Wäre das nur so einfach

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Mit zusammengekniffenen Augen starrt Patrick auf den Bildschirm seines Handys, der ihm viel zu grell entgegen leuchtet und den Raum erhellt. Bis eben lag sein Handy ausgeschaltet auf dem Nachttisch und jetzt wo es angeschaltet in seiner Hand liegt, weiß er auch warum er nicht einmal daran gedacht hatte den kleinen Knopf gedrückt zu halten. Immer wieder erhellt sich der Raum, immer mehr neue Nachrichten erscheinen auf seinem Sperrbildschirm, der von einem Bild von Bowie geziert wird. Wie es dem schwarzen Labrador wohl geht, wo er unterkommt? Patrick seufzt, ehe er das Bild des Hundes beiseite wischt und seinen Code eingibt, um die Gewalt an eingetroffenen Nachrichten mit einem Blick sehen zu können. WhatsApp wird regelrecht von ungelesenen Nachrichten überschwemmt, einige verpasste Anrufe sind ebenfalls zu sehen und die Instagram Nachrichten gleichen einer Flut. Einer Flut, auf deren Welle Patrick am liebsten gekonnt surfen würde, doch er weiß, dass ihm dies nicht gelingen wird. Er wird sich selbst dabei erwischen, wie er die einzelnen Beiträge lesen wird. Die ganzen Vermutungen zu dem Grund der plötzlichen Absage der Tour, die Streitigkeiten unter den Fans und nicht zuletzt deren Enttäuschung über seinen Rückzug. Entschlossen drückt Patrick zuerst auf WhatsApp und streicht mit seinem Daumen langsam die ungelesenen Chats nach unten. Ein paar ungelesene Nachrichten von Maite, Jimmy und Patricia springen ihm sofort ins Auge, aber auch Pino und die Jungs von Patricks Band sind ganz vorne mit dabei. Fast schon automatisch drückt er die Tastensperre des Handys und lässt dieses auf seinen Bauch sinken, während sich sein Blick an die dunkle Decke über ihn richtet. Wie ruhig es doch ohne sein Handy war. Ohne die Pflicht erreichbar zu sein. Ohne die Pflicht auch nur eine klitzekleine Entscheidung über diesen Bildschirm zu treffen.

Er zuckt leicht zusammen, als sich ein kleiner Lichtspalt an der Decke bildet, den Patrick schließlich auf die Tür zurückführt und seine Augen genervt schließt. Es ist definitiv zu spät in der Nacht um jetzt noch ein ernsthaftes Gespräch mit Jimmy über den Vorfall im Bad führen zu können.
„Jimmy, können wir das Gespräch bitte auf Morgen verschieben?", bittet er deshalb ruhig und lässt seine Augen dabei aussagekräftig geschlossen.
„Warum sollte Papa so spät mit dir reden wollen? Es ist doch Schlafenszeit."
Sofort öffnet Patrick seine Augen und drückt sich ein wenig von der Matratze hinauf, um seinen Neffen anblicken zu können. Bloß das schwache Licht des Fluren lässt den Blick auf den vier jährigen zu, der mit seinem etwas zu großem Schlafanzug und seinem Teddy unter dem Arm an der Tür steht und auf eine Antwort zu warten scheint.
„Dann sind wir wohl schon zwei, die trotz Schlafenszeit nicht schlafen.", grinst Patrick, ehe er sich nach der kleinen Lampe auf dem Nachttisch streckt, um den Raum wenigstens etwas mit Licht zu erhellen. Yeshua erwidert sein Grinsen, kann sich jedoch ein herzhaftes Gähnen danach nicht verkneifen, woraufhin er sich müde durch die Augen reibt.
„Komm schon her, Kleiner.", entgegnet Patrick auf den unsicheren Blick seines Neffen, verbannt sein Handy wieder auf den Nachttisch und beobachtet Yeshua dabei, wie er am Fußende des Bettes hochklettert und schließlich zu ihm unter die Decke krabbelt

„Kannst du das Licht bitte anlassen?" Patrick nickt schmunzelnd und blickt zu ihm hinunter. Seinen Teddy umklammert Yeshua fest und auch die Decke reicht ihm schon fast bis unter die Augen.
„Du hast Angst.", stellt Patrick lediglich fest, während auch er sich wieder richtig hinlegt und merkt, wie Yeshua noch ein Stück näher an ihn rutscht und nickt. Vorsichtig legt er seinen Arm um den Kleinen. Wieso kommt Yeshua zu ihm? Wieso geht er nicht zu seinen Eltern oder zu seinen älteren Schwestern? Patrick weiß es nicht, jedoch geistert diese Frage aber auch nicht lange in seinem Kopf umher. Er ist froh, dass sein Neffe ein solches Vertrauen in ihn hat und das obwohl Patrick in der Vergangenheit nicht immer präsent für ihn war.
„Ist es schlimm Angst zu haben?", flüstert Yeshua schon fast während auch er bloß an die gegenüberliegende Wand blickt und seine Augen nicht schließt.
Patrick schweigt. Ist es schlimm Angst zu haben? Ohne Angst könnten wir nicht mutig sein. Wir könnten nicht über unsere Grenzen gehen und etwas wagen, wenn wir vor diesem Schritt nicht wenigstens ein wenig Bedenken hätten. Ist es also schlimm Angst zu haben oder fängt dies erst an, wenn die Angst unser alltägliches Leben beeinflusst? Was denken andere von mir, wie mache ich es ihnen recht, kann ich das überhaupt? Schlimm wird die Angst wohl erst, wenn sie nicht mehr mit Mut in Verbindung steht. Wenn die Überwindung der Angst nicht mit Mut, sondern mit Freiheit betitelt wird. Patrick lächelt. Diese Lektion wird Yeshua wohl noch selbst durchleben müssen.

„Wovor hast du Angst?", hakt er schließlich bloß nach.
„Vor den vielen Monstern und Geistern."
„Vor den Monstern und Geistern, mit denen du eben in eurem Monsterlager saßt und mit denen du von Haus zu Haus gelaufen bist?"
Yeshua nickt, während er seinen Teddy noch ein wenig mehr an sich klammert.
„Die waren alle nett, oder?", geht Patrick weiter darauf ein. Er kann sich noch gut an solche Situationen erinnern. Nur das er oft der Kleine war, der so in Jimmys Armen lag.
„In den Geschichten waren sie das nicht.", gibt er zögernd zurück, was Patrick schmunzeln lässt.
„Du hast sie selbst kennengelernt und glaubst trotzdem den Geschichten? Du brauchst keine Angst vor ihnen zu haben."
Zögernd nickt Yeshua, während er sich in Patricks Armen umdreht und sich an seine Brust kuschelt.

Lächelnd streicht Patrick seinem Neffen über den Rücken, ehe auch er seine Augen schließt und den Tag in Ruhe an sich vorbeiziehen lässt. Das Konzert seiner Schwester, seinem Ausraster im Bad und den ganzen Abend mit Jimmys Familie. So viele Emotionen und Gefühle keimen in ihm auf und würde Yeshua nicht bei ihm sein, würde er sich jetzt definitiv irgendwie ablenken. Wie solles weitergehen, wie lange wird er noch in der Klinik bleiben müssen und wie wird sein Leben danach weitergehen? Wird es einfach weiterlaufen? Wird er einfach so tun, als wäre nichts gewesen, wird er die Tour wieder aufnehmen und weiter das machen, was er am besten kann? Musik und verdrängen. Wird er sich bewusst für einen anderen Weg entscheiden? Sich erst einmal komplett zurückziehen? Patrick atmet tief aus. Momentan weiß er noch nicht einmal wann er überhaupt die Klinik verlassen kann, wann er bereit dazu ist sein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Wann er wieder bereit dazu ist, aus seinem Käfig zu klettern und ganz der alte Paddy zu sein. Kann man das?Nach dem Tod einer geliebten Person wieder sich selbst sein, unverändert? Nein. Dies ist wohl der erste Moment, in dem er sich wirklich Gedanken um die Zukunft macht. Doch wieso?

„Hast du auch Angst?", bricht Yeshua plötzlich die Stille und reißt Patrick somit aus seinen Gedanken. Er nickt, bevor er merkt das Yeshua dies nicht sehen kann.
„Ich glaube jeder von uns hat vor etwas Angst.", entgegnet Patrick leiser.
„Papa hat vor dir Angst."
Patrick öffnet seine Augen wieder und spürt, wie sich seine Augenbrauen automatisch zusammenziehen.
„Wie kommst du darauf?"
„Er redet oft mit Mama über dich. Letztens hat er gesagt, dass er Angst vor dir und den Sachen hat, die du dir antun könntest.", wieder verlässt ihn ein Gähnen. Patrick schluckt schwer. Das Jimmy vor Patricks Handlungen Angst hat und sich Sorgen macht ist nichts neues für ihn und doch ist er ein wenig erstaunt, dass sein großer Bruder scheinbar so offen in seiner Familie darüber spricht. Sogar so, dass Yeshua es mitbekommen kann.
„Das ist eine andere Angst.", versucht Patrick seinem Neffen den Wind aus den Segeln zu nehmen und hofft insgeheim darauf, er würde nicht weiter nachhaken.
„Ich habe keine Angst vor dir.", erwidert er lediglich, was Patrick lächeln lässt.
„Das brauchst du auch nicht. Aber wir sollten langsam versuchen zu schlafen, Kleiner."
Patrick spürt nur noch das leichte Nicken an seiner Brust, bevor es still zwischen den beiden wird. Auch er kuschelt sich nun ein wenig mehr in die Bettdecke und schließt seine Auge erneut. Dieser Tag war eindeutig zu viel für ihn und er merkt, wie sich die Erschöpfung langsam in seinen Knochen und Muskeln breitmacht.

Es ist still. In ihm drin, aber auch um ihn herum. Seine Gedanken scheinen bereits zu schlafen und so dauert es nicht lange,bis auch er langsam zur Ruhe kommt.
„Du wirst bald bestimmt wieder bei Joelle sein.", nuschelt Yeshua im Halbschlaf, woraufhin Patrick ihm bloß über den Rücken streicht und ebenso leise antwortet: „Wäre das nur so einfach."

Das ist es. Einfach.

Gegen den VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt