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Als die Sonne erneut aufgeht, lehne ich immernoch am selben Baum und warte. Ich betrachte den Sonnenaufgang. Er bedeutet eine neue Chance, eine neue Hoffnung.

Aber nicht für mich. Ich habe weder eine Chance noch Hoffnung. Ich habe versagt.
Mir kommt es wie ein Traum vor, dass mein Vater tot ist. Dass ICH ihn getötet habe.

Wenn ich jetzt aufgebe, bringt es meinen Vater auch nicht zurück.
Ich muss es versuchen...

Emotionslos erhebe ich mich und umklammere mein Messer. Mit zitternden Beinen laufe ich durch den Wald. Irgendwohin. Ich laufe, ohne darauf zu achten, ob ich Lärm mache. Es ist mir egal, ob mich jemand tötet. Dann wäre ich wenigstens bei Mama, Papa, Kalia und bei allen anderen Gefallenen. Und vor allem hätte ich keine Angst mehr, müsste keine Schmerzen fühlen. Und ich müsste nicht mehr mit dem Gedanken leben, meinen eigenen Vater umgebracht zu haben.

Als ich nach ein paar Stunden tatsächlich einen kleinen Teich finde freue ich mich nichteinmal. Starr trinke ich einfach, um meinen Durst zu löschen. Ich habe aufgehört zu fühlen, meine Gefühle sind zu tief in mir.

Sorgfältig wasche ich meine Kleider aus und lasse sie in der Sonne trocknen, während ich mich wieder in einem der Büsche verstecke.

Dann schneide ich ein Stück Stoff aus meinem getrockneten Shirt und decke damit meine Wunde am Hals ab. Die Salbe hat die Wunde fast vollständig geheilt, was mich sehr überrascht, da ich bezweifelt habe, dass man so eine Verletzung überhaupt überlebt.

Aber ich bin Ivette nicht dankbar für die Salbe. Denn wäre ich schon gestorben, hätte ich meinen Vater nicht töten können und er würde jetzt noch leben. Er wäre zwar vollkommen allein, aber er würde leben.

Ich versuche diesen Gedanken aus dem Kopf zu verbannen. Ivette kann nichts dafür. Das Kapitol ist dafür verantwortlich.

Hass durchströmt mich und dieses Mal, ist es kein Selbsthass. Dieses Mal verstehe ich es. Das Kapitol hat mein komplettes Leben zerstört. Es hat mir meine Eltern genommen, es hat mir Schmerzen zugefügt, die ich niemals vergessen werde und es wird mich dazu zwingen entweder zu sterben oder meine Liebe sterben zu lassen.

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Vorsichtig luge ich zwischen den Blättern des Busches hindurch. Mein Magen grummelt und ich verfluche ihn dafür, denn schon wieder ist mir meine Beute entwischt.

Nach etlichen weiteren Versuchen, schaffe ich es endlich, eine magere Maus zu erwischen.
Kurz darauf habe ich gegessen und getrunken. Kurzerhand entschließe ich mich hier bei dem Teich erstmal für ein paar Tage zu bleiben. Hier findet mich niemand und ich habe frisches Wasser.

Ich öffne dir die Salbe und verstreiche sie nochmal auf meiner Wunde am Hals. Es brennt furchtbar, aber ich verziehe keine Miene.

Ich starre in den Himmel und verfluche dieses ewige Warten. Wir müssen es zu Ende bringen.

Und dann höre ich Stimmen. Ich habe mir eingebildet, dass ich nichts mehr fühlen kann, doch anscheinend habe ich mich geirrt. Die Angst ist da. Panisch schiebe ich die Reste von dem Essen in einen Busch und will mich gerade auch darin verstecken, als ich innehalte.

Ich muss herauszufinden, woher die Stimmen kommen.

Vorsichtig, Schritt für Schritt, schleiche ich mich in Richtung der Stimmen. Sie sind laut, ertönen aber von weit weg. Mehrere Minuten lang gleite ich durch den Wald ohne ein Geräusch von mir zu geben. Ich habe das Gefühl, dass man meinen Herzschlag bis ans Ende der Welt hören kann und versuche meine unregelmäßigen Atemzüge unter Kontrolle zu bringen.

Schließlich wird es im zwielichtigen Wald heller und ich kann erahnen, wo ich mich befinde. Ich spähe zwischen den letzten Zweigen hindurch und mein Verdacht bewahrheitet sich. Die Lichtung. Kurz darauf schrecke ich zurück, denn die Karrieros stehen ein paar Meter von mir entfernt und nur der Busch trennt mich noch von ihnen.

Fᴜᴄʜsɢᴇsɪᴄʜᴛ ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt