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Als ich blinzelnd meine Augen öffne, rieche ich sofort den Regen. Die warmen Tropfen landen sanft auf dem Waldboden. Es scheint schon eine ganze Weile zu regnen, da beinahe der komplette Waldboden getränkt ist. Ich atme diese Luft ein und kann zum ersten Mal seit langem wieder etwas genießen. Ich habe Regen schon immer gemocht, da bei zu starkem Regen manchmal die Kraftwerke geschlossen wurden, sodass ich frei hatte. Das waren immer die Tage, an denen ich auf der schmalen Fensterbank gesessen bin und geträumt habe. Ich habe von meinem Leben geträumt, von einem anderen, besseren Leben. Ein Leben, in dem ich etwas erreiche. Und ich wusste schon damals, dass ich dieses Leben nie leben werde, denn ich war gefangen in Distrikt 5, für immer. An diesen regnerischen Tagen, habe ich mich gefragt, ob ich es schaffen könnte wegzulaufen, raus aus Distrikt 5, raus aus Panem. In die Freiheit.
Und doch war ich zu feige es zu tun. Zu feige, mein Leben für die Freiheit zu riskieren, zu feige bei dem Versuch zu fliehen zu sterben. Nun ist es zu spät. Ich werde sterben. Hier. Gefangen in Panem.

Ein Regentropfen landet in meinem Auge, sodass ich ihn wegblinzeln muss. Ich richte mich auf und überprüfe, ob meine Vorräte noch trocken sind. Erleichtert stelle ich fest, dass der Busch, in dem ich geschlafen habe, so dicht ist, dass die Vorräte und ich kaum nass geworden sind.

Ich öffne meine Flasche, in der beinahe kein Wasser mehr ist und stelle sie geöffnet in den Regen, um sie wenigstens ein wenig zu füllen.

Dann sitze ich einfach nur da und lausche dem Regen. Den einzelnen Tropfen. Wie sie hart auf der eisernen Flasche landen und langsam ihren Weg auf den Waldboden finden.

Zusammengekauert und gut unter dem Busch versteckt warte ich. Darauf, dass etwas passiert, denn dieses Warten ist schlimm für mich. Wenn ich schon sterbe, möchte ich es jetzt. Hier und jetzt.

Ich möchte nicht mehr warten, in ständiger Angst vor dem Tod und dem Verlust...denn ich bin zu schwach dafür... nur ein sechzehn-jährigesjähriges Mädchen mit einem verblassten Traum von einem besseren Leben.

Meine Hände zittern leicht, ich weiß nicht, ob es wegen der Kälte oder wegen der Angst ist. Der Regen wird stärker, peitscht auf den Boden, ergießt sich über der Erde, als weine der Himmel. Als weine der Himmel wegen uns, unserem Schmerz.

Ich betrachte den Busch, der sich direkt neben meinem Versteck befindet. Schwarze Beeren... Nachtriegel.
Wenn man sie ist, stirbt man, ehe sie im Magen sind. Ein kurzer, schmerzloser Tod...

Ich darf gar nicht darüber nachdenken, was fällt mir eigentlich ein?!  Ich bin nicht feige, ich werde weiterkämpfen...

Und dennoch, trotz meiner warnenden Fuchsstimme, dennoch fühle ich mich von den Beeren wie angezogen. So einfach und schmerzlos...

Genug! Ich darf nicht darüber nachdenken! Ich kann gewinnen, ich MUSS!

Ich wende meinen Blick von den dunklen, saftigen Beeren, die mir den Tod bringen könnten, ab und schaue hinauf in den Himmel, aus dem es immernoch in Strömen schüttet.

Dunkle Wolken bedecken ihn und verstecken die Sonne hinter sich. Ich höre Donnergrollen und langsam werde ich nervös. Ist es nicht gefährlich, bei Gewitter im Wald zu sein? Denn wenn ein Blitz einschlägt...

Die Nervosität siegt in mir und mit wackeligen Knien richte ich mich auf. Ohne zu überprüfen, ob einer der Tribute in der Nähe ist, laufe ich los. Der Regen raubt mir die Sicht, vor meinen Augen ist nichts als Wasser. Panisch werde ich schneller, mein Atem ist schwer und mein Herz schlägt dumpf in meiner Brust.

Weiter, ich muss weiter...

Mein linkes Bein bleibt an einer Wurzel hängen, die kaum zu sehen ist, da die fast vollständig in dreckigem Regenwasser versteckt ist. Der Länge nach falle ich hin, lande hart auf der Erde. Sofort rappele ich mich auf, ich muss weiterlaufen. Weiterer Donner, ein Blitz kracht irgendwo in die Erde. Ich sehe nichts.

Fᴜᴄʜsɢᴇsɪᴄʜᴛ ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt