Ein (nicht) ganz normaler Tag

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Ich wurde von meinem Wecker aus dem Schlaf gerissen. Verschlafen tastete ich nach meinem Handy und schaltete ihn ab. Müde warf ich die Decke zurück und setzte mich auf. Es war Dienstag, Berufsschule war angesagt. Zum ersten Mal nach den Frühlingsferien. Na toll. Meine Stimmung wurde noch schlechter als sie schon war. In letzter Zeit hatte ich schlimme Kopfschmerzen und obwohl die Schmerzen in der Nacht zu einem leichten Pochen abgeklungen waren, schlief ich so schlecht wie schon lange nicht mehr. Neben den Schmerzen kamen die Träume. Träume, einer wirrer und beängstigender als der andere, verfolgten mich. Seufzend stand ich auf und ging ins Bad um mich frisch zu machen. Schnell sprang ich unter die Dusche, das kalte Wasser weckte mich endgültig auf. Danach stellte ich das Wasser etwas wärmer. Fertig angezogen und die Haare zu einem Zopf geflochten stand ich vor dem Spiegel. Grün goldbraun gesprenkelte Augen blickten mir erwartungsvoll entgegen. Mein Gesicht war schön, feine Gesichtszüge, selbst meine Nase war okay, naja vielleicht etwas spitz. Zudem hatte ich reine, makellose Haut, vorauf so manche junge Dame eifersüchtig war. Heute jedoch sah ich aus wie eine Leiche. Meine Haut war bleich, meine Lippen schienen jegliche Farbe verloren zu haben und ich hatte dunkle Ringe unter den Augen. Vergeblich versuchte ich meine Augenringe unter einer Schicht Make-up zu verstecken. Als es nicht wirklich klappte, wischte ich es energisch wieder ab. Sollten die anderen meine Augenringe doch sehen, was interessierte mich ihre Meinung. Ausserdem kam ich eh meistens ungeschminkt und mein Stiel liess sicher auch zu wünschen übrig. Mode war halt nicht mein Ding. Ich zog an was mir gefiel, ob es gerade In war ging mir am A**** vorbei. Natürlich trug ich keine Lumpen, aber ich trug auch fast keine Markenklamotten.

Es war ungewöhnlich ruhig, als ich in die Küche trat. Normalerweise hantierte meine Oma zu dieser Zeit bereits hier. Sie hätte den Radio angemacht oder vor sich hin gesummt. Nun war die Küche leer, der Radio war aus. Meine Oma war nicht da. Sie war noch in Schweden und besuchte dort alte Freunde. Da sie in Schweden geboren worden war und auch ein grosser Teil ihrer Kindheit dort verbracht hatte, kannte sie noch einige Leute. Einmal im Jahr besuchte Oma sie, um Neuigkeiten auszutauschen, in der Sauna zu schwitzen, Schwedentorte zu essen und und und.
Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich wieder einmal spät dran war. Eilig verdrückte ich ein Brötchen und spülte das Ganze mit einem Tee hinunter. Zähne putzend, suchte ich meine Schulsachen zusammen und stopfte sie in meine Tasche.

Mit der Tasche über der Schulter trat ich aus dem Haus und schloss die Tür. Den Schlüssel legte ich in den roten Blumentopf. Unser Haus lag am Rande des Dorfes, aber bis zur Postautohaltestelle hatte ich höchstens zwei Minuten. Mit den Kopfhörern auf den Ohren und die Hände in den Taschen meiner Jacke vergraben, wartete ich bis das Postauto kam. Ich war nicht die einzige. Ein Mann im Anzug und Aktenkoffer, sowie ein Mädchen, das ins Gymnasium ging, standen da. Ich kannte sie nicht, im Grunde kannte ich niemand in diesem Dorf. Wir wohnten zwar schon seit ich denken kann hier, aber ich blieb meistens für mich. Die Kinder mochten mich meistens nicht. Einmal machte ich den Fehler meine Ohren zu zeigen und schon wurde ich als Freak abgestempelt. Seit do hat meine Ohren niemand mehr gesehen, ausser Liv. Aber Liv war auch meine beste Freundin.
Das Postauto kam und wir stiegen ein, ich setzte mich an einen Platz am Fenster.
Zwei Haltestellen später war das Postauto voll. Schüler schnorrten durcheinander und ich stellte die Musik lauter. Zum Glück übertönte die Musik nun alles. Ich sank zufrieden tiefer in meinen Sitz und schloss die Augen. Ich hasste den Morgen, doch noch mehr hasste ich die Menschen die am Morgen schon top fit und für Scherze aufgelegt waren. Am Morgen musste niemand von mir auch nur irgendetwas wollen. Sonst rastete ich ziemlich schnell aus. Was oft meine Oma zu spüren bekam, was mir ehrlich leid tat. Doch ich konnte es nicht verhindern.

Quälend langsam verging die Zeit, Stau verlängert die Fahrt um sicher zehn Minuten. Na toll. Jetzt musste ich mich echt beeilen und ich hasste Stress am Morgen. Wer nicht?
Schliessich erreichten wir den Hauptbahnhof von Winterthur und das Postauto leerte sich. Eilig ging ich weiter, schob mich zwischen Leuten hindurch, überquerte die Strasse und kam gerade noch rechtzeitig zu meinem Anschlussbus. Kaum war ich drin, schlossen sich die Türen und der Bus fuhr ruckartig ab. In fünf Minuten würde die Schule beginnen. Das wurde knapp. Bei der zweiten Haltestelle stieg ich aus, liess den Bus an mir vorbei fahren. Dann hetzte ich über die Strasse, die Treppe hoch und in die Schule hinein. Noch eine Minute und ich mussten in den dritten Stock, schnell rannte ich die Treppe hoch, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Im dritten Stock angekommen, bog ich rechts um die Ecke und lief gegen etwas. Ich taumelte zurück, meine Tasche fiel auf den Boden und ich stolperte darüber. Hätte mich niemand gepackt wäre ich ebenfalls hingefallen. Doch eine starke Hand schloss sich um meinen Unterarm und fing mich noch rechtzeitig auf. Strahlend blaue Augen schauten mich besorgt an. Ich richtete mich ganz auf, murmelte einen Dank, schnappte mir meine Tasche und rannte an ihm vorbei. Die Tür war noch offen, rasch schlüpfte ich hinein. Aufs Klingeln sass ich an meinem Platz. Liv umarmte mich, dann begann auch schon der Unterricht.

Love me till the EndWo Geschichten leben. Entdecke jetzt