Kapitel 30

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Irgendetwas ist heute anders als ihr. In der ersten Stunde war sie noch zurückhaltend und vollkommen damit beschäftigt, die anderen mit ihren nervigen Blicken und Gerüchten zu ignorieren. Nur sechs Stunden später ist sie fast das komplette Gegenteil. Niemals hätte ich gedacht, dass sie sich in den Streit einmischen würde und schon gar nicht, dass sie Phil zu Boden wirft. Auch das mit seinem Fuß, verstehe ich nicht ganz. Meiner Meinung ist sie damit zu weit gegangen und wie der Direktor gesagt hat, ist Clara kein Mensch, der sich von Kurzschlussreaktionen leiten lässt.

>Komm<, fordert Max, zieht mich in einen Klassenraum. Clara geht weiter, sie hat jetzt einen anderen Kurs. >Entschuldigen Sie die Verspätung, waren noch beim Rektor<, erklärt er unserem Lehrer, welcher nur nickt. Wir gehen zu unseren Plätzen, packen unsere Sachen aus, bis Max sich zu mir herüber beugt. >Irgendwie dachte ich, dass sie schon länger hier ist. Kommt mir so vor, als würde sie schon immer da sein und wir hätten sie nur nicht gesehen<, sagt er leise. Genau dasselbe habe ich vorhin auch gedacht. Obwohl ich erst seit Freitag mit ihr zu tun habe, habe ich das Gefühl, dass es schon viel länger ist. So, als wären wir und schon früher begegnet.

>Ich bekomme seit gut zwei Monaten die Brote<, platz es aus mir heraus und die Augen von Max werden groß. Mir war bis eben selbst nicht bewusst, dass mich das beschäftigt, aber es stimmt. Das wäre schon ein komischer Zufall, wenn sie an die Schule kommt und fast zur selben Zeit ein anderes Mädchen anfängt mir Brote zu machen.

>Du meinst, das hängt zusammen?< Ich kann praktisch sehen, wie die Gedanken in seinem Kopf kreisen. Da bin ich nicht besser dran.

>Es würde passen. Zeitlich und auch, dass sie so schüchtern ist. Das Pausenbrotmädchen ist genau so zurückhaltend wie Clara.< Das denke ich wirklich, aber ich bin mir nicht ganz sicher. Sie hat gesagt, sie wäre nicht mit mir in Chemie und ich kann auch nicht ganz die beiden Charaktere zusammenbringen. Clara wirkt irgendwie kindlicher als sie und auch insgesamt einfach anders. Obwohl ich das nicht genauer beschreiben kann, wobei es auch sein kann, dass ich mir das nur einbilde.

>Du solltest sie fragen<, meint Max, sieht kurz nach von an die Tafel und beginnt abzuschreiben, was da steht. Natürlich ist das eine Idee, aber ich traue mich nicht. Wenn sie in Wirklichkeit Clara ist, weiß ich überhaupt nicht, wie ich reagieren soll.

Es würde bedeuten, dass ich sie kenne und die ganze Zeit übersehen habe, obwohl sie immer für mich da war. Anfangs nur mit den Broten, aber seit über einer Woche schreibe wir dann auch regelmäßig. Sie hätte mir dementsprechend mit Lesley geholfen, mir von ihr und Phil erzähl, mir empfohlen mich an Max zu wenden und war einfach da. Ich hätte Clara nach sich selbst gefragt und bis heute nicht gemerkt, dass sie mich sehr wahrscheinlich mag. Anders kann ich mir die Sache mit den Broten bis heute nicht erklären. Und das würde auch erklären, warum sie so untypisch für sich reagiert hat, als Phil mich geschlagen hat.

Mit geschlossenen Augen reibe ich mir die Schläfen, versuche Antworten zu finden. Ich würde es gut finden, wenn sie Clara ist, gleichzeitig auch nicht. Ich mag sie beide, aber wenn sie es wirklich ist und ich sie darauf anspreche, wird sie sich zurückziehen. Damit könnte ich das alles kaputt machen. Im schlimmsten Fall würde ich dann beide Seiten von ihr verlieren.

Oder Clara verletzten, weil ich sie für eine andere gehalten habe. Ob sie mich mag oder nicht, das wäre einfach nicht in Ordnung.

>Hey, was ist los mit dir?<, fragt Max leise, legt mir eine Hand auf die Schulter.

>Ich kann sie nicht fragen<, beschließe ich leise, sehe nicht zu ihm auf. >Es ist egal, ob sie ein und dieselbe Person sind, oder nicht. Ich will keine von beiden verletzten oder sie verlieren. Dafür brauche ich sie grade zu sehr.< Er drückt meine Schulter, dann lässt er sie wieder los.

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