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Ich schlage die Augen auf. Die Sonne strahlt durch das Zugfenster und ich verkrieche mich unter meiner Decke. Mein Gott! Ich möchte schlafen! Gibt es hier denn keine Vorhänge, die mich vor dieser Sonne schützen? Ich war schon immer blass, weil ich die meiste Zeit meines Lebens im Haus verbracht habe. Als ich 14 geworden bin, war ich dann immer in dem Kraftwerk, wo ich gearbeitet habe. 

Ja, das ist jetzt vorbei. Wenn ich als Siegerin nach Hause komme, werde ich nicht mehr arbeiten müssen. Und wenn ich nicht wieder komme, dann muss ich auch nicht mehr arbeiten...

Die Tür wird aufgeschlagen. Es ist Ivette. Seit gestern ist sie nicht mehr so niedergeschlagen und ausdruckslos. Seit gestern wirkt sie auch halbwegs gesund, zumindest kann sie laufen ohne zu straucheln. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie es geschafft hat andere Kinder zu töten. "Sky", sagt sie mit ihrer leisen Stimme, die kaum mehr ein Flüstern ist. "Heute geht es weiter. Ich werde dir alles über Tiere, die vielleicht auch Gift verspritzen können, erzählen. Außerdem solltest du noch etwas über Mutationen erfahren." Ich nicke einfach nur und erhebe mich, da ich weiß, dass ich nicht mehr sehr klug wirken werde, wenn ich jetzt meckere oder widerspreche. Nach einer kurzen Dusche, ziehe ich mir eine dunkelblaue Jeans und eine weiße Bluse an. Wow! Wie viele Kleider sind denn bitte in diesem Kleiderschrank drinnen?? Erneuter Hass auf das Kapitol durchflutet mich und ich stelle besorgt fest, dass ich jetzt gerade liebend gerne jemanden aus dem Kapitol töten würde. Ich reiße mich zusammen. Bevor ich etwas gegen das Kapitol tun kann, muss ich erst die Hungerspiele überleben. Ich stütze mich am Schrank, weil ich Angst habe eine Panikattacke zu bekommen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie ich dann in der Arena sein werde. Wie ich um mein Leben rennen werde. Die Angst, wie mich jemand verfolgt. Der Schmerz eines Messers das mich durchbohrt...

Nach einer gefühlten Stunde, betrete ich das Hauptabteil. "Hallöchen, Sky, Schätzchen", ruft Eileen und werfe ihr einen Todesblick zu. Sie schweigt sofort und dreht sich stirnrunzelnd zu ihrem Frühstück. Chris grinst und James und Ivette sind in ein Gespräch vertieft. Ivette schaut kurz auf und lächelt leicht. Diesmal scheint das Lächeln echter zu ein als gestern. Aber es ist trotzdem noch verbesserungsbedürftig. Ich werfe mir fünf Brötchen auf den Teller und stopfe alles in mich herein, was ich kriegen kann. Als ich aufblicke, schauen mich vier Augenpaare belustigt an. Ich räuspere mich etwas beschämt und schiebe den Teller vorsichtig von mir weg. Als ich gerade etwas sagen will, was die Situation weniger peinlich macht, springt Eileen mit einem Freudenschrei auf und rennt zum Fenster. Plötzlich wird alles dunkel. Nach wenigen Sekunden sind wir aus dem Tunnel heraus. Dort ist es also. Dort leben also diese widerlichen Viecher, die sich Menschen nennen. Während Chris, James, Eileen und sogar Ivette bewundernd aus dem Fenster blicken, starre ich auf meinen Teller. "Hey, Sky! Schau doch mal aus dem Fenster!", ruft Chris atemlos. Doch ich stehe nur auf und will das Abteil verlassen. "Sky?" Ich blicke zurück. Alle Blicken mich erstaunt und fragend an.  "Nein", sage ich einfach nur. "Wie nein?", will Eileen verwirrt wissen. So eine Idiotin. "Ich meine damit nein, ich möchte nicht aus dem Fenster schauen. Ich möchte nicht die Stadt anschauen, in der widerwärtige Menschen leben. Ich möchte nicht aus dem Fenster schauen, weil es mir diese Stadt nicht wert ist meinen Kopf auch nur zu heben. Und weil sie verdammt nochmal Mörder sind! Allesamt. Nur durch das Zuschauen, bei dem sie Spaß haben, machen sie sich zu Mördern. Ich möchte nichts mit dem Kapitol zu tun haben." Ich habe das alles in einem ruhigen Ton gesagt, als würde ich ihnen nur mitteilen, dass ich kurz ins Zimmer gehe. Nein, ich habe ihnen gerade gesagt, dass ich das Kapitol widerlich finde. Und mir ist egal, was sie jetzt denken, denn ich bin froh das gesagt zu haben. Ohne auf die Reaktion zu warten, drehe ich mich um und gehe in mein Abteil.

Nur ein paar Minuten später, öffnet sich meine Zimmertür. "Hallo, Ivette", sage ich, noch in Gedanken vertieft. Jemand räuspert sich und ich fahre herum. Es ist James. "Ah, hallo", begrüße ich ihn und starre wieder an die Decke. Ich erwarte, dass er mir jetzt irgendwas sagt, wegen meinen Worten, doch er bittet mich einfach nur zu kommen, damit wir aus dem Zug aussteigen können.

Draußen, stehen viele Menschen. Sie sind alle schrecklich gekleidet, noch schlimmer als Eileen. Und sie jubeln mir und Chris zu, als wir auf das große Gebäude zu gehen. Sie jubeln uns zu! Pah, und wenn wir dann sterben, jubeln sie auch! Chris winkt den Menschen, doch ich gehe stur gerade aus. "Du schaffst das! Sky!!", ruft jemand und ich blicke mich suchend nach der Person um. Es ist eine aufwendig geschminkte Frau, die aussieht wie ein Wolf , da sie Plüschohren und eine graue Felljacke trägt. Sie schwenkt eine Fahne, auf der Distrikt 5 drauf steht. Ich schenke der Frau ein falsches Lächeln und betrete , ohne sie noch eines Blickes zu würdigen, das Hochhaus. "Los, kommt jetzt! Ab in das 5. Stockwerk! Ach, wie ich das vermisst habe. Zum Glück beginnt es jetzt wieder", ruft Eileen ganz verzückt und ich balle die Fäuste. Ja, Eileen freut sich sicher auf die Hungerspiele. "Ja, ich habe die Hungerspiele auch vermisst", sage ich überschwänglich. Eileen dreht sich zwar nicht um, aber ich weiß dass sie mich hört. "Ja, schon das Zuschauen hat mir so Spaß gemacht. Und jetzt habe ich auch noch die Ehre SELBER zu sterben!", fahre ich ironisch fort und lache zuckersüß. Eine Hand legt sich auf meine Schultern und ich fahre herum. "Hey, Sky. Bitte hüte deine Zunge", flüstert James. Ich nicke, doch innerlich brodele ich. Hier wird einem auch vorgeschrieben , was man sagen darf und was nicht. Pah, Panem ist das reinste Gefängnis! Ich frage mich, wie es außerhalb der Grenzen ist. Gedankenverloren betrete ich den Aufzug hinter Eileen, James, Chris und Ivette.

Fᴜᴄʜsɢᴇsɪᴄʜᴛ ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt