54. Ankunft in Köln

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PoV: Marty

„Freust du dich?" Ich sah Kenny erwartungsvoll an. Der hockte im Schneidersitz auf seinem Sitzplatz und drehte sich eine Zigarette. Die Frau neben mir warf ihm die ganze Zeit misstrauische Blicke zu. Ob es wohl an der Zigarette oder doch eher an dem gemeingefährlichen Gesichtsausdruck lag?

„Klar freue ich mich." Er sah hoch und schenkte mir ein strahlendes Lächeln. Die Frau bekam langsam Panik. Ich hatte schon öfter mitbekommen, dass mein Bruder auf mich eine vollkommen andere Wirkung hatte, als auf den Durchschnittsmenschen. Und eine vollkommen andere Wirkung als er beabsichtigte.

„Und bist du gespannt auf Dner?"

„Felix", verbesserte Kenny. Wenn es etwas gab, was er lieber mochte, als Leute zu erschrecken, dann war es mich zu verbessern.

„War das ein Ja?"

„Wahrscheinlich." Und damit war das Gespräch beendet. So war übrigens die ganze Fahrt bisher verlaufen. Ich redete und Kenny antwortete einsilbig. Außer einmal. Da war er eingeschlafen. Ihr könnt euch vorstellen, dass er nicht unbedingt zu der angenehmen Art großer Bruder gehörte. Aber auch er hatte seine netten Momente. Manchmal.

„Steigt ihr nächste Station aus?", fragte die Frau neben mir. Sehr leise und peinlich genau darauf bedacht Kennys Aufmerksamkeit nicht auf sich zu ziehen. Das war das erste Mal auf der ganzen Fahrt, dass sie sprach.

„Ja." Ich lächelte ihr aufmunternd zu. Sie mochte Mitte zwanzig sein. Wie konnte es sein, dass Kenny selbst solche Menschen einschüchterte, ohne überhaupt etwas zu machen? Was hatten unsere Eltern bei seiner Erziehung falsch gemacht?

Wahrscheinlich war es eher der Einfluss von Meddi und Tini. Tini hatte ihn mit den tausend Verboten dazu angestachelt Mist zu bauen und Meddi hatte sich über alles immer halb tot gelacht. Egal wie hirnlos es war. Oder sie hatte mit gemacht.

„Ich hab Meddi ein Bild gemalt." Ich malte gerne. Und laut Meddi malte ich auch gut. Meinen Eltern zeigte ich die Bilder nie. Und Kenny auch nicht mehr. Der hatte zu viel Spaß dabei daran herum zu mäkeln oder etwas anderes über das eigentliche Bild zu malen.

„Sind da wieder diese kleinen langweiligen Blumen drauf?"

„Ja." Ich hoffte, wir redeten von den selben Blumen. Kleine Blumen, die fast in dem Grün der Wiese oder Efeuranken untergingen, aber doch noch stark genug waren, um die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zu ziehen. Entweder hatte Kenny keinen Sinn dafür oder er verbarg es sehr gut. Wahrscheinlicher aber war es, dass es ihm einfach scheißegal war.

„Dann wird es Meddi auch gefallen. So." Er hatte seine Zigarette fertig gedreht und ließ sie schnell in seiner Hosentasche verschwinden.

Die Ansage ertönte. Bald würden wir tatsächlich am Hauptbahnhof Köln sein. Es war immer noch total unglaublich. Und wir würden nicht nur in die YouTube Stadt schlechthin fahren, nein, wir würden auch direkt zum YouTube Haus gehen. Als Meddi noch in Berlin gewohnt hatte, hatte ich mich ständig beschwert, dass sie nicht einmal versuchte Kontakte zu knüpfen (zum Beispiel mit den SpaceFrogs oder LeFloid) aber offenbar hatte Meddi meine Kritik ja bemerkt. Beziehungsweise einfach Glück gehabt, gleich die coolsten Menschen aus ganz Köln zu treffen.

„Holst du die Taschen runter?"

„Gleich." Entspannt ordnete Kenny seine Haare. Oder spielte damit herum. Seine Haare zu ordnen war unmöglich. Ich wurde immer nervöser. Was, wenn wir es nicht mehr schafften auszusteigen, bloß weil Kenny einen auf lässig machen musste, anstatt unsere Taschen jetzt schon runter zu holen?

Und meine Sorgen waren nicht unbegründet. Wir waren die letzte, die diese Bahn verließen. Und zwar nur Millisekunden, bevor sich die Türen schlossen und die Bahn abfuhr. Meddi war sofort zu erkennen. Sie war die Einzige, die bei diesem Wetter mit einer tief ins Gesicht gezogenen Kapuze und Longboard unterwegs war. Und... während Kenny schon in Richtung Meddi lief, stand ich noch ein gutes Stück länger da, versuchte meine Gesichtsmuskeln zu kontrollieren und starrte zu Meddi. Oder besser gesagt zu der Person, die neben Meddi stand. Denn ich kannte das Longboard, das diese Person in der Hand hielt. Und ich bezweifelte, dass es allzu viele Leute gab, die dieses Longboard hatten und um die 1,90m groß waren. Die Person, die da neben meiner Schwester stand, war Dner.

Und dann setzte ich mich in Bewegung. Nicht nur, weil ich Meddi vermisst hatte sondern auch weil ich nicht wie der letzte Fanboy rüber kommen wollte. Und weil ich aus nächster Nähe sehen wollte, wie Kenny einen auf Beschützer machte. Meddis Gesichtsausdruck schwankte zwischen Freude und unterdrückter Panik. Wegen Kenny und seinen Apha-Komplexen.

Was Kenny wohl für einen Eindruck auf Dner machte?

Er war ein bisschen kleiner als Dner. Herausfordernder Gesichtsausdruck. Eine Zigarette in der Hand. Blonde Locken. Kenny war der einzige Mensch, bei dem blonde Locken nicht süß aussahen. Black Veil Brides T-Shirt. Und dann relativ langweilige kurz Hose und FlipFlops.

Meddi und Kenny waren sich auf ihre ganz eigene Art sehr ähnlich. Früher hatten alle immer gedacht die beiden seien Zwillinge. Kleine süße Engelchen. Das war bevor Kenny die Katze unserer Nachbarin festhielt, damit Meddi sie anmalen konnte. Seit die Beiden sich ihre Klamotten selber aussuchten war da nichts mehr mit Engel. Ich versuchte mir ein Lachen zu verkneifen, als Kenny sich vor Felix aufbaute. Meddi kicherte kurz.

„Du bist also Felix." Kenny steckte sich die Zigarette aus dem Zug in den Mund, zündete sie an und blies Felix den Rauch ins Gesicht. Der verzog keine Miene.

„Mach hier jetzt nicht einen auf Western, Kleiner." Ich hätte zu gern Kennys Gesichtsausdruck gesehen. Meddi sah ihn. Und Meddi lachte.

„Seh ich etwa aus, als würde ich einen auf Western machen?", fragte Kenny mit absichtlich rauer Western-Stimme.

„Deine Hand liegt nicht am Kolt. Und du hast noch nicht dramatisch ausgespuckt. Und das ist ein Bahnhof. Aber ansonsten machst du deinen Job ganz gut." Felix zwinkerte Kenny zu, klopfte ihm auf die Schulter und wandte sich dann mir zu.

„Du musst McFly sein." Ich hätte nie zulassen dürfen, das Kenny mit Felix redete. Dann wäre ich jetzt auch nicht McFly für ihn, sondern Marty. Oder vielleicht sogar Martin. Ach was. Ich musste mir keine Hoffnungen machen. Mich würde nie jemand Martin nennen. Dafür hatten Meddi und Kenny gesorgt.

„Ja. Und du bist Dner. Felix." Ich ergriff seine ausgestreckte Hand. Ich schüttelte gerade Dner die Hand. Läuft bei mir. Davon hätte ich zu gerne ein Foto.

„Was seid ihr aber auch für Genies", sagte Kenny, großspurig wie eh und je. Ich nahm an, dass es darum ging, dass die Beiden mit Longboards da waren. Und weder ich, noch Kenny hatten mal eben ein Longboard zu Hand. Das würde ein spannender Weg in die WG werden. Hatte Dner eigentlich vor mit in die WG zu kommen? Musste er nicht vielleicht noch etwas aufnehmen oder so?

„Ich hab dich auch vermisst", antwortete Meddi, bevor sie sich an Kennys Hals schmiss. Ich nutzte den kleinen Moment der Ruhe um Felix Reaktion zu beobachten. Eine der wenigen gemeinsamen Eigenschaften von mir und Kenny. Reaktionen beobachten. Anders als Kenny, konnte ich mit den Reaktionen aber auch etwas anfangen.

Felix zum Beispiel starb gerade vor Eifersucht.

Ja, Nein, Vielleicht | DnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt