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Ich glaube an dich!
~Ivette

Gebannt blicke ich auf den kleinen Zettel, der in dem Fallschirm gesteckt hat. In dem Sponsorengeschenk, in meinem ersten Sponsorengeschenk. Der Zettel steckte dort drin. Zusammen mit der kleinen Tube. Der Salbe, die mir hoffentlich das Leben rettet, denn heute morgen bin ich noch schwächer aufgewacht, als ich es gestern schon war.

Sofort kommt mir das Gesicht von dem Jungen aus 10 in den Kopf. Denn gestern Abend war er dort oben zu sehen. Am Himmel. Also war es seine Kanone. Ich weiß nicht, ob ihn Clove oder Marvel getötet hat. Und ich will es auch nicht wissen. Ich möchte nicht wieder ein schlechtes Gewissen haben, dass ich in jemanden verliebt bin, der Blut an seinen Händen hat. Der Menschen, ja Kinder getötet hat.

Ich möchte es nicht akzeptieren, aber er ist ein Mörder. Und ich werde auch zur Mörderin werden müssen, wenn ich gewinnen will.

Ich öffne die kleine Tube und schmiere mir die gelbe Salbe vorsichtig auf meinen Hals.
Es brennt furchtbar, aber dennoch höre ich nicht auf, denn diese Salbe ist meine letzte Hoffnung.

Anschließend erhebe ich mich, da ich dringend Wasser brauche. An meinen trockenen Hals habe ich mich bereits gewöhnt, an den Schwindel durch den Wassermangel jedoch nicht. Ich fühle mich schwach und krank, gehe aber dennoch mehrere Stunden lang in eine Richtung, das Messer stets bereit in der Hand.

Ich denke an Ivette. Sie ist eine gebrechliche, junge Frau, die ihre Familie verloren hat. Sie hat es geschafft zu gewinnen. Also kann ich es auch. Ich kann nicht nur, ich MUSS.

Ich muss, für meinen Vater.

Ich setze wieder meinen entschlossenen Gesichtsausdruck auf, innerlich schreie ich jedoch. Alles schmerzt, ich habe Durst und Hunger, mir ist schwindelig.

Sterben wäre soviel einfacher.
So viel schmerzloser.

Ich bin so ein Feigling! Ich darf jetzt nicht locker lassen! Ich bin dem Ziel schon so nah, das ganze Leiden darf nicht umsonst gewesen sein...und mein Vater!
Sterben kommt nicht infrage!
Und Ivette glaubt an mich, sie sieht Chancen, dass ich gewinne!

Mehrere Stunden lang quäle ich mich durch den Wald. Jeder Schritt, jeder Atemzug tut weh und ich bin müde. Dennoch gehe ich weiter, denn ich habe neue Hoffnung geschöpft. Zwei Karrieros sind bereits tot. Es leben nur noch neun Tribute. Ich bin eine dieser neun. Ich KANN gewinnen!

Starr blicke nach vorne, meine Willenskraft treibt mich voran.
Mit der rechten Hand umklammere ich mein Messer, das einzige was mir noch übrig geblieben ist. Meine Blutung am Hals hat gestoppt, aber dennoch fällt mir das Atmen schwer, da ich ganz klar innere Verletzungen habe.

Ich frage mich, ob in der Arena außer dem Fluss noch ein anderes Gewässer existiert.
Ich habe keine Ahnung, ob ich in die richtige Richtung gehe, ich kann es nur hoffen.

Es ist dennoch sehr unwahrscheinlich, dass ich innerhalb der nächsten Tage auf Wasser stoße. Ich kaue auf meinen zersprungenen Lippen und pflücke währendessen ein paar Beeren, aus denen ich den Saft heraussauge.

Während diesen vielen Stunden des Gehens habe ich Zeit. Zeit nachzudenken. Über alles. Ich denke an meine Mutter, an meinen Vater. Oder an das Mädchen aus meiner Klasse, das mich immer geärgert hat. An meinen Nachbarn, der mit vierzehn Jahren in die Hungerspiele musste und schon beim ersten Blutbad gestorben ist. An Kalia, das Mädchen, das Sonnenaufgänge liebt und mit dem ich nur ein paar Worte gewechselt habe. An den Jungen aus Distrikt 10, der gestern gestorben ist und mir somit das Leben gerettet hat.

Eine kleine, salzige Träne sickert an meiner Wange hinab. Ich wische sie verbittert weg.

Tränen helfen nicht, sie bringen all diese Leute nicht zu mir.

Fᴜᴄʜsɢᴇsɪᴄʜᴛ ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt