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Für den 05.03. noch schnell...

Am nächsten Morgen ist die Stimmung schon etwas lockerer und der erste Schreck hat sich gelegt. So werde ich am Morgen durch lautes Lachen geweckt. Ich rekle mich auf der Couch ein wenig hin und her, bis ich an der Treppe lautes Gepolter hören kann. Ich fürchte, da wird jetzt etwas auf mich zu kommen. Und ich kann auch schon fast genau sagen, was das wohl sein wird. Ehe ich mich versehe stürmen zwei Monster in Form von meinen Neffen auf mich zu. „Uaaaahhhh!", brüllen sie beide und werfen sich auf mich. Doch ich weiß mich zu wehren und beginne die beiden von oben bis unten durch zu kitzeln. Tja, da habt ihr die Rechnung ohne Onkel Chris gemacht! Ich verteidige mich bis zum letzten Atemzug. Die Jungs nehmen das scheinbar nicht so ernst und so kebbeln wir uns einige Runden. „Euch kann man durchs ganze Hause hören.", beschwert sich plötzlich jemand und wir zucken alle zusammen. Dann sehen wir zur Tür. Dort steht Lene im Türrahmen und schaut uns alle kopfschüttelnd an. „Das tut uns leid.", antwortet Felix und zieht schuldbewusst den Kopf ein. Liam und ich gucken uns lachen an. Wir plädieren auf unschuldig! „Ich wurde angegriffen. Da musste ich mich verteidigen.", sage ich. Lene schmunzelt. „Ja, ich bin mir sicher, dass das Badezimmer nun auch ein großartiges Gebiet ist, in dem sich Monster fertig machen können.", meint sie dann und die Jungs ziehen murrend ab. „Fertig machen? Wo geht es denn hin?", frage ich und erhebe mich von der Couch. Dann strecke ich mich ausgiebig.

Lene lacht auf. „Es ist Montag, Chris. Die beiden müssen in die Schule.", antwortet Lene knapp und stellt sich zu mir. Ich sehe sie fragend an. „Wolltest du die Jungs nicht gestern noch krankmelden?", erkundige ich mich. Lene neigt den Kopf. „Es ist doch das Beste für sie, wenn sie ihren geregelten Tagesablauf haben. Dann haben sie etwas zu tun. Und sie machen sich dann bestimmt weniger Gedanken.", erklärt sie dann. Ich nicke. „Aber sicher. Willst du sie zur Schule fahren oder soll ich das machen?", biete ich an. Doch sie schüttelt den Kopf. „Lass mal, das kriege ich schon hin." Ich lächle sie lieb an. „Wenn du Hilfe brauchst, dann sag Bescheid.", sage ich. Sie nickt. „Vielen Dank. Das ist wirklich lieb von dir. Ich danke dir echt von Herzen dafür.", flüstert sie und kommt auf mich zu. Ich breite meine Arme aus und sie folgt meiner Einladung. Ich halte sie fest und streiche ihr behutsam über die Schultern. „Das mache ich doch gerne. Du gehörst schließlich mit zur Familie. Da lässt man niemanden allein oder zurück.", kläre ich das direkt. Lene nickt und dann löst sie sich aus meiner Umarmung. „Chris, ich muss los. Die Kinder müssen.", meint sie und schon tauchen die Jungs auf. „Mama, wir sind fertig!", ertönt es zweistimmig. Ich lächle und nicke Lene dann zu. „Schon in Ordnung. Ich werde dann mich mal in aller Ruhe mit Mama beschäftigen. Und ihr noch ein bisschen die Angst nehmen.", sage ich und Lene lächelt. „Das ist eine gute Idee. Ich komme auch wieder, wenn die Jungs und Annika weg sind. Dann können wir ja einen Plan machen, wie es weitergehen soll. Ich habe das Gefühl, dass wir ein bisschen was noch besprechen müssen. Ich will das aber jetzt nicht zwischen Tür und Angel machen.", meint Lene und legt ihre Hand auf meine Schulter. Sie drückt sie leicht und dann verschwindet sie mit den Kindern. Ich seufze und fahre mir mit den Händen durchs Gesicht. Also gut. Was mache ich jetzt? Vielleicht erstmal frühstücken. Und danach mal schauen, was Mama so macht. „Ach, das ist doch alles scheiße!", brumme ich. Dann fahre ich mir mit den Händen durchs Gesicht. Am besten wir schauen mal kurz nach Mama und danach gehen wir erstmal eine Runde joggen. Um den Kopf frei zu kriegen. Ich bin mir sicher, dass das eine super Idee ist. Also ziehe ich mich erst um. Ach, verdammt. Ich habe ja gar keine Sachen hier. Ob das jetzt komisch ist, wenn ich mir die einfach von Andreas klaue? Oder, Moment mal! Ich habe doch sicherlich noch Sachen hier, von den Tagen an denen ich hier geschlafen habe. Wo hat mein Bruder die bloß hingelegt? Na super, das wird jetzt sicher spaßig.

Aber ich muss wirklich nur kurz suchen. Er hat sie einfach in seinem Schrank in die unterste Schublade gestopft. Auf meinen Bruder ist Verlass. Aber leider sind es keine Sportsachen. Die muss ich mir dann wohl von Andreas ausleihen. Ist aber auch nicht schlimm, denke ich. Er ist mein Bruder. Also bitte! Ich schnappe mir die Sachen und verschwinde im Badezimmer. Als ich fertig bin, stolpere ich fast Mama in die Arme, die gerade ins Badezimmer will. „Oh, guten Morgen, Mama.", begrüße ich sie. Scheinbar hat sie nicht wirklich gut geschlafen. „Guten Morgen.", antwortet sie leise. Ich nicke und lasse sie dann durch. „Ähm, ich wollte gleich eine Runde joggen gehen. Ich weiß, du wärst dann allein hier...", beginne ich und hoffe ich, dass ich nicht viel mehr erklären muss. Mama nickt. Ich auch. Aber wir sind keinen Schritt weiter. „Ist das für dich okay?", frage ich und hasse mich schon dafür, dass ich so direkt werden musste. „Aber sicher. Du bist erwachsen, du kannst tun und lassen...", beginnt Mama und ich verziehe das Gesicht. Mein Güte! „Darum geht es doch gar nicht!", protestiere ich und reibe mir die Stirn. „Weißt du was? Ich werde einfach nicht joggen gehen. Wir können uns in der Zeit mal unterhalten. Lene will auch gleich schon wieder kommen. Sie bringt ja nur eben die Kinder weg. Dann besprechen wir, wie es weitergehen soll.", erkläre ich. Doch Mama schließt nur die Tür und ich stehe wie ein Dummer davor. Vielen Dank, Mama! Ich seufze. Klar, es geht ihr nicht gut. Aber was sollen wir denn sagen? Für Lene ist es der Mann, der im Krankenhaus liegt. Für mich ist es mein Bruder, der im Krankenhaus liegt. Und ja, ich weiß. Es ist ihr Sohn, der im Krankenhaus liegt.

Außerdem müsste Lene ja auch bald wiederkommen. Ich räume also die Sportsachen wieder in den Schrank und ziehe mir normale Kleidung an. Dann gehe ich in die Küche und mache mir ein leckeres Brot zum Frühstück. Mama gesellt sich irgendwann dazu und nach einigen weiteren Minuten sprechen wir auch wieder wie normale Menschen miteinander. Lene erscheint auch kurz darauf und so kommt es, dass wir alle im Wohnzimmer auf der Couch hocken. Im Hintergrund läuft leise Musik und jeder geht so seinen Gedanken nach. Bis schließlich Lene das Wort ergreift. Ich sehe zu ihr und versuche ihren Worten zu folgen, aber ich kann mich nicht wirklich lange darauf konzentrieren. Immer wenn sie den Namen meines Bruders erwähnt, dann läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter. Und jedes Mal, wenn sie dabei versucht ihre Tränen zu verstecken, muss ich ziemlich schlucken. Im meinem Hals bildet sich nämlich auch schon ein Kloß. Aber dann schweigt Lene auch wieder. Und niemand sagt etwas. Wir trinken nur Wasser und Tee. Aber keiner redet. Es ist still, bis auf die leise Musik im Hintergrund. Ich glaube, es läuft schon wieder das gleiche Lied. Aber sicher bin ich mir nicht. Sicher bin ich mir bei eigentlich nichts mehr. Ich war mir ja auch sicher, dass mein Bruder sich schonen wird. Tja, sieh wo wir nun gelandet sind! Wir hocken hier bei ihm, auf seiner Couch. Wir. Das sind Mama, Lene und ich. Ohne ihn, weil er im Krankenhaus liegt. Weil er gestürzt ist. Weil er sich verletzt hat. Weil er sich nicht geschont hat. Ich könnte ihn umbringen. Ich könnte so sauer auf ihn sein. Aber irgendwie überwiegt noch die Sorge um ihn.

Die Zeit vergeht nicht. Die Zeit steht still. Es passiert nichts. Zumindest nicht sofort. Aber schließlich steht Lene auf. Sie bringt ihre Tasse in die Küche. „Ich finde es schön, wenn wir heute noch zu ihm fahren könnten.", sagt sie dann. Ich nicke. „Klar, das Krankenhaus hat gleich Besuchszeit.", antworte ich und nicke ihr zu. „Gut, dann arbeite ich jetzt noch ein bisschen was fürs Büro.", meint sie. Ich sage nichts. Aber da ist sie auch schon in der Küche verschwunden und ich kann sie eifrig telefonieren hören. Ich seufze. Jeder geht mit den Geschehnissen wohl anders um. Auch nicht schlecht. 

to be continued...




Nothing else matters ~ Ehrlich BrothersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt