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Ich schließe meine Augen.

Warum.

Verdammt.

Nochmal.

Gerate ich IMMER in diese verdammten Gewitter?!

Der Schock sitzt noch so tief, dass ich keine Panikattacke bekomme, aber ich weiß, dass sie nicht lange auf sich warten lässt. In wenigen Minuten werde ich wahrscheinlich weinend am Waldboden liefen und die Spielmacher anflehen mich überleben zu lassen.

Aber sie werden nur lachen. Die Zuschauer werden amüsiert untereinander tuscheln, wieso ich so übertreibe. Und Distrikt 5 wird schweigen.

Ich habe das Bild vor Augen, wie meine Klassenkameraden und meine Nachbarn, meine Lehrer und vielleicht ein paar Freunde von meinem Vater am Platz stehen und auf den Bildschirm starren. Ich bin unter den Top 5, sie hoffen wahrscheinlich, dass ich gewinne. Aber insgeheim wissen sie, dass ich nicht einen leisesten Hauch einer Chance habe.

Sie wissen, dass ich sterben werde.

Insgeheim, tief in mir drinnen, hoffe ich, dass mein Vater dort steht, dass er noch lebt, weil ich nur eine Mutation getötet habe. Aber ich weiß, dass er tot ist. Denn bei Mutationen ist das anders. Wenn sie sterben, lösen sie sich auf. Sie werden wieder zu Mutationen und nehmen ihre ursprüngliche Form an.

Doch mein Vater war in den letzten Momenten seines Lebens er selbst. Er war mein Vater. Und ich habe ihn getötet.

Ich schüttele ungläubig den Kopf, während ich in den schüttenden Regen starre.

Ich brauche einen Unterschlupf, das ist klar, denn sonst bin ich tot. Und zwar bald. Wie aufs Stichwort erklingt ein Donnergrollen und ich entdecke erste Blitze am dunklen Himmel.

Als würde ich das alles gerade erst realisieren, schreie ich auf und blicke voller Angst in den Regen. Ich seh schon lange nichts mehr, denn sobald ich meine Augen öffne, stürzt der Regen nur so in sie herein. Den richtigen Weg kann ich nicht mehr finden, bemerke ich schließlich und die pure Angst packt mich. Mal wieder. Als hätte ich sie nicht schon oft genug gespürt, mit meinen verdammten 16 Jahren. Lebe ich mein ganzes Leben eigentlich nur in Angst? Und werde ich auch in Angst sterben...?

Meine Beine beginnen zu laufen, rutschen aus, rappeln sich wieder auf. Ich habe keine Kontrolle mehr über  meinen Körper, einzig und allein die Panik steuert ihn. Es kommt mir vor, als wäre es ein Traum, ein verdammter Alptraum.

Meine Hände tasten sich blind an Büschen entlang, ich hole mir sämtliche Kratzer und Schnitte, während ich feststelle, dass ich jetzt noch kleinere Chancen habe, zu überleben. Denn wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich gerade zufällig in die Richtung des Füllhorns laufe? Richtig, sie ist fast gleich null.

Ich stolpere erneut und lande hart auf meiner gebrochenen Hand. Schmerz flammt in mir auf und ich habe das Gefühl gleich ohnmächtig zu werden.

Vor meinen Augen ist alles verschwommen.

Ich versuche mich aufzurichten, doch meine Hand lässt es nicht zu, sodass ich kraftlos liegen bleibe.

Auf dem Rücken liegend und schwer atmend will ich in den Himmel blicken, aber der Regen stürzt auf mich ein, als wäre ich eine verwelkte Rose, dessen Rosenblätter einzeln vom Regen weggespült werden. Ich fühle mich kaputt. Machtlos.

Ich höre viele Meter neben mir einen Baum fallen, während im Hintergrund der Regen prasselt. Stark und stetig.

Meine geschlossenen Augen schließen sich und ich versuche den Regen auszublenden. Ich versuche zur Ruhe zu kommen und mein Schicksal zu akzeptieren.

Fᴜᴄʜsɢᴇsɪᴄʜᴛ ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt