Gegen den Verstand

Rechtfertigung

Die braune Haustür erstreckt sich vor Patrick wie ein unüberwindbares Tor. Auf der anderen Seite nimmt er bereits die verschiedensten Stimmen wahr, kann sie aber nicht direkt zuordnen.
„Es sind nur deine Geschwister.",nuschelt er vor sich hin, während er weiterhin die Tür anstarrt. Die erhoffte Beruhigung bringt dieser Satz jedoch nicht. Er kennt seine Geschwister zu gut. Das Wort 'nur' ist in diesem Zusammenhang also völlig unpassend.
Durch das laute Knallen einer Autotür wird Patrick aus seinen Gedanken gerissen, weshalb er sich in Richtung des Geräuschs dreht.
„Na, traut sich da jemand nicht zu Klingeln?"
Angelo. Genervt seufzt Patrick und gibt sich innerlich eine gegen den Hinterkopf. Muss er schon gleich am Anfang einen seltsamen Eindruck bei seinem jüngsten Bruder hinterlassen?!
„Und die Sprache hat es dir wohl auch verschlagen? Schade aber auch, ich dachte wir hören heute mal wieder qualifizierte und gar kein bisschen beleidigende Meinungsäußerungen von dir."
Dieses Grinsen. Angelo steht mittlerweile direkt vor seinem Bruder. So viel Hass und Verachtung liegt in seinen Augen.
„Was willst du hier?!",harkt Angelo nun genau nach und drückt Patrick, an seinen Schultern, gegen die Hauswand. Sein Grinsen ist verschwunden. Einzig und Allein der Ausdruck von Hass gegenüber seinem großen Bruder ist in seinem Gesicht zu erkennen.

„Musst du gleich wieder Handgreiflich werden?",erwidert Patrick ruhig und versucht sich halbherzig von Angelo zu befreien.
„Wir hatten eine Abmachung! Hat das dein verblendetes Hirn vergessen?!"
„Abmachung hin oder her, John wollte mich dabei haben!"
Auch Patrick wird nun ein wenig lauter. Zwischen Angelo und ihm herrscht schon lange keine gute Beziehung mehr. Früher, zu Kelly Family Zeiten, waren die beiden unzertrennlich, doch mit zunehmendem Alter entwickelten beide sich in eine andere Richtung. Viel Streit war vorprogrammiert und viele Auseinandersetzungen nicht zu verhindern, die teilweise in Prügeleien endeten. Zuletzt sahen sie sich also auf einer Familienfeier und nette Worte waren an diesem Tag beidseitig eher Mangelware. Schnell eskalierte die Situation. Seitdem gehen die beiden sich aus dem Weg. Auf Familienfeiern kreuzen sie immer abwechselnd oder so auf, dass sie sich nicht begegnen.
„Ich wollte euch beide dabei haben und nicht, dass ihr euch schon im Vorgarten so angeht.",mischt John sich plötzlich ein.
„Lass ihn los."
Angelo wirft Patrick einen vernichtenden Blick zu, ehe er seinen Bruder tatsächlich los lässt und sich an John vorbei ins Haus drückt.
„Was geht denn bei ihm?",fragt John erstaunt nach, bekommt jedoch nur ein Schulterzucken von Patrick zurück, der sich sein T-Shirt ein wenig richtet.
„Es hat schon seinen Grund, warum wir solche Treffen möglichst vermeiden.",fügt er seinem Schulterzucken schmunzelnd hinzu und erwidert die feste Umarmung, in die John ihn zieht.
Er genießt den Moment. Für einen kurzen Augenblick verdrängt er die dunklen Gedanken, die mit dem Zusammentreffen seiner Geschwister verbunden sind, und genießt das Gefühl von Geborgenheit, das John ihn mit dieser Umarmung gibt.
„Komm doch erst mal rein. Joey hält Angelo schon von dir fern."
Patrick kann sich ein leises Lachen nicht verkneifen. Sein älterer Bruder muss seinen jüngeren Bruder vor dem jüngsten der Geschwister beschützen.

Das Zusammentreffen der Geschwister läuft friedlich ab. Angelo schenkt Patrick keine weitere Beachtung und mit dem Eintreffen von Kathy und Barby ist die Runde komplett.
Die Geschwister haben sich um den großen Tisch im Esszimmer des Hauses versammelt. Einige Kuchen finden ihren Platz auf der Tafel und werden gierig gegessen, während Patrick bloß still dabei sitzt und mit dem Wasserglas in seiner Hand spielt. Immer wieder schwappt die klare Flüssigkeit den Rand hinauf, gelangt aber nie über diesen hinüber. Jimmy hat sich mittlerweile auch aus dem Gespräch über die Zukunft der Band hinausgezogen. Sein Blick ruht ruhig auf Patrick. Es scheint, als wäre dieser in seiner eigenen Welt und würde alles um sich herum ausblenden.
Jimmy weiß, dass Patrick sich gerade nicht sonderlich wohlfühlen kann. Angelo ist hier, zudem noch er und Patricia, die so einiges über ihn erzählen und zur Sprache bringen könnten und zuletzt ist Maite nicht hier. Die Person, bei der Patrick momentan wohl am meisten nach Zuflucht und Verständnis sucht.
Leise seufzend lässt Patrick sich an die Lehne des Stuhls fallen. Er spürt förmlich wie immer mehr Unruhe in ihm aufsteigt.