Kapitel 28 - Zurückspulen

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Der nächste Tag stand ihnen völlig frei, es waren keinerlei Termine angesetzt.
Harry hatte diesen Tag durchaus anders nutzen und mit Maryana verbringen wollen, doch stattdessen lag er lethargisch auf seinem Bett und kritzelte in sein Notizbuch.

Maryana hatte sich heute Morgen nicht gemeldet, nicht heute Mittag und auch bisher war kein Mucks von ihr zu hören.

Es war bereits nach 19 Uhr, als Harry überlegte, ob nicht doch er den ersten Schritt machen und zu ihr gehen sollte. Immerhin wollte er nur zu gerne wissen, wo sie standen, ob er überhaupt noch eine Autorin hatte oder ob er Jeff erklären musste, weshalb Maryana ihren Job hinwerfen wollte.

Doch immer wieder kam Harry zum Entschluss, dass Maryana am Zug war. Sie musste diese Funkstille, die sich anfühlte, als würde sie nun schon seit Wochen herrschen, brechen.
Anstatt also länger mit sich zu hadern, versuchte Harry kreativ zu sein.

Mitch hatte immer wieder angefragt, was seine Schreibsessions mit den anderen Songwritern so ergeben hatten und hatte mehrfach nach Harrys neusten Ideen gefragt.
Vielleicht konnte er zumindest in dieser Hinsicht Nutzen aus seinem gebrochenen Herzen ziehen.

Woke up alone in this hotel room
Played with myself, where were you?
Fell back to sleep, I got drunk by noon
I've never felt less cool
We haven't spoke since you went away
Comfortable silence is so overrated
Why won't you ever be the first one to break?
Even the phone misses your call, by the way

Wie aufs Stichwort, kaum hatte er den Stift abgesetzt, klopfte es an der Türe seiner Suite.
Anscheinend hatte sich Maryana endlich überwunden und den Weg zu ihm gefunden. Und so sehr sich Harry das auch gewünscht hatte, nahm die Angst vor dem, was sie zu sagen hatte, plötzlich doch überhand.

Fix räumte er die Flasche Gin, die eben noch neben seinem Bett gestanden hatte, zurück in die Minibar.
Er war trinkfest und noch lange nicht betrunken, doch etwas hochprozentiger Alkohol über den Tag verteilt, erleichterte den Gang zu dieser Begegnung um Einiges.

»Hey«, öffnete er etwas lieblos die Tür und lief auch direkt wieder zu der kleinen Lounge seiner Suite, um sich dort niederzulassen, während Maryana zögerlich das Zimmer betrat.

»Hey. Ich.. Ich glaube wir müssen doch nochmal miteinander sprechen.«
»Das glaube ich auch«, nickte Harry und bemühte sich ihr ein Lächeln zu schenken, um die Situation zumindest ein bisschen erträglicher zu gestalten.

Doch kaum dass er der Blondine in die Augen gesehen hatte, wurde Harry wieder klar, wieviel er für sie empfand.
Er wusste nicht, was er tun würde, sollte sie nun verkünden, dass sie dieses Buch nicht länger schreiben wollte.
Er wollte und konnte Maryana nicht gehen lassen - David hin oder her.

Langsam beschlich Harry das Gefühl, dass er sich genau deshalb so davor gehütet hatte sich zu verlieben.
Wenn man sich verliebt, macht man sich verletzlich und angreifbar.

Noch nie hatte sich Harry so schwach und erbärmlich gefühlt wie in diesem Moment.
Er - derjenige, der in Sachen Liebe niemals Kompromisse eingehen wollte - war für dieses eine Mädchen bereit, sich behandeln zu lassen wie den letzten Idioten.

Er konnte nicht böse sein oder einen Schlussstrich ziehen.
Lieber hatte er nur ein kleines Stückchen von Maryana als sie ganz zu verlieren.

»Bist du hier, um zu kündigen?«, fragte Harry direkt heraus, bevor Maryana lange herumdrucksen konnte und schickte gleichzeitig ein Stoßgebet gen Himmel.

Erschrocken sah Maryana zu Harry.
»Nein!«, stellte sie sofort klar. »Zumindest nicht, solange du mich noch hier haben willst.«

»Natürlich will ich das«, versicherte er ihr erleichtert und lehnte sich zumindest schon ein Stückchen entspannter zurück.

Ein leichtes Lächeln schlich sich auf Maryanas Gesicht, als sie dankbar nickte.

»Es tut mir leid, Harry«, sagte sie schließlich in einem Atemzug. »Das gestern war wohl das dümmste, was ich je getan habe. Und das mein' ich absolut nicht Böse dir gegenüber. Ich wollte dir keine falschen Hoffnungen oder so machen. Ich war einfach völlig überfordert mit der Situation und dann war da diese Anziehung und - ich hab' einfach nicht nachgedacht.«

Es gab weder eine plausible, schlüssige Erklärung für gestern Abend, noch eine angemessene Art sich zu entschuldigen.
Harry war sich noch nicht einmal sicher, ob sich Maryana überhaupt tatsächlich entschuldigen sollte.

Im Moment war er bloß froh darüber, dass die junge Frau nicht Hals über Kopf zurück nach LA zu David fliegen wollte.

Was Harry hingegen durchaus böse aufstieß, war Maryanas mitleidiger Blick, mit dem sie ihn bedachte.

Er wollte sie, ja - aber nicht ihr Mitleid.

»Wir vergessen das einfach, ja?«, reichte Harry Maryana die metaphorische Hand, um sie beide endlich aus dieser Misere zu erlösen. »Wir vergessen alles, einfach den gesamten Abend - inklusive der Texte in meinem Notizbuch.«

Zwar war sich Harry sicher, dass er diesen Abend mit Maryana gewiss niemals vergessen würde, doch er wollte zumindest versuchen das kippende Verhältnis zwischen ihnen zu retten.

Erleichtert seufzte Maryana.
Bestimmt hätte sie noch Einiges zu sagen gehabt, doch weshalb unangenehme, schmerzhafte Dinge ausdiskutieren, wenn man sie auch totschweigen konnte?

»Wenn wir das hinbekämen und einfach in der Zeit etwas zurückspulen..«, schlug sie vor und lächelte Harry hoffnungsvoll an. »Wir hatten eine so schöne Beziehung und... Freundschaft zueinander. Es wäre so schade, wenn das durch diesen Mist einfach kaputt wäre.«

»Das kriegen wir hin«, gab sich Harry zuversichtlich und wollte einfach nur, dass Maryana still war.
Jedes ihrer Worte wirkte wie Salz in seinen offenen Wunden und vermutlich bemerkte sie das noch nicht einmal.

Sofort versuchte Harry das Thema zu wechseln und diese Sache schnellstmöglich abzuhaken.
»In dem ganzen Chaos hab ich vergessen dir zu sagen, dass ich morgen in die Heimat fahren werde und meine Mum gerne bereit wäre mit dir zu sprechen.«

Überrascht schnellten Maryanas Augenbrauen nach oben, doch trotzdem nickte sie überrumpelt.
»Oh, äh, ja. Klar, klingt gut.«

»Schön.«
Harrys Nicken zeigte Maryana, dass er ihre Antwort zur Kenntnis genommen hatte.
»Wir haben zeitlich keinen Stress, fahren wir einfach irgendwann mittags los. Wir können auch dort schlafen.«

»Alles klar«, war Maryana wieder einverstanden.

»Gut, dann schreib ich dir morgen nochmal. Bis dahin muss ich noch etwas arbeiten. Mitch will endlich mal ein paar Ergebnisse sehen.«

Diesen Wink seitens Harry hatte Maryana sofort verstanden und schon war sie wieder auf dem Weg zurück zur Türe der Suite.

»Verstehe, dann.. viel Erfolg und.. wir sehen uns dann morgen«, verabschiedete sie sich und war nach wie vor merklich verunsichert, ob die Sache zwischen ihnen nun tatsächlich aus der Welt geräumt war.
Immerhin war sie vor wenigen Minuten erst hergekommen.

»Danke, bis morgen«, verabschiedete sich auch Harry, jedoch ohne die Blondine anzusehen.
Er fürchtete, dass sie womöglich sehen konnte, wie sehr ihn ihre Worte verletzt hatten, obwohl er gleichzeitig doch froh war, dass Maryana ihn noch in ihrem Leben haben wollte.

Stattdessen hatte Harry wieder das kleine, in Leder eingebundene Notizbuch aufgeschlagen und griff nach einem der Stifte vor ihm auf dem Tisch.

Er hörte noch die Türe ins Schloss fallen, als er schrieb:
I don't want your sympathy
But you don't know what you do to me
Oh, Maryana
Every time I see your face
There's only so much I can take
Oh, Maryana

Maryana brachte gerade eine Seite in ihm zum Vorschein, die er bisher noch nicht gekannt hatte.

Harry fühlte sich jämmerlich und er wusste ganz genau, wie erbärmlich er sich aufführte.

Egal wie oft er sich ermahnte seinen Stolz zu wahren, für sich und seine Gefühle einzustehen und nicht Maryanas Spielchen mitzuspielen - am Ende wusste er, dass er es nicht übers Herz bringen würde, zu riskieren sie zu verlieren.

Er war hoffnungslos verliebt, ganz egal was sie ihm antat.
Doch zumindest hatte er nach jenem Abend eine ganze Reihe an Texten, die er Mitch noch in dieser Nacht zukommen ließ.

The Writer || h.s.  ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt