19. Die Wette

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<<Meddi>>

Ich fuhr mit viel Schwung um die Kurve. Inzwischen hatte ich sogar herausgefunden, wie ich den Lenker drehen musste, damit ich nicht ständig aus den Kurven flog. Marthen aber scheinbar auch. Zumindest wich er mir nicht von der Seite. Anders als Tom. Der hatte gute fünf Sekunden Vorsprung gehabt, aber inzwischen fuhren wir drei quasi aufeinander. Und sogar Felix war nicht mehr so weit weg. Eine viertel Runde vielleicht. Was für Felix Verhältnisse ja nicht allzu gut war. Falls ich Felix richtig einschätzte. 

Und dann war es soweit. Zwei Kurven weiter, trat ich in der Kurve einfach aufs Gas, anstatt zu bremsen und zog sauber an Tom vorbei. Damit war ich zweite. Ich war Zweite! Boah! Übertrieben geil. Wenn ich mir Mühe gab, würde ich Felix noch einholen. Ich flog aus der Kurve raus. Okay. Vergessen wir das. Ich würde Felix nicht einholen. Schon gar nicht in der Gesamtwertung . Also von der Zeit aller Runden her. Aber an sich. Wir hatten ja noch zwei einhalb große Runden. Und wenn ich immer als zweite startete und dann mal Glück hatte, könnte ich Felix überholen. Und wenn ich danach in Schlängellinien fahren würde, dann könnte mich auch niemand mehr überholen. Dann musste ich bloß noch auf einen günstigen Moment warten, um ihn zu überholen. Und noch viel wichtiger, ich musste ihn erst mal einholen. Und das war schon eine Sache der Unmöglichkeit. Denn Felix fuhr so schön. Er fuhr perfekt. Er war noch aus keiner einzigen Kurve geflogen. Er hatte noch nicht mal die Bande berührt. 

Ich trat aufs Gas. Ich sollte lieber einen Vorsprung aufbauen, damit mich Marthen oder Tom mich nicht überholen konnten. Natürlich wurde das nichts. Ich flog mal wieder aus der Kurve, Tom sah das zu spät, raste in mich rein, begann sich zu drehen, flog gegen Marthen und die beiden kamen nicht mehr aneinander vorbei. Ich drehte mich zweimal um mich selber und fuhr die nächste viertel Runde rückwärts, bevor ich es schaffte mich zu drehen. Die beiden Jungs hinter mir versursachten währenddessen einen Stau. Haha. 

Felix war einfach viel zu schnell. Er hatte eine überkrassen Vorsprung. Ich würde ihn nie einholen. Vielleicht in der nächsten großen Runde. Okay. Felix war jetzt im Ziel. Ich raste um die letzte Kurve und fuhr ihm einfach eiskalt hinten auf. 
„Du bist voll der schlechte Verlierer“, grinste er. Ja. Man konnte sein Lächeln durch den Helm erkennen. Dann fuhr er ein paar Meter nach vorne, sodass wir nicht mehr ineinander verhakt waren und nahm dann seinen Helm ab. 
Scheiße sah er geil aus. Zugegeben, seine Frisur war kaum noch erkennbar, aber er brauchte auch keine Frisur um perfekt auszusehen. Seine Haare hingen ihm in einzelnen Strähnen in die Stirn. Seine grauen Augen waren auf mich gerichtet. Sie funkelten risikofreudig und passten perfekt zu dem provokanten Grinsen in seinem Gesicht. Schnell riss ich meinen Blick von ihm los. Denn wahrscheinlich war mein Gesichtsausdruck nicht allzu schwer zu deuten. Es war dieser „Scheiße, ich fang gleich an zu sabbern“ - Blick. 
„Lohnt es sich auszusteigen?“ Aus dem Kart, meinte ich. Ob sich das für die kleine Pause lohnte.
„Dreh dich mal um, Kleines.“ Ich drehte mich um. Der Stau den ich verursachte, war immer noch da. Ups.

Felix steig aus. Ich kletterte ihm hinterher. Und lief natürlich erst mal gegen ihn. Wieso konnte er einfach da raus klettern und sofort gerade stehen? 
„Du warst nicht schlecht.“
„Danke.“ Ich war nicht schlecht! Felix hatte mir gerade ein Kompliment für meine Fahrkünste gemacht. Ich hatte noch nie in meinem Leben ein Kompliment für meine Fahrkünste bekommen. Noch nie. Ich meine, nachdem ich meinen Führerschein bekommen hatte, hatte Kenny gesagt: „Ich dachte du schaffst es nie.“ Jap. Was freundlicheres hatte ich nie bekommen. Nicht mal von meinem Fahrlehrer. Der hatte meistens eher so Sachen wie „Das schaffst du nie“ oder „Du bist ein hoffnungsloser Fall“ rausgehauen. Und alle anderen hatten mir immer erklärt, wie stark der besagte Fahrlehrer untertrieb. Aber offenbar hatte die Fahrschule wenigstens gereicht um mich aufs Kartfahren vor zu bereiten. Danke dafür an meinen Fahrlehrer. Klaus. Klaus Schneider. Danke Klaus. 

„Alles okay?“ Felix fuhr sich durch die Haare. Und hielt mich dann an den Schultern fest.
„Gleichgewicht ist nicht so mein Ding.“
„Merk ich. Stehst du jetzt wieder?“
„Nein.“
„Dann halte ich dich weiter fest.“ Ja. Das klang gut. Felix hielt mich fest. Eigentlich klang das sogar besser als gut. Ich lehnte mich gegen ihn. Das ersparte mir auch die Mühe mein Gleichgewicht zu halten. Felix drehte mich in Richtung des Staus. Es sah nicht aus, als ob die sich in nächster Zeit voneinander lösen könnten. 
„Findest du wirklich, dass ich gut fahre?“ 
„Ja. Klar.“ Und dann kam ich auf eine coole Idee. Felix klang so, als würde er wirklich finden, dass ich gut fuhr. Und mit etwas Glück könnte ich halt wirklich gut genug fahren, um ihn zu überholen.

„Glaubst du ich könnte dich in den nächsten zwei großen Runden überholen?“
„Ähm... warum nicht?“ Das klang nach einem ja.
„Dann lass uns wetten. Wenn ich dich überhole, dann gehst du einen Monat nicht mehr auf Partys. Und wenn ich es nicht schaffe, äh...“
„Dann putzt du für einen Monat meine Wohnung?“, schlug Felix lachend vor. Er schien meine Wette nicht ganz ernst zu nehmen.
„Okay. Ich wette ich überhole dich.“
„Keine Chance, Kleines.“
„Dann lass uns wetten.“
„Ich wette nicht.“ Ach nein? Das würden wir ja sehen. Ich würde Felix überholen. Und dann würde niemand mehr behaupten können, dass ich kein Talent für Dinge mit Motoren hatte. 

„Meddi, das ist eine dumme Idee“, versuchte er mich von meinem Geniestreich ab zu bringen. Und dann kapierte ich was Entscheidendes. Hatte ich gerade gesagt, dass er nicht auf Partys gehen durfte, wenn ich gewann? Wie dumm war das denn. Jeder, absolut jeder, würde da hinein interpretieren, dass ich nicht wollte, dass er jemanden flachlegt. Kurz, alle würden denken, dass ich auf Felix stand. Was ja jetzt nicht unbedingt falsch war. Aber es war auch nicht so, dass ich zu hundert Prozent was von ihm wollte. Ich kannte ihn ja noch gar nicht richtig. Wieso hatte ich nicht so was Cleveres wie Felix vorschlagen könnte. Ich meine hallo? Wenn ich verlieren würde, hätte er für den nächsten Monat eine Putze.

„Komm schon. Was hast du denn zu verlieren?“ Außer einem Monat Party machen. Aber ich wäre ja wohl schlimmer dran.
„Meddi, ich werde nicht gegen dich wetten.“ Er klang ziemlich entschlossen. Aber ich auch. Und diesen „Streit“ würde ich gewinnen.
„Traust du dich nicht?“  Also entweder, das war das Problem oder er wollte nicht, dass ich für ihn schuften musste.
„Natürlich traue ich mich, aber...“, ich ließ ihn nicht ausreden.
„Dann geht das klar. Wenn ich gewinne, gehst du einen Monat nicht auf Partys und wenn du gewinnst, dann putze ich einen Monat für dich.“
„Meddi “, sagte Felix flehend.
„Ich würde sagen, du bist ein Feigling.“ Mit sowas kamen Kerle für gewöhnlich nicht klar. Es sei denn sie hießen Finn und waren mein schwuler Kumpel. Aber da Felix weder Finn hieß, noch schwul war, sprang er voll drauf an.
„Gut. Wenn du unbedingt willst. Aber beschwer dich dann nicht.“ Ich grinste triumphierend. Felix sah das nicht. Schließlich lehnte ich immer noch mit meinem Rücken an ihm. Ich hörte auf mich an Felix anzulehnen. Und ich schaffte es stehen zu bleiben, ohne umzufallen. 

„Die Wette gilt.“ Ich streckte Felix meine Hand hin. Ich fühlte mich ein bisschen wie in der Grundschule. Da hatten wir auch ständig um alles mögliche gewettet. Felix starrte mich missmutig an. Dann schlug er ein.
„Die Wette gilt“, bestätigte er. So. Jetzt musste ich Felix nur noch überholen.

Oh. Ich musste Felix überholen. Und ich war noch in keiner Runde auch nur in seine Nähe gekommen. Wie war ich noch mal auf die behinderte Idee mit dieser behinderten Wette gekommen? Und wieso hatte ich geglaubt, gegen Felix gewinnen zu können? Ich meine, klar, ich war nicht super schlecht, aber Felix war nun mal noch ein paar Level höher, was Kartfahren anging. Und der Wetteinsatz war auch total dämlich. Ich war grauenvoll im Putzen. Und erstens musste ich noch ein paar Tage die WG alleine sauber halten und zweitens, hatte ich wirklich besseres zu tun, als Felix Bude zu putzen. Also musste ich gewinnen. Auch wenn meine Chancen sehr gering waren. Was redete ich denn einfach immer, ohne nachzudenken?

Ja, Nein, Vielleicht | DnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt