Halloween

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Sie ist weg. Gegangen. Gegangen, ohne auch nur ein Wort über den Grund dafür zu verlieren und gegangen, um Patrick mit seinen Gedanken und Fragen weiterhin im dunklen zu lassen. Gegangen, um sich nicht erklären zu müssen. Patrick ist nicht sauer. Nicht so, wie es seine kleine Schwester war, die ihre beste Freundin extra zu diesem Konzert eingeladen hatte. Er versteht Maria. Zwar weiß er nicht im geringsten auch nur einen kleinen Teil ihrer Hintergründe und schon gar nicht kann er durch ihre Gedankenwelt einfach durchblicken, trotzdem sind sie sich in einer Sache wohl gleich. Sie rennen weg, sobald es ernst wird und sie reden müssen. Reden über Sachen, die wohl nicht so einfach zu erklären sind und trotzdem nach außen gelangen wollen, dies sogar müssen. Seufzend streckt Patrick seine Beine aus und öffnet seine rechte Hand, auf die sich sein Blick sofort senkt. Lediglich diese kleine Entschuldigung hat Maria auf dem Zettel hinterlassen, der zerknickter wohl nicht sein kann. Zu lange hält Patrick diesen schon in seiner Hand und auch die Schrift verabschiedet sich langsam ins unlesbare. Er möchte sich an diesen Zettel klammern. An etwas, das nicht einfach so weg rennen und ihn alleine lassen kann. Alleine in dieser viel zu lauten Welt. Doch auch dieser Zettel kann ihm diesen ersehnten Halt nicht geben. Er ist Ballast, nicht mehr und auch nicht weniger. Er steht nur so für das Flüchten vor seiner Person, für das Flüchten von Maria, weil sie Angst vor einer Begegnung mit ihm hat. Wieso interessiert er sich plötzlich so sehr dafür, obwohl es ihm egal sein könnte? Egal, dass Maria und Maite ihm diese Information verschwiegen haben und völlig egal, was sich die beiden dabei auch nur im Ansatz gedacht haben. Egal. Dieses kleine Wort, das oft verwendet wird und doch nie seine eigentliche Bedeutung vertreten kann. Wann ist einem etwas egal? Sicherlich nicht dann, wenn man im Gästezimmer seines Bruders sitzt, diesen Egal-Grund mustert und sich selbst einredet, dass dieser egal sei. Das die eigenen Gedanken unnötig sind und trotzdem sind sie da. Sie sind da, gehen nicht mehr weg und machen den Moment schlimmer, als er in Wirklichkeit ist.

Sein Blick wendet sich von seiner Hand ab, die er behutsam wieder schließt und richtet sich stattdessen aus dem Fenster. Auf dem Vorplatz der Kirche haben sich mittlerweile einige Leute versammelt. Auch Meike ist mit den Kindern dort. Patrick drückt sich von der Bettkante hinauf, um an das großzügige Fenster zu treten. Er ist kein oft gesehener Gast bei seinem Bruder und doch fühlt er sich hier in Sicherheit. Warm und Geborgen. Ein leichtes Lächeln schleicht sich auf seine Lippen, als er ein paar der verschiedensten Kostüme zu sehen bekommt. Zwar ist es bereits dunkel draußen, doch die Taschenlampen der einzelnen leuchten so hell, dass sie die Dunkelheit bewusst zur Seite drängen. Sie tun das, was Patrick nicht gelingt. Mit einem einfachen Knopfklick leuchten, so hell, dass alle Schatten um einen herum versiegen. Doch können sie das? Die Taschenlampe kann nur in eine Richtung ihren Schein voran werfen. Der Rücken bleibt somit also von der Dunkelheit umhüllt, auch wenn dies von vorne nicht den Anschein erweckt. Wie viele Leute wohl mit einer Taschenlampe durch das tägliche Leben stolzieren? Versuchen, nicht den Anschein zuerwecken, als könne irgendetwas mit ihnen nicht stimmen. Als würden ihre Gedanken nicht die Kontrolle über sie, über ihre Handlungen, übernehmen. Als hätten sie alles im Griff, als seien sie stark. Wie viele Menschen sich abends wohl zurückziehen und genau diesen Schein durch einen weiteren Knopfklick beenden? Den Schein, den die Gesellschaft und unsere Umgebung von uns verlangt. Wir haben zu funktionieren, stark zu sein, jeden Tag aufzustehen und das zu tun, was man von uns erwartet. Doch ist der Schein aus, breitet sich auch die Dunkelheit des Rückens um uns herum aus. Wir können nicht immer funktionieren, das tun, was man von und verlangt und schon gar nicht können wir zu jeder Zeit stark sein. Es ist okay Schwäche zu zeigen, mal nicht zu funktionieren oder einfach überfordert und traurig zu sein. Doch leider stolzieren die meisten Menschen mit einem aufgesetzten Lächeln durch die Straßen, lassen sich nichts anmerken, nichts an sich heran kommen und brechen dann an ihren eigenen Gedanken zusammen, wenn sie ihre Taschenlampe ausschalten.

Gegen den VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt