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"Sky!"

Die Stimme erklingt aus der Ferne, so weit weg ist sie und doch weiß ich sofort, wessen Stimme es ist. Es ist SEINE Stimme. Ich drehe mich, winde mich, suche verzweifelt nach IHM, aber vergeblich. Er ist nicht hier, nicht bei mir. Er ist tot.

In mir zieht sich alles zusammen, Tränen bilden sich mal wieder in meinen Augen, obwohl ich mir doch schon so oft geschworen habe, nie mehr zu weinen. Für was denn auch? Ich habe nichts mehr, niemanden, um den es sich zu weinen lohnt. Es ist so sinnlos...wieso bin ich überhaupt noch am Leben? Wieso? Ich verdiene es nicht, ich bin ein Monster, das seinen eigenen Vater umgebracht hat, zugesehen hat, wie sein Freund gestorben ist, ohne etwas dagegen zu tun und gelächelt hat, als seine Mutter hingerichtet wurde. Ich verdiene nichts. Nichts. Aber dennoch...vermisse ich sie. Alle drei. Vater. Mutter. Marvel. Ich vermisse sie so unglaublich, auch wenn sie alle jemand besseres verdient hätten, als mich.

"Sky, antworte mir! Bitte!", ertönt seine Stimme erneut aus der Ferne.

"Ich bin hier!", schreie ich, so laut ich kann, doch nur ein schwaches Krächzen entkommt meiner Kehle. Ich versuche es erneut. Und erneut. Doch ich kann nicht schreien, es scheint, als hätte ich meine Stimme verloren. Nebel umhüllt mich, dunkel und gefahrenbergend.

Plötzlich spüre ich mich umhüllende Wärme, die mein Herz schmelzen lässt. Marvel.

Er sitzt dicht neben mir, ich kann ihn nicht sehen, doch ich weiß, dass er hier ist. Dass er bei mir ist. Ich spüre es einfach.

Unwillkürlich lächele ich. In meinem Kopf erscheint ein Bild von ihm, wie er mir warm zurück lächelt.

"Marvel", flüstere ich, leise und sanft.
Er antwortet nicht, doch er ist noch da.
Ich weiß es.

Mein Herz schlägt dröhnend in meiner Brust, stark und freudig.
"Ich vermisse dich"

Nur die Stille antwortet darauf, doch ich weiß, dass Marvel gerade lächelt.

Eine Windböe umringt mich und lässt meine roten Haare herumwirbeln. Der Wind trägt den Nebel fort, spült die Dunkelheit weg und wiegt mich, wie ein kleines Kind, umher. Er flüstert, murmelt, wispert in der Stille. Er erzählt mir Geschichten, singt mir Lieder. Ich verstehe nichts und gleichzeitig alles.
Und immer wieder, wiederholt er, fast schon drängend, dass ich aufwachen muss. Dass ich aus dem Traum erwachen muss, denn dort draußen wartet mein Leben auf mich, die kalte Realität.

Mit Tränen in den Augen sitze ich da, auf der Lichtung des fortgespülten Nebels. Ich will nicht fort von hier.

Langsam verlässt mich die Wärme und lässt mich mit der Erkenntnis zurück, dass Marvel fort ist. Und dass ich aufwachen muss.

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Der plötzliche Schmerz in meiner rechten Hand lässt mich aufschreien, pochend lähmt er meine Finger. Ich kann sie nicht bewegen und bei der kleinsten Berührung flammt ein unglaublicher Schmerz in ihnen auf, der mir Tränen in die Augen treibt.

Als ich die Augen öffne starre ich in den Himmel, es ist bereits Abend. Lag ich den ganzen Tag hier?

Das Gewitter ist fort, die dunklen Wolken sind verschwunden und die letzten Strahlen der untergehenden Sonne lassen die Blätter des Waldes golden glänzen. Wie konnte ich dieses Gewitter überleben? Überall um mich sind Bäume gefallen, dicke Äste hinunter gekracht...wie um Himmelswillen konnte ich das überleben?

Vorsichtig richte ich mich auf, meine Schulter schmerzt und ich weiß, dass meine rechte Hand nun unbrauchbar ist, da ich sie nicht bewegen kann und in ihr alle Knochen gebrochen sind.
Meine Klamotten sind nass und kalt, sodass ich erschaudere. Ich muss Wasser finden.

Fᴜᴄʜsɢᴇsɪᴄʜᴛ ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt