Ein Anker im Sturm

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„Was war das denn?",harkt Maite verwirrt nach und steht auf, um Patrick hinterher zu gehen.
„Lass ihn.",bittet Patricia ihre kleine Schwester und blickt zu ihr hinauf.
„Ihr verheimlicht mir doch irgendwas. Was wisst ihr, was ich nicht weiß?"
„Nichts, was nicht offensichtlich wäre.",mischt Jimmy sich ein und erntet einen verwirrten Blick von Maite.
„Was läuft hier?",fragt sie verwirrt und setzt sich wieder auf das Sofa, während sie zwischen Jimmy und Patricia hin und her schaut.

„Ach bitte. Kaufst du ihm sein Scheinheiliges Getue wirklich ab?",erwidert Jimmy.
Maite seufzt und lehnt sich an die Sofalehne. Sie kann nicht fassen, dass ihr Geschwister schon wieder damit anfangen.
„Ich finde ihr solltet ihm ein wenig mehr Vertrauen entgegenbringen. Er ist alt genug."
„Du kennst ihn. Lächeln aufsetzen und weiter machen.",gibt Patricia zurück und fängt den Blick von Maite ab.
„Wenn es für ihn der beste Weg ist? Er verarbeitet es halt anders. Kein Grund ihm so in den Rücken zu fallen. Wir sollten ihn eher dabei unterstützen."
„Sorry, aber das ist definitiv keine gesunde Art von einer Verarbeitung. Ich unterstütze ihn dabei nicht.",erwidert Jimmy, der sich ein wenig mehr aufsetzt und auf das Glas in seiner Hand blickt, während er Maites Blick auf sich spürt.

„Maite, Jimmy und Ich haben das alles schon einmal mit ihm durch und wissen wie er tickt. Außerdem habe Ich gester...-"
„Das kannst du doch nicht Vergleichen, Patricia! Es geht um Trauer und nicht um innere Leere und Selbstmordgedanken. Ihr müsstet es doch kennen. Ihr hab den Tod von unseren Eltern ja wohl mitbekommen.",unterbricht Maite sie. Sie schaut ihre Schwester durchdringend an.
„Wer sagt, dass das eine nicht das andere bedeutet?"
„Es ist ein halbes Jahr her.",fügt Patricia der Aussage von Jimmy leise hinzu.
„Ja und? Ich könnte immer noch heulen, wenn ich an den Tod von Vater denke! Joelle war alles für Paddy und das wisst ihr! So einen Tod kann man nicht einfach zur Seite legen. Bei so einem tragischen Unfall schon mal gar nicht!"

Mit diesen Worten steht Maite auf und blickt auf ihre Geschwister hinunter.
„Ich weiß, dass ihr damals viel mit ihm durchgemacht habt und ich bin froh, dass ihr für ihn da wart, aber ihr müsst ihm Vertrauen."
Und schon ist Maite aus dem Raum verschwunden. Sie möchte ihrem Bruder nicht antun mit Jimmy in einem Raum zu schlafen, weshalb sie sich dazu entschließt bei Patrick zu schlafen.
Zaghaft klopft sie an die Zimmertür, bekommt aber keine Antwort, woraufhin sie vorsichtig den Raum betritt.
Patrick sitzt auf der Bettkante. Er hatte die Worte von Maite gehört. Seine anderen Geschwister sprachen zu leise. Zögernd blickt er auf und trifft auf den Blick seiner kleinen Schwester.

„Danke.",nuschelt er lediglich und steht auf, um zu dem Fenster zu gehen und aus diesem zu blicken.
„For what?"
Patrick betrachtet kurz die Sterne und spürt, wie sich eine Gänsehaut auf seinen Armen ausbreitet.
Er spürt, dass Maite ihm nichts Böses will.
Nicht auf seinen Gefühlen rumreiten.
Sie ist einfach liebevoll zu ihm und genau das ist es, was diese Gänsehaut auslöst.

Liebe.

Nach dem Tod von Joelle hatte er Maite bloß auf der Beerdigung gesehen. Seitdem herrschte Funkstille zwischen den beiden.
Er zuckt zusammen, als er ihre Hand auf seiner Schulter spürt. Noch immer richtet sich sein Blick zu den Sternen. Zu dem kalten Licht.
„Für deine Worte. Dein Vertrauen.",gibt er leise von sich und antwortet somit auf ihre Frage.
Maite schluckt, während sie seine Schulter sanft drückt.
Sie spürt ebenso, dass ihren Bruder etwas beschäftigt, möchte darauf aber nicht weiter rumreiten.
„Nicht dafür.",antwortet sie ebenso leise und folgt seinem Blick aus dem Fenster.
„Wie siehst du die Sterne?",möchte Patrick wissen und wagt einen kurzen Blick zu Maite, bevor er wieder in den Himmel schaut.

„Für jeden Verstorbenen leuchtet ein Stern. Sie wachen über uns, beschützen uns oder zeigen uns ganz einfach, dass sie da sind. Sie stehen für die Erinnerungen, Erfahrungen, aber auch die Liebe und die tiefe Verbundenheit. Dafür, dass der Tod zwar zwei Menschen trennen kann, aber niemals deren Erinnerung.",erklärt Maite leise ihre Definition, weiß aber genau, dass diese bei Patrick schmerzt.
„Stars can't shine without darkness und jeder sieht die Bedeutung der Sterne anders. Für manche sind die Sterne Führer. Für andere sind sie nichts als unbedeutende kleine Lichter in einer riesigen Galaxie. Für wieder andere stehen sie für Probleme, doch eines haben sie alle gemeinsam."
Maite legt eine kurze Pause ein, bevor sie leise weiter spricht.
„Sie alle schweigen und es ist an einem selbst herauszufinden, was sie für eine Bedeutung haben."

Patrick hat mit seinen Tränen zu kämpfen. Sein inneres brodelt und trotzdem versucht er seine Fassade aufrecht zu halten. Doch Maite hat ihn längst um ihren Finger gewickelt.
„Lass es raus, Paddy. Es bleibt unter uns.",spricht sie ihm gut zu, doch er nickt bloß ganz leicht.
„I..ich dachte du wolltest darauf nicht rumreiten."
„Möchte ich nicht. Ich möchte nur, dass du die Gefühle zulässt.",erklärt sie und streicht die Träne von seiner Wange, die sie durch das gedämmte Licht glitzern sieht.
Noch immer blickt Patrick zu den Sternen und schließt für einen kurzen Moment die Augen.
Er will nicht, dass noch weitere Tränen nachkommen, andererseits merkt er, wie gut es ihm tut.
Er versucht den Worten seiner Schwester Glauben zu schenken. Glauben daran, dass Joelle noch da ist, auf ihn aufpasst. Wenn auch nicht in der Form, in der sie es damals tat.
Sanft nimmt Maite ihren großen Bruder von hinten in den Arm, legt ihren Kopf auf seine Schulter und schließ ebenfalls die Augen, während Patrick seine Hände in ihre legt, die sie nun verschränkt vor seiner Brust halten.
Sie spürt, dass sein Körper bebt, er die Emotionen versucht zurückzuhalten.
Patrick konzentriert sich jedoch schon lange nicht mehr darauf.

Es ist ihm egal, ob Maite seine echte Gefühlswelt mitbekommt.
Seine Gedanken kreisen einzig und allein um diesen Moment.
Dieser Moment, der ihm so unglaublich gut tut, ihm Sicherheit gibt.
Sicherheit, die er nach Joelles Tod nicht gespürt hatte.

Einen Anker, der tief in Maites Herzen seinen Platz findet und dort bleibt, wenn sich in Patricks Welt ein Sturm verfängt und die Wellen so laut brechen, dass er seinen eigenen Verstand nicht mehr hören kann.

Gegen den VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt