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Als ich ihn dann endlich gefunden habe, schnappe ich mir noch mein Portemonnaie und dann gehe ich mit den Jungs zum Auto. Wie begossene Pudel steigen die beiden hinten ein. Ich schmeiße mich hinters Lenkrad und starte den Motor. „So, dann los.", sage ich und fädle mich geschickt in den Verkehr ein. Die ganze Autofahrt ist es still. Nur ab und zu kann ich ein paar leise Worte von hinten auffangen. Oder es ist doch das Radio. Während ich also stumm das Auto lenke, dudelt das Radio leise vor sich hin und die Rückbank schweigt ebenfalls. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie lange es wirklich bis zur Praxis dauert. Es kommt mir plötzlich so lang vor. Die ganzen Ampeln und Zebrastreifen. Waren die heute Morgen wirklich schon da? Und dann diese ganzen anderen Autofahrer. Manchen möchte man ja schon gerne das Fahrrad zurückgeben. Ich meine, weiß denn keiner von denen wo das Gaspedal ist? Oder dass man bei Tempo Sechzig auch wirklich Sechzig fahren darf? Ich meine, da steht eine sechzig, das heißt man darf so schnell fahren und muss nicht vorsichtshalber zwanzig Stundenkilometer langsamer fahren. Außerdem lösen Blitzer nicht sofort bei Sechzig aus. Da kann man nur den Kopf schütteln und hoffen, dass diese Menschen es irgendwann doch nochmal verstehen. Einen kleinen Funken Hoffnung habe ich noch. „Und wir sind da.", freue ich mich. Ich halte nach einem Parkplatz Ausschau und kann schon Andreas entdecken. Er quält sich scheinbar gerade die Treppen zur Straße hinunter. Ich biege rechts in eine Straße ab. „Liam, wärst du so nett und würdest deinem Vater bitte zeigen, wo wir parken? Felix, du kannst ihn begleiten. Aber bitte macht keinen Quatsch an der Straße.", sage ich und parke die Familienkutsche in der Seitenstraße. „Jaaa...", maulen die beiden Jungs und steigen aus. Ich seufze. Dann schließe ich meine Augen und lehne meinen Kopf gegen die Kopfstütze des Sitzes. Was für ein Tag! Verrückter kann es heute doch wirklich nicht mehr kommen. Jetzt nur schnell die wenigen Sekunden genießen, bevor sich die Jungs wieder ins Auto stürzen und mein Bruder mir erklären wird, wie super es beim Arzt gelaufen ist. Merkt da noch jemand die Ironie? Ich lache auf. Schon verrückt, ich rede in Gedanken mit mir selbst. Um Himmels Willen, wie gut, dass mich keiner denken hören kann. Das wäre echt schräg.

Nur wenige Sekunden später gehen die Autotüren schon wieder auf. „Onkel Chris, wir sind wieder da!", ruft Felix und springt ins Auto. Auch Liam steigt fröhlich lachend ins Auto. Ich sehe nach hinten. „Und euer Vater?", erkundige ich mich. Doch da geht auch schon die Beifahrertür auf und Andreas schiebt sich ins Auto. Er lächelt mich gequält an und zieht dann sein Bein hinterher in das Auto. Oh, verdammt. Doch so schlimm? „Und was hat der Arzt gesagt?", frage ich und sehe zu meinem Bruder. Andreas neigt den Kopf. „Nichts Schlimmes. Das ist nur eine kleine Schürfwunde, mehr nicht.", erklärt er. Ich nicke und fädle mich wieder geschickt in den Verkehr ein. „Warst du einkaufen?", will Andreas wissen. Ich schüttle den Kopf. „Nein, noch nicht." Mein Bruder guckt mich vorwurfsvoll an. „Aber warum? Du hast mich doch abgesetzt und wolltest dann einkaufen fahren.", beschwert er sich. Ich lache. Ja, das war der Plan. Aber Pläne sind ja bekanntlich dafür bekannt, dass sie in den meisten Fällen nicht funktionieren und man sich die ganze Arbeit des Planens hätte sparen können. „Genau das wollte ich ja auch." - „Aber?" - „Aber ich habe mich beim Kaffee verquatscht.", sage ich. Andreas macht große Augen. „Kaffee? Verquatscht?", staunt er. Ich nicke. „Du? Beim Kaffe?", erkundigt Andreas erneut und scheint es kaum glauben zu können. Ich runzle die Stirn. Soll ich es ihm noch einmal buchstabieren? Oder aufschreiben? „Ja, das stimmt. Alles richtig, Brüderchen.", antworte ich laut und langsam. Als würde man mit einem alten schwerhörigen Opa reden. „Wirst du langsam alt und senil? Muss ich mir Sorgen machen?", necke ich meinen Bruder. Vielleicht ist er vorhin ja tatsächlich auf den Kopf gefallen und keiner hat es bis jetzt gemerkt. Oh je, was für furchtbare Spätfolgen. Doch mein Bruder straft mich bloß mit einem bitterbösen Blick. Tja, wenn Blicke töten könnten...

„Mach dich ruhig lustig, kleiner Bruder. Ich wundere mich nur, wie jemand mit dir freiwillig Kaffee trinken würde.", meint Andreas. Ich grinse bloß. „Tja, ich war hilfsbereit und habe zum Dank eine Tasse Kaffee angeboten bekommen.", berichte ich von meinem gemütlichen Plausch mit Frau Hartl. „Wem hast du geholfen?", fragt Andreas. Ich verdrehe die Augen. Auch nicht schlecht. Alt, senil und nun auch noch neugierig. Das passt ja super! „Das must du gar nicht wissen.", antworte ich. Andreas mustert mich kritisch. „Und du hast es aber geschafft die Jungs von der Schule abzuholen?", sagt Andreas. Ich nicke. Allmählich komme ich mir, wie bei einem Verhör vor. Wenn er jetzt anfängt mir gleich meine Rechte vorzulesen, dann weiß ich Bescheid. „Ja, siehst du doch. Die beiden wollten sogar mit, als ich davon sprach, dich abzuholen.", grinse ich und wage einen kurzen Blick in den Rückspiegel. „Oh, wirklich? Die beiden wollten freiwillig mit?", bezweifelt Andreas. Ich nicke und lache. Wenn er wüsste. Aber ich habe den Jungs gesagt, dass ich es Andreas nicht sagen werde. „Klar wollten wir das, Papa!", ruft Liam von hinten. Ich lache. „Dann können wir ja jetzt beruhigt nach Hause fahren. Habt ihr noch Sachen bei mir?", frage ich. Andreas sieht mich verwundert an. „Chris, aber wie willst du denn dann nach Hause kommen? Dein Auto steht doch noch bei dir.", wirft er ein. Ich nicke. „Ja, aber ich fahre euch eben nach Hause und dann nehme ich mir einfach ein Taxi. Das passt schon.", sage ich. Andreas schüttelt den Kopf. „Das kommt gar nicht in die Tüte. Wir fahren zu dir, setzen dich dort ab und ich fahre dann mit den Jungs nach Hause.", meint er. Ich runzle die Stirn. Meint der Typ das jetzt ernst? „Quatsch, ich habe mich schon entschieden. Ich bin schon längst auf dem Weg zu dir. Das macht mir nichts. Und das weißt du.", halte ich dagegen. Mein Bruder rollt mit den Augen. „Du bist unmöglich, weißt du das eigentlich? Chris, was ist denn schon dabei? Wie der Arzt schon gesagt hatte, es ist nur ein kleiner Kratzer!", grummelt Andreas. Ich hoffe für ihn, dass er weiß, dass ich nicht nachgeben werde. Von uns beiden bin nun mal ich der größere Dickkopf. Deshalb drehe ich auch nicht um, sondern fahre strikt weiter Richtung Haus von Andreas. Dieser seufzt nur und lehnt sich dann gegen das Fenster. Die Stimmung ist ein bisschen gesunken und erreicht bald ihren Tiefpunkt, aber da parke ich den Wagen auch schon vor Andreas' Haus. „Da wären wir. Jungs, ihr helft eurem Vater die nächsten Tage ein bisschen. Haben wir uns da verstanden?", weise ich die beiden an. Liam und Felix nicken. „Chris, jetzt übertreibst du völlig. Ich bin nur gestolpert. Das ist nichts Schlimmes. Du machst den beiden Angst, wenn du mich behandelst als wäre ich schwerstverletzt.", beteuert mein Bruder. Ich sehe ihn unsicher an. „Oh nein, bist du auf den Kopf gefallen? Ich vermisse so ein bisschen deine Vernunft.", sage ich dann und tätschle ihn an der Wange. Wie gesagt, wenn Blicke töten könnten...

Nothing else matters ~ Ehrlich BrothersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt