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Es klopft und reißt mich so aus meinen Gedanken. Mama und ich sehen erschrocken zur Tür, die sich vorsichtig öffnet. „Guten Tag, bitte entschuldigen Sie die Störung.", schiebt sich ein Arzt durch die Tür. Ein Mann in seinen späten Vierzigern betritt das Zimmer. „Mein Name ist Dr. Tim Christopher Lendzian, ich bin der Chefarzt der Intensivmedizinischen Abteilung dieses Krankenhauses. Mir wurde gesagt, dass Sie mit mir sprechen wollen.", stellt sich Dr. Lendzian vor. Mama und ich erheben uns und reichen dem Arzt höflich die Hand. „Ja, wir haben noch ein paar Fragen und dachten, dass Sie uns diese vielleicht beantworten können.", sage ich. Dr. Lendzian nickt und blättert in der Akte, die er in der Hand hält. „Okay, also dann. Sie wollen über die Veränderungen bezüglich des Zustandes Ihres Bruders informiert werden? Laut meinen Unterlagen und den Untersuchungen, die wir noch im Verlauf dieses Tages angefertigt haben..." Dr. Lendzian blättert ein bisschen hin und her. Dann schaut er Mama und mich an, schließt die Akte und tritt näher ans Bett heran. „Also, nachdem ich Ihren Bruder, und Ihren Sohn natürlich, von Dr. Menges übernommen habe, untersuchte ich ihn erstmal gründlich. Nach den Untersuchungen habe ich festgestellt, dass das Fieber gestiegen ist. Wir messen nun alle halbe Stunde die Temperatur und nun können wir nach einigen Messungen schon sagen, dass die Temperatur bereits um zwei Grad gestiegen ist. Das Fieber liegt nun bei Vierzig Grad. Wir haben schon angefangen Ihren Bruder mit Breitbandantibiotika zu behandeln. Leider mussten wir feststellen, dass die Infektion in seinem Bein schon soweit fortgeschritten ist, dass wir nun mit stärkeren Medikamenten dagegen wirken müssen. Die Organe werden allmählich in Mitleidenschaft gezogen. Es tut mir leid, aber wir haben schon festgestellt, dass einige Organe nicht mehr so arbeiten, wie sie eigentlich arbeiten sollten. Das bedeutet, dass die Infektion sich nun auf den ganzen Körper ausbreitet.", berichtet Dr. Lendzian uns. Mama greift nach meiner Hand. Irgendwie weiß ich nicht, wer hier wen stützen soll. Ich verstehe nicht, was Dr. Lendzian mir sagen möchte. Die Informationen, die er sagt kommen bei mir gar nicht an. Vielleicht biegen sie einfach vorher ab und wollen gar nicht zu mir. Ich meine, gestern hatten wir noch so viel Positives gehört. Oder es uns einfach gewünscht zu hören. Und jetzt ist das Fieber gestiegen? Jetzt geht es ihm schlechter? Seine Organe versagen? „Warum passiert das alles?", hauche ich und nehme Mama in den Arm. „Die Bakterien greifen den Körper an und leider ist es dem Körper in diesem Zustand nicht möglich sich zu verteidigen. Wir helfen dem Körper einen Gegenangriff zu starten, allerdings können wir nicht alles übernehmen. Dazu haben wir verschiedene Maßnahmen gestartet. Allerdings hoffen wir auch, dass er uns ein bisschen mithelfen kann. Auch wenn sein Körper ziemlich geschwächt ist, versuchen wir ihn zum ‚mitarbeiten' zu animieren. Wir unterstützen ihn nun beim Atmen mit diesem Schlauch...", erklärt Dr. Lendzian und deutet auf den Schlauch in Andreas' Mund. „So kann sich nun der Körper darauf konzentrieren gesund zu werden und muss sich im Prinzip um nichts anderes Sorgen machen. Wir verabreichen ihm verschiedene Medikamente in den passenden Dosierungen. Ab jetzt sollten wir ihm wirklich alle Ruhe der Welt gönnen. Er hat einen langen Prozess vor sich und wir tun wirklich alles, um ihn darin zu unterstützen.", erklärt Dr. Lendzian und ich schließe meine Augen.

Okay, da sind wir also nun. Die Fragen, die ich mir die Tage über alle gestellt habe. Die Fragen, die ich hatte, als wir zu Joe gefahren sind. Wie wird es weitergehen? Hier kamen gerade die Antworten. Es wird lange dauern, bis Andreas wieder zu uns stoßen kann. Es ist ein langer Weg, den er vor sich hat. Er muss ziemlich viel kämpfen. Er muss sich anstrengen, wenn er es schaffen will. „Vielen Dank... Ich meine...", räuspere ich mich. Doch Mama fällt mir ins Wort. „Können Sie denn gar nichts machen?", fragt sie leise und ihre Stimme zittert. Ich halte sie noch immer fest in meinem Arm. Da ist sie sicher, da kann sie sich sicher fühlen. Ich halte sie einfach bloß in meinen Armen und was auch immer sie nun machen will, ich bin für sie da. „Das Problem ist, dass wir schon alles machen. Wir versuchen wirklich alles. Ihnen jetzt jeden medizinischen Schritt zu erklären, das dauert nun zu lange. Ich werde mit Ihnen gerne am morgigen Nachmittag einen Termin ausmachen, damit ich Ihnen alles in Ruhe erklären kann.", schlägt Dr. Lendzian vor. Ich verstehe und bin mit dieser Idee zufrieden. „Aber natürlich. Ich kann morgen den ganzen Tag über.", sage ich und schaue Mama an. Sie nickt. „Ja, ich habe auch den ganzen Tag nichts vor. Vielleicht würde auch gerne die Frau meines Sohnes dazu stoßen.", meint Mama. Ich will gerade noch etwas sagen, als es in meinem Kopf ‚Klick' macht und sich plötzlich alles um mich herum dreht. Die Sorge um Andreas, das ausgelassene Frühstück. Das ist einfach zu viel. Jetzt diese Bilder wieder, die wohl nie wieder meinen Kopf verlassen werden. In meiner Magengegend beginnt sich alles zusammenzuziehen und ich verziehe das Gesicht. „Bitte entschuldigen Sie mich einen Augenblick. Ich muss mal kurz zur Toilette.", sage ich und reibe mir die Stirn. „Mama, ich bin gleich wieder da. Ist das für dich in Ordnung?" Ich schaue zu Mama. Aber sie nickt. „Natürlich, Chris. Ich wollte Dr. Lendzian sowieso noch etwas fragen.", meint Mama. Ich lächle sie lieb an und drücke ihr dann einen Kuss auf die Wange. Dann verlasse ich das Zimmer. Kaum bin ich draußen, verschwimmt vor meinen Augen alles. Ich taumle hin und her, kann kaum einen Fuß vor den anderen setzen. Bis zur Stationstür scheint es so weit und egal wie schnell ich mich bemühe zu laufen, komme ich ihr keinen Schritt näher. Aber dann kann ich die Klinke in meiner Hand spüren. Wie in Trance öffne ich diese und stolpere nach draußen. Ich sehe mich um, erkenne aber nichts wirklich. Dabei will ich doch nur an die frische Luft. Und zwar schnell!

Nothing else matters ~ Ehrlich BrothersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt