Ich bin da

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Fast schon krampfhaft zwingt Patrick sich dazu, seinen Blick auf die noch dunkle Bühne zu heften. Es ist kurz vor beginn der Show und die letzten Leute bahnen sich, durch das unruhige Treiben der Menschenmenge, ihren Weg zu den frei gebliebenen Plätzen im Innenraum der Halle. Kurz richtet Patrick seinen Blick auf dieses Treiben, das vom Rang aus betrachtet schon eher einem Ameisenhaufen gleicht. Er schluckt schwer, versucht so die aufkommende Nervosität einfach in sich zu begraben und richtet seinen Blick wieder auf die Bühne, auf der noch die letzten Tontechniker ihren Platz finden. Es ist alles okay. Zumindest redet Patrick sich dies immer weiter ein. Doch alles, was am Nachmittag noch dunkel und leise war, ist nun wieder grell und laut. Seine Gedanken scheinen nur so ihre Runden in seinem Kopf zu drehen und es ist nicht die Situation die ihn überfordert, sondern seine eigene Gefühlswelt. Die Welt um ihn herum scheint auf ein mal wieder viel zu laut und seine Vorwürfe schreien in ihm nach Aufmerksamkeit.

Kurz schließt er seine Augen, reißt diese aber sofort wieder auf, als die ersten Töne zu ihm durchdringen und sich alles vor seinen Augen zu drehen beginnt. Wieder wandert sein Blick in den Innenraum. Zu den Menschen, die von ihrem Platz aufgestanden sind, klatschen, singen und das nachholen, was sie vor ein paar Wochen nicht erleben konnten. Zumindest nicht in voller Länge und dies ist eindeutig seine Schuld. Er ist Schuld daran, dass all diese Menschen sich umsonst auf diesen Tag gefreut haben. Schuld daran, dass Maite ihr Konzert abbrechen und für ihn da sein musste. Was sie wohl gesagt hat? Ist sie von der Bühne gerufen worden und einfach nicht mehr wieder gekommen? Er zuckt leicht zusammen, als er die Hand seiner Schwester auf seinem Oberschenkel spürt und seinen Blick sofort auf diese heftet, um erst gar nicht mehr in den Innenraum oder gar auf die Bühne blicken zu müssen. Noch immer dreht sich Alles vor seinen Augen und die schlechte Luft der Halle scheint plötzlich seinen Atem zu rauben. Die Stimme von Patricia nimmt Patrick erst gar nicht wahr. Zu sehr dröhnen die Töne des Konzerts in seinen Ohren nach. Automatisch legt Patricks zitternde Hand sich auf die seiner Schwester und erst jetzt spürt er, wie sehr auch seine Beine zu zittern scheinen. Er muss an die frische Luft, aus der Menge und dem Lärm flüchten und alles in die Ecken seines Kopfes zurückschieben, aus denen seine Gedanken auszubrechen scheinen. Unaufhaltsam und doch still und leise.

Erst als Patrick auf die weitere Hand in seinem Blickfeld aufmerksam wird und auf diese blickt, dreht sich die Welt um ihn herum langsamer. Es ist Jimmy, der ihm seine Hand reicht und schließlich auch ruhig den Blick seines kleinen Bruders auffängt und erwidert. Ohne weiter darüber nachzudenken ergreift Patrick seine Hand und drückt sich durch die schmale Stuhlreihe an seinen Geschwistern vorbei, um seinem Bruder zu folgen, der noch immer seine Hand in seiner hält. Seine zitternden Beine tragen ihn wie selbstverständlich hinter Jimmy her, so als würden auch sie sich nach der Sicherheit und Ruhe sehnen.

„Setz dich.", bittet Jimmy ihn sanft, als die beiden in Maites Garderobe angekommen sind und drückt Patrick sofort eine Flasche Wasser in die Hand, ehe er sich neben ihm auf dem kleinen Sofa niederlässt. Besorgt betrachtet er ihn von der Seite, während Patrick ein paar große Schlucke nimmt und schließlich ein mal tief durch atmet .Sofort kommt die Welt um ihn herum wieder zur Ruhe und die Nervosität in ihm legt sich wieder ein wenig. Die Luft in dem Raum ist deutlich angenehmer als in dieser großen, lauten Halle und doch dringen die Töne des Konzerts auch hinter die Bühne. Wieder lässt er seine Augen zufallen und spürt, wie eine Träne sich aus seinem Augenwinkel presst. Eine Träne der Erleichterung, gleichzeitig aber auch eine Träne des Gefühls nicht stark genug zu sein.

„Danke.", gibt er leise von sich und öffnet seine Augen wieder, um zu seinem Bruder schauen zu können. Auf Jimmys Lippen liegt ein leichtes Lächeln. Er hätte es nie geschafft Patrick aus seiner lauten Gedankenwelt zu reißen, wenn dieser nicht selbst angefangen hätte nach einem Ausgang zu suchen, die Hilfe anzunehmen.
„Danke, dass du dir helfen lässt.", gibt Jimmy ebenso leise zurück, ehe Patrick seinen Blick auf den Fußboden richtet. Helfen. Kann Jimmy ihm wirklich helfen? Helfen, wo er doch seine Gedankengänge und Gefühle nicht nachvollziehen, nicht nachfühlen kann?
„Ist das okay?", wieder blickt er zu Jimmy hinauf, der bloß nickt.
„Wäre es das nicht, wärst du nicht hier.", hängt er hinter sein nicken und lässt zu, dass das laute Klatschen aus der Halle die Stille zwischen ihnen füllt.

Gegen den VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt