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Ich spüre Catos Hand zucken, doch er lässt weder los noch verkleinert er den Druck der Klinge. "Cato", flüstere ich erneut, als der Nachthimmel ein wenig klarer wird und ich sein kaltes Gesicht im Mondlicht erblicke. Seine Gesichtszüge sind hart, seine Wangenknochen ausgemergelt. Seine Augen wirken gefühllos und doch kann ich in ihnen wilde Wut erkennen, wilden Hass. Er macht mir Angst.

Ich versuche nicht allzu eingeschüchtert zu wirken, doch Cato sieht es und lacht verächtlich. Nicht voller Hohn sondern voller Ironie. Er weiß, dass er schlimm aussieht, dass er krank aussieht.

"Du hast Angst vor mir, was?", meint er, während seine Augen glühen. Ich zwinge mich den Kopf zu schütteln, doch meine Zähne klappern laut. Ich komme mir so lächerlich vor, als wäre ich ein kleines Kind, das Süßigkeiten geklaut hat und beteuert, es nicht getan zu haben, während es immernoch welche im Mund hat.

"Ich hätte auch Angst an deiner Stelle, Fuchs", zischt Cato, während er die Klinge beiseite legt, meine beiden Hände mit seinen viel stärkeren Armen an den Boden drückt. Ich heule auf, der Schmerz zuckt durch meine gebrochene Hand, brennend und pochend, doch Cato grinst nur spöttisch und drückt fester zu.

Er lehnt sich zu mir vor, so nah, dass ich in seiner Iris den Schmerz erkennen kann. Und den Hass.

"Ich hätte auch Angst, ich sehe schließlich nicht mehr normal aus, oder Sky? Ich bin ein wildes, unkontrollierbares Monster, das töten will, um den Schmerz zu vergessen", flüstert er, direkt über mir, während ich ihn mit vor Angst aufgerissenen Augen anstarre.

Er dreht durch. Und in seiner Verrücktheit wird er alles mit mir anstellen!

"Du hast Angst vor mir, weil ich grauenhaft aussehe, weil du dich dafür fürchtest voller Schmerzen und Qualen zu sterben, richtig?" Er blickt mich mit seinen kalten Augen an, trotz der Kälte in ihnen, scheinen sie förmlich zu brennen.

Ich nicke. Lügen bringt nichts.
Ich habe Angst, Cato weiß das. Was bringt es, so zu tun, als wäre ich stark, wenn ich es nicht bin?

Tränen treten in meine Augen und ich spüre wie Catos Blick harter wird.
Es ist mir egal.

Ich weine still weiter, starre stur in Catos Augen, während er in meine blickt. Der Regen hat seine blonden Haare komplett durchnässt, unter seinen Augen befinden sich ebenfalls Regentropfen. Oder sind das Tränen?

"Ich verstehe es nicht", haucht Cato plötzlich und sucht in meinen Augen nach Verständnis. "Wie konnte... wie konnte sie sterben? Sie war...ich meine sie war Clovie. Sie konnte nicht sterben!" Seine Stimme zittert voller Schmerz, seine Wut ist verflogen, nur noch die Trauer und der Verlust spiegeln sich in seinen blauen Augen.

Ich weiß nicht, was ich darauf antworten könnte. Ich weiß es schließlich selber nicht. Ich weiß nur, dass Thresh nicht Schuld an Cloves Tod war. Ich weiß auch, dass Katniss nicht an Marvels Tod Schuld war und Marvel nicht an Rues. Cato war nicht an Threshs Tod Schuld und Marvel nicht an Kalias. Es gibt nur einen Schuldigen. Nur einen.

President Snow.

Ich schlucke, während ich an Marvels Lächeln denke, an seine blauen Augen, die mich angestrahlt haben. Ich erinnere mich an die schützenden Hände meines Vaters, an die Sanftheit meiner Mutter. Ich denke an Kalias letzte Worte und an ihren Blick, als sie den Sonnenaufgang gesehen hat. Ich höre Katniss' Lied in meiner Erinnerung, als sie die kleine Rue bis in den Tod gesungen hat. An die Melodie, die meinen und Marvels Körper erfüllt hat, bis er die Welt verlassen hat. An Clove, als sie mir von ihrem Liebeskummer erzählt hat, sie war ein gewöhnliches sechzehn-jährigesjähriges Mädchen, wie ich.

Ich blicke wieder in Catos Augen.

"Ich verstehe es auch nicht", flüstere ich. Meine Unterlippe zittert. Ich habe alles verloren. Alles. Ich räuspere mich, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken.

Fᴜᴄʜsɢᴇsɪᴄʜᴛ ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt