Kapitel 11 - Versöhnung und doch kein Frieden

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Unschlüssig kaute Maryana am Abend auf ihrem Stift, während sie immer wieder durch ihr Word-Dokument scrollte und die ersten Seiten überflog.
Zumindest hatten sich diese seit gestern etwas füllen lassen, doch zufrieden war die blonde Jungautorin dennoch nicht.

Kritisch legte Maryana die Stirn in Falten. Sie hatte sich doch geschworen, Harry neutral zu begegnen, allerdings las sich das bisher Getippte mehr wie eine überschwängliche Werbekampagne zugunsten des jungen Künstlers.

Das heutige Treffen mit Harry steckte ihr immer noch in den Knochen. Sie hatte geahnt, dass er viele Talente haben musste, doch dass eines davon seine unheimlich charismatische Art war, durch die er ein solch starkes Vertrauen in ihr erweckte, hatte sie nicht kommen sehen.

Kopfschüttelnd dachte sie daran, dass sie Harry tatsächlich von ihrer kleinen Schwester Amy erzählt hatte. Diese gesamte Familientragödie war ein Teil ihres Lebens, den sie für gewöhnlich strikt für sich behielt und nur dann erzählt, wenn ihr keine andere Wahl mehr blieb.
In Harrys Fall jedoch hatte es sich ungewöhnlich leicht und natürlich angefühlt, ihm diese Vergangenheit darzulegen.

Er löste ein solches Zutrauen in ihr aus, dass Maryana seither bloß noch eine vernünftige Erklärung dafür finden wollte.
Womöglich wollte sie ihm unterbewusst bloß etwas zurückgeben, nachdem auch er ihr so viel Vertrauen entgegenbrachte.
Immerhin schien Harry keine Hemmungen zu haben, ihr offen und ehrlich seine emotionale Seite zu zeigen.
Vermutlich war das der Grund, weshalb sie ihm gegenüber dasselbe Verhalten an den Tag legte.

Während Maryana noch mit ihrem
Laptop auf der Couch saß und fieberhaft überlegte, welche Ideen ihr in Harrys Appartement durch den Kopf geschossen waren und, kaum dass sie seine Türschwelle nach draußen übertreten hatte, wieder wie ausradiert waren, vernahm sie den Schlüssel in der Wohnungstür.
David war nach Hause gekommen, hielt es aber offensichtlich nicht für notwendig, seine Freundin zu begrüßen.
Obwohl er eben noch beim Sport gewesen war, machte er keinerlei entspannten Eindruck, so wie er gerade schlecht gelaunt in die Wohnung stapfte.

Seufzend schloss Maryana die Augen und legte raunend den Kopf in den Nacken, als David die Tür hinter sich ins Schloss warf. Deutlich hörbar deponierte er seine Sachen im Schlafzimmer und verschwand schließlich, ohne auf die Blondine im Wohnzimmer zu achten, ins Badezimmer.

Offensichtlich war der trotzköpfige Halbkolumbianer immer noch nicht bereit, ihren kleinen Streit, der ein ordentliches Nachbeben nach sich gezogen hatte, zu begraben.
Gerne hätte Maryana in diesen Angelegenheiten seine Ausdauer gehabt und wäre gerne nicht wieder diejenige gewesen, die nachgeben musste, doch für einen harmoniebedürftigen Menschen, wie sie es war, waren diese unangenehmen Spannungen in der Wohnung nicht zu ertragen.

Kaum war also das Prasseln des Wassers in der Dusche wieder verstummt und David in Boxershort aus dem Badezimmer getreten, fasste sich die junge blonde Frau ein Herz.

»David?«, rief sie durch die Wohnung und ließ dafür von ihren Laptop ab, als sie ihn zuklappte und auf den Glastisch vor sich legte.
Abwartend ließ sie sich dann wieder in das Sofa sinken und zog ihre Beine, die in ihrer kuschligen Lieblingsjogginghose steckten, an sich.

»Hm?«, kam es brummend zurück.
Mit genervtem Blick erschien David im Türrahmen, ein kleines, weißes Handtuch um die Schultern gelegt.

»Wie lange hast du noch vor, mich anzuschweigen?«
»Ich schweig dich überhaupt nicht an«, zischte er gereizt zurück, was Maryana bloß mit einem innerlichen Augenrollen quittierte.

»Du rennst wie eine Furie durch die Wohnung und redest nicht mehr mit mir«, fasste sie jedoch mit ruhiger Stimme sein Verhalten zusammen. »Vielleicht sollten wir stattdessen einfach mal drüber reden. Und ich fange auch gerne an«, appellierte sie an seine Vernunft und wollte dieses leidige Thema endlich abschließen und auch dazu nutzen, ihm etwas ins Gewissen zu reden.
»Es nervt mich einfach, wenn du mir ständig in meine Angelegenheiten dreinredest oder so abschätzig über Harry und meine Arbeit mit ihm sprichst.«

The Writer || h.s.  ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt