Kapitel 38 - Streit ohne Richtung

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Mit trockenem Mund und pochendem Herzen stand Maryana vor David, der ihr in diesem Moment noch größer und breiter vorkam, als er dank seines Sport-Fanatismus ohnehin schon war.

Doch es war nicht wirklich David, der in diesem Moment so bedrohlich und einschüchternd wirkte. Viel mehr war es ihr wackeliges Lügengerüst, das nun langsam über ihr einzubrechen drohte.

»Ja oder Nein«, forderte David mit Nachdruck, nachdem Maryana sich in Schweigen gehüllt hatte.
In Davids Augen war allerdings zu erkennen, dass er ihr Schweigen bereits als Antwort genug gedeutet hatte.

Zu behaupten, dass sie niemals Gefühle für Harry gehabt hätte, wäre eine glatte Lüge gewesen - selbst wenn sie diese nie definiert hatte.
Ganz zu Schweigen von der Frage, ob da jemals etwas zwischen ihnen war.

»Ich hab dir gesagt, dass ich Harry gerne mag und wir uns gut verstehen«, versuchte sich Maryana zu verteidigen, wurde aber schnell wieder unterbrochen.

»Das ist keine Antwort auf meine Frage«, knurrte ihr David entgegen. »Aber wenn du hier noch länger rumstotterst, brauch ich die wohl auch gar nicht mehr.«

»Du kannst doch jetzt nicht von diesen wenigen Gesprächsfetzen hier darauf schließen, dass zwischen mir uns Harry irgendetwas gelaufen wäre!«

Maryanas Körper reagierte auf dieses ungewohnt hohe, unerträgliche Stresslevel, dem sie gerade ausgesetzt war, offensichtlich mit Ärger.
Unkontrolliert packte sie die Wut, obwohl Davids Unterstellungen keineswegs unberechtigt waren.

»Nein, aus diesen Gesprächsfetzen hab' ich nur entnommen, dass du Harry offensichtlich gleich deine ganze Lebensgeschichte auf die Nase gebunden hast. Dieselbe Geschichte, bei der du immer abgeblockt hast, wenn ich auch nur im Ansatz etwas darüber wissen wollte. Alles andere steht dir gerade ins Gesicht geschrieben!«

Vorwurfsvoll sah er Maryana an, ehe er humorlos auflachte.
Jetzt war er wieder der David, den sie über die letzten Jahre kennengelernt hatte.

Aggressiv, impulsiv und voll ungezügeltem Temperament stand er Maryana gegenüber und war bereit, sich voll und ganz in seine Vorwürfe hineinzusteigern.

Für gewöhnlich war Maryana in diesen Situationen der Ruhepol, um Davids Ausraster abzuschwächen, doch nicht an diesem Tag, nicht an diesem Punkt ihres Lebens.

Sie hatte heute bereits eine ganze Reihe an Vorwürfen von Harry um die Ohren gehauen bekommen.
Ihre Nerven lagen blank - zu blank, um nun auch noch David auszugleichen und seine Laune zu ertragen, egal wie berechtigt sie sein mochten.

»Willst du mich hier gerade verarschen?«, fuhr sie ihren Freund gereizt an und erntete einen kurzen, überraschten Blick. »Seit Monaten redest du davon, dass mir Harry nur Honig ums Maul schmieren würde und bloß ein verwöhnter Snob wäre. Natürlich mach' ich dir gegenüber einen riesen Bogen um das Thema Harry - aus genau diesem Grund! Weil du immer das Schlechte und sofort das Schlimmste in allem siehst!«

Maryana wusste selbst nicht, wohin sie mit dieser Argumentation wollte. Immerhin hatte David dieses eine Mal mit seinen Befürchtungen recht.

»Dein Ernst?«, zischte er nicht weniger gereizt als Maryana zurück. »Dieser Typ gibt dir 'nen Job, wedelt ein wenig mit seiner Kohle, kommt zur Krönung noch beinahe in meine Wohnung und dann muss ich mir anhören, wie ihr da miteinander schäkert. Natürlich bin ich -«

»Miteinander schäkern?«, brüllte Maryana zurück und es fühlte sich fast schon wie ein Ventil an, heute endlich laut zu schreien.
In ihr wartet so viel Ärger, dass sie noch nicht einmal die Zeit hatte sich darüber aufzuregen, dass David ihre gemeinsame Wohnung als seine betitelt hatte.
In allem, was er gesagt hatte, steckte so viel Zündstoff, dass Maryana sich zunächst nur auf eines davon konzentrierte.
»Meine familiäre Vergangenheit ist für dich Schäkern?«

The Writer || h.s.  ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt