oder soll ich meine Karre aus der Garage holen?", frage ich meinen Bruder. „Ach Quatsch...", schnauft dieser, „Ich fahre da jetzt eben allein hin. Das werde ich jawohl schaffen." Ich lächle nur ganz lieb und sage nichts. Inzwischen haben wir es aber bis vor meine Haustür geschafft. Dort lässt Andreas sich erst mal auf die Stufe nieder. „Ich hole jetzt dein Auto. Also gib mir deine Schlüssel.", sage ich und man merkt deutlich, dass ich keinen Widerspruch dulde. Auch Andreas gibt nun nach und händigt mir seine Schlüssel aus. „Fein. Und jetzt fahren wir zum Arzt." Ich greife meinem Bruder erneut unter die Arme und helfe ihm hoch. Dann verfrachte ich ihn in sein Auto. Anschnallen schafft er gerade so noch allein. Ich setze mich hinter das Lenkrad. „Dann mal los.", sage ich und starte den Motor. Im gemütlichen Tempo fahre ich durch die Enger Innenstadt. Die Fahrt verläuft schweigend und jeder ist in seinen Gedanken versunken. Das Radio spielt die Lieder rauf und runter und nach einiger Zeit Fahrt sind wir endlich da. „Und da beginnt die Parkplatzsuche...", jammere ich und suche mit den Augen fieberhaft nach einem Parkplatz in der Nähe der Praxis. „Wenn du hier keinen Parkplatz in der Nähe findest, dann können wir auch ruhig weiter weg parken.", meint Andreas. Doch in diesem Augenblick sehe ich ein Auto, dass eine Parklücke verlässt. „Oder wir parken hier.", grinse ich.

Nothing else matters ~ Ehrlich BrothersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt