Kapitel 3

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Clara Archer

Ich freue mich wie ein kleines Kind, wenn er in der Mittagspause in die Kantine kommt und meine Brotdose in der Hand hat. Auch heute hatte er sie wieder dabei und auch seinem Freund Phil etwas abgegeben. Phil hat dieselbe Haarfarbe wie Randon, trägt sie aber kürzer und hat auch dunkle, braune Augen. Er ist sogar etwas größer und muskulöser, aber für meinen Geschmack verbringt er zu viel Zeit im Fitnessstudio und dafür zu wenig an Büchern. Von ihm kommen meistens nur zusammenhangslose Antworten, wenn er aufgerufen wird. 

Natürlich bin ich trotzdem froh, dass es ihm zu schmecken scheint, aber jetzt muss ich überlegen, ob ich in Zukunft auch noch etwas für Phil machen soll oder nicht. Es wäre nicht so toll, wenn er Randon etwas weg isst, aber dann könnte Randon denken, dass ich auch Phil mag und das will ich nicht.

Am liebsten würde ich Phil einfach sagen, dass er die Finger davon lassen soll, aber das werde ich selbstverständlich nicht machen.

>Liebling?<, schallt Lesleys hohe Stimme durch die Kantine, holt Randon aus seiner Starre. Aus irgendeinem Grund hat er den Automaten vor sich angestarrt und das mindestens eine Minute lang. Ein bisschen sorge ich mich deshalb, aber ich denke auch nicht, dass es etwas Schlimmes ist. Immerhin sieht er genau so umwerfend aus wie immer, mit seiner perfekten Frisur und weißen T-Shirt zu seiner hellblauen Jeans. Er hat heute nicht ein einziges Mal komisch gewirkt oder war weggetreten, bis eben, deshalb war er sicher nur kurz in Gedanken.

Er geht zurück an seinen Tisch, gibt Lesley die Cola und einen kurzen Kuss, dann verabschiedet er sich von seinen Freunden.

Verwirrt runzle ich die Stirn, beobachte ihn auf dem Weg zur Tür.

Warum geht er schon und warum allein? Wohin geht er?

Er hat die leere Dose mitgenommen, demnach will er nicht zurückkommen. Neugierig springe ich auf, schnappe mir meinen Rucksack und folge ihm. Wie üblich gehe ich perfekt in der Masse unter, niemand beachtet mich und so kann ich die Kantine verlassen, ohne aufzufallen.

Der Gang ist leer, darum folge ich ihm bis zur nächsten Abzweigung und tatsächlich sehe ich ihn dort. Er läuft in die Richtung, in welcher sein Schließfach liegt und ich beschließe, ihm zu folgen.

Auf leisen Sohlen laufe ich ihm nach, verhalte mich normal. Es ist immerhin nicht ungewöhnlich, dass hier Schüler durch das Gebäude laufen. Auffallen würde ich nur, wenn ich geduckt laufe oder mich hinter jedem Hindernis verstecke.

Tatsächlich hält er an seinem Schließfach, öffnet es. Ohne zu stocken laufe ich langsam weiter, auf der anderen Seite des Flures, ziehe mein Handy aus der hinteren Hosentasche. Er schreibt irgendetwas auf einen Block, doch ich kann nicht erkennen, was er vor hat und nehme mein Handy ans Ohr.

Wenn er sich umdreht tue ich einfach so, als würde ich telefonieren.

Er knüllt den Zettel zusammen und schreibt etwas Neues auf, mehr kann ich aber nicht sehen, weil ich schon an ihm vorbei bin. Es interessiert mich brennend, was er da macht.

Schreibt er eine Notiz für mich? Fragt er endlich, wer ich bin? Bedankt er sich? Dafür schreibt er zu lange. Was schreibt er alles?

Aufgeregt biege ich in den nächsten Gang, versuche ruhig zu bleiben, rücke meine Brille zurecht. Selbstverständlich will ich sofort zurück rennen, ihm den Zettel aus der Hand reißen und ihn lesen, aber das geht nicht. Dann weiß er, wer ich bin.

Mit einigen langen, tiefen Atemzügen gehe ich weiter, versuche das nervöse Zittern meiner Finger zu kontrollieren.

Morgen kannst du es lesen. Morgen früh, nicht vorher. Weiche nicht von deinem Plan ab, sonst erwischt dich nur jemand und dann war alles um sonst.

UnscheinbarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt