Kapitel 21 - Einbildungskraft

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»Alarmstufe Rot, Edin«, flüsterte Maryana verzweifelt in ihr Handy.
Die Sonne ging schon wieder auf, doch die Blondine hatte kaum ein Auge zugemacht. Zu sehr beschäftigte sie das, was sie diese Nacht in Harrys Notizbuch gelesen hatte.

»Wenn du nicht mindestens nackt in Styles' Bett liegst, war's das mit unserer Freundschaft«, brummte Edin verschlafen zurück. »Ich bin gerade eingeschlafen.«

»Fast«, kam es prompt von Maryana zurück. Zwar überdramatisierte sie die Sache im Moment definitiv, doch sie fühlte sich tatsächlich, als hätten sie und Harry irgendetwas Verbotenes getan.

Schlagartig schien Edin wieder wach zu sein.
»Ich höre.«

Ausschweifend erzählte Maryana davon, wie sich die Reise bislang gestaltet hatte, wie gut sie und Harry sich verstanden und schließlich auch davon, dass er am vergangenen Abend sein Notizbuch vor ihr hatte liegen lassen - und was darin alles zu lesen war.

»Okay, Mary«, räusperte sich Edin schließlich, ehe er zu einer Ferndiagnose ausholen konnte. »Ich ignoriere jetzt mal, dass du mir damals einen stundenlangen Vortrag gehalten hast, als ich ein einziges Mal in Charles' Handy geguckt habe und du selbst direkt in Harrys persönlichen Notizen rumschnüffelst.«

»Schön, dass du's trotzdem erwähnst«, seufzte Maryana. Sie wünschte sich ohnehin selbst, sie hätte dieses Buch niemals angefasst.

»Wie dem auch sei - bisher ist doch alles nicht so schlimm«, sprach Edin dann weiter. »Der Text, bei dem du dir sicher sein kannst, dass er über dich ist, ist doch harmlos - keine ausschweifende Liebeserklärung. Wer weiß, ob die anderen auch über dich sind.«

»Aber über wen wären sie denn sonst? Er hat im Moment keine Freundin, er trifft sich auch mit niemandem. Das hätte er mir erzählt«, blieb Maryana skeptisch, obwohl sie ihrem besten Freund am Liebsten sofort zustimmen wollte.

»Vielleicht sind sie auch frei erfunden? Wer weiß.«
Maryana konnte förmlich hören, wie Edin mit den Schultern zuckte.
»Und selbst wenn sie über dich wären - wo ist denn das Problem?«

Sofort schnappte sie nach Luft. »Äh.. wo das Problem ist? Wo fang ich da an?«
»Naja, Maryana, du kannst doch einfach ganz normal weitermachen. Ändern kannst du ja doch nix daran - außer natürlich du tust das einzig Richtige und reißt ihm sofort die Kleider vom Leib.«

»Edin«, brummte Maryana tadelnd, damit sich ihr bester Freund wieder auf das Wesentliche besann.

»Naja, ich meins ernst. Du hast nichts Falsches getan, dein toller David kann dir also keine Vorwürfe machen. Es wird sich nichts ändern, selbst wenn Harry da über dich geschrieben hat. Er weiß ja nicht, dass du seine Zeilen gelesen hast, nicht wahr?«

»Nein«, murmelte Maryana nachdenklich, während sie wieder unruhig in Harrys Gästezimmer auf und ab lief. »Aber ich weiß es und ich hab' das Gefühl, es steht mir auf die Stirn geschrieben. Ich weiß plötzlich gar nicht mehr, wie ich mit ihm umgehen soll.«

»Na komm schon, reiß' dich zusammen und tu einfach so, als wüsstest du von nichts. Immerhin weißt du ja wirklich nichts. Fall gelöst.«
»Ach, Edin..«

Das war definitiv leichter gesagt als getan.
Hatte sich erst ein derartiger Gedanke festgesetzt, fraß er sich wie ein Parasit immer weiter in Maryanas Kopf, bis letztendlich ihre Wahrnehmung vollkommen neu war.


»Hast du Hunger?«
Ausgeschlafen und fröhlich erwartete Harry Maryana am nächsten Morgen in der Küche. Ganz im Gegensatz zu der Blondine wirkte er sichtlich ausgeruht und schien seinen freien Vormittag zu genießen.

Erst dann fielen Harry wieder seine mangelnden Vorräte ein.
»Wobei..«, lächelte er entschuldigend. »Kaffee kann ich dir anbieten. Und wir könnten einkaufen gehen.«

»Schon gut, für einen Kaffee würde ich gerade so Einiges geben«, nickte Maryana bloß müde und ließ sich auf einen der Barhocker an der Kücheninsel nieder.

Nach einem skeptischen Blick auf Maryana widmete sich Harry der Kaffeemaschine.
»Hast du nicht gut geschlafen?«
»Doch, doch«, log Maryana sofort. »Nur etwas spät eingeschlafen. Vielleicht noch der Jetlag.«

»Oder dir ist der Gin zu Kopf gestiegen«, nannte Harry die für ihn wahrscheinlichere Alternative und lachte heiser, als er Maryana die Tasse Kaffee reichte und seinen eigenen Tee umrührte.

Dass sie nun hier in Harrys Küche saß, eine Nacht in seinem Haus verbracht hatte und geradewegs aus seinem Gästezimmer gekommen war, hätte sich so herrlich vertraut und leicht anfühlen können.
Das Vertrauen herrschte zwar nach wie vor, doch diese angenehme Leichtigkeit war nach letzter Nacht passé - zumindest für Maryana.

Steif saß sie da, nippte an ihrem Kaffee und überlegte, ob Harry all diese Zeilen wirklich über sie geschrieben hatte und ob er doch mehr für sie empfand - und wie sie das denn, sollte dies tatsächlich der Fall sein, finden sollte.

Selbst jetzt, als Harry sie einfach nur ansah, hätte sie sofort sämtliche Dinge in seinen Blick hineininterpretieren können. Mit einem Mal lag alles und nichts darin.

»Übrigens, gute Nachrichten! Niall hat sich zurückgemeldet und er hätte heute Zeit für dich, wenn du magst«, riss Harry die Blondine aus ihren Gedanken.
»Hm? Wer?«, zuckte sie erschrocken zusammen.

Wieder lachte Harry heiser.
»Okay, vielleicht lass ich dich erstmal deinen Kaffee trinken«, grinste er über Maryanas abwesende Art. »Niall Horan, du erinnerst dich? Mein ehemaliger Bandkollege?«

»Achso, klar, Niall!«, hatte Maryana nun zumindest thematisch wieder in die Spur gefunden. »Natürlich, wann treffen wir ihn?«

»Wir treffen ihn leider gar nicht, ich müsste dich heute mit ihm alleine lassen. Er würde zum Lunch ins Hotelrestaurant kommen. Ich hab' noch einige Termine, wie du ja weißt«, erklärte Harry entschuldigend. »Also kann ich Niall zusagen?«

Kurz überlegte Maryana.
Sie kannte Niall Horan zwar noch nicht persönlich, doch wenn er nur halb so charmant wie sein Bandkollege war, dann würde dieses Essen sicherlich nett werden.
Und Harry einen Tag lang nicht permanent vor der Nase zu haben, war bestimmt gerade jetzt auch vom Vorteil.
Vielleicht hatten sich Maryanas Bedenken ja morgen schon in Luft aufgelöst - zumindest hoffte sie das.

»Auf jeden Fall«, nickte Maryana also begeistert.
Ein Gespräch mit einem Menschen, der Harry so nahe stand wie einer seiner Bandkollegen, war für die junge Autorin Gold wert.

»Vermutlich könnt ihr euch eh besser unterhalten, wenn ich nicht dabei bin. Ich will gar nicht wissen, was Niall alles über mich zu erzählen hat.«
Wieder lachte Harry und schüttelte leicht den Kopf, als er gedanklich in Erinnerungen mit seinem irischen Bandkollegen schwelgte.

»Na hoffentlich kommt damit mal ein wenig Schwung in deine Memoiren«, musste nun auch Maryana etwas grinsen.
Sie freute sich darauf, zur Abwechslung zu erfahren, wie Harry durch die Augen Anderer wahrgenommen wurde. Ihren Eigenen konnte sie immerhin kaum mehr trauen, nachdem ihre Einbildungskraft ihr seit letzter Nacht einige Streiche spielte.

»Du sagtest, er kommt zum Lunch ins Hotel?«, fiel Maryana schließlich auf und warf einen prüfenden Blick auf die Uhr auf ihrem Handydisplay. »Sollten wir dann nicht langsam zurück?«
»Oh ja, richtig«, nickte Harry zustimmend. »Meinetwegen können wir direkt losfahren. Frisch machen kannst du dich ja dann im Hotel ohnehin nochmal.«

Einverstanden nickte Maryana und nahm den letzten Schluck aus ihrer Kaffeetasse.
Ein Essen und ein sicherlich interessantes Gespräch über Harry, seine One Direction-Zeit und seine Qualitäten als guter Freund stand an.

Maryana wusste zwar noch nicht ganz, was sie erwarten sollte, doch sie wusste zumindest, dass sie sich auf das Kennenlernen mit Niall freute.

The Writer || h.s.  ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt