Unnahbar wie die Sterne

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Patricks Kopf lehnt an der Fensterscheibe, während seine Hände nervös mit dem Saum seines T-Shirts spielen. Es ist dunkel, trotzdem erkennt er am Horizont die Berge, die darauf hindeuten, dass er bald Zuhause ist.

Zuhause.

Dieses Wort hat schon lange nicht mehr die selbe Bedeutung, die sie einst hatte.
Zuhause ist, wo das Herz ist, die Liebe wohnt. Doch die Liebe wohnt dort nicht mehr. Das einzige was dort wohnt sind Erinnerungen. Erinnerungen an eine Zeit, die nie wieder zurückkommt.
Erinnerungen, die ihn innerlich auffressen, ihm gleichzeitig aber auch so vieles geben. Ein kleines Stück von dem, was vergangen ist.

Am Horizont erkennt er die Sterne. Es ist eine klare Sommernacht und so gewährt der Himmel freien Blick auf die tausenden Lichter.
Früher haben seine Augen diese Lichter anders gesehen. Als ein kleines Stück Hoffnung, welche vielleicht nicht greifbar, aber trotzdem immer spürbar war.
Heute sieht Patrick diese Lichter mit anderen Augen. Sie sind in einer anderen Welt. Unnahbar und voller falscher Hoffnungen.

„Ich möchte auch einfach nur noch ins Bett.",reist ihn die müde Stimme seines Managers aus den Gedanken und er hebt seinen Kopf, um zu ihm schauen zu können. Auch er hat seinen Kopf an der Fensterscheibe lehnen und scheinbar nicht mit Patrick, sondern mit dem Fahrer, gesprochen.
„Du kannst auch bei mir schlafen und Morgen nachhause fahren.",bietet Patrick ihm an, weshalb Pino seinen Blick zu ihm richtet.
„Danke, wäre toll."

Patrick erwidert lediglich sein Lächeln und blickt schließlich wieder weg.
Er soll nicht merken, dass ihm gerade andere Gedanken durch den Kopf schwirren. Schließlich lebt Patrick in seiner kleinen, scheinheiligen Welt, in der alles toll scheint. Zumindest nach außen.
Zwar hatte er sich nach ihrem Tod ein wenig Pause gegönnt, doch lange hielt er dies nicht aus. Er brauchte Ablenkung und diese bekam er nur auf der Bühne.
Die Leute in seinem Umfeld akzeptierten es. Sie wollte keine Wunden aufreißen, konnten gleichzeitig aber auch nicht wissen, dass diese Wunden noch nie verheilt waren und auch immer noch nicht sind.

Patrick schließt die Haustür auf und sofort kommt ihm ein bekannter Geruch entgegen.
Die Wärme überträgt sich sogleich auf seinen Körper und die Anspannung der letzten Wochen fällt ab.
Sie waren nun drei Wochen am Stück auf Tour und obwohl er diese extrem genoss, blieb dabei immer eine Restangst. Niemand soll sehen, wie es wirklich in ihm aussieht. Niemand kann es sehen, geschweige denn verstehen.

„Du kannst im Gästezimmer schlafen. Bettzeug müsste noch im Schrank sein."
Dankbar nickt Pino ihm zu, ehe er sich auf die Knie setzt und den schwarzen Labrador begrüßt, der freundlich auf ihn zuläuft.
Bowie heißt er. Joelle hatte ihn damals mit in die Ehe gebracht und somit ist er das einzige, was Patrick von ihr bleibt. Trotzdem wird er dem Hund schon lange nicht mehr gerecht. Patrick ist viel Unterwegs und meistens hält hier eine nette, ältere Dame alles auf Vordermann und übernimmt das Gassi gehen mit Bowie.
Auch ihn begrüßt er freudig, doch Patrick kann ihm bloß kurz über den Kopf streicheln. Zu mehr fehlt ihm gerade die Überwindung. Obwohl es wohl einfach auf die Angst vor den Erinnerungen zurückzuführen ist.
Patrick merkt, wie Pino ihn mustert, trotzdem nichts sagt und ihn einfach gehen lässt. Und er ist ihm dankbar dafür.

Müde knipst er das Licht in der 2. Etage an, sieht dabei aber auch, wie das Licht unten ausgeht. Normalerweise ist er kein Fan davon, jemanden hier schlafen zu lassen, jedoch weiß er genau, dass Pino ein anständiger Gast ist und ihm weitestgehend unter die Arme greift. Lächelnd setzt er seinen Weg fort, sucht sich Klamotten aus seinem Kleiderschrank und verzieht sich ins Badezimmer. Zum duschen fehlt ihm die Motivation, weshalb er sich lediglich umzieht, sich die Zähne putzt und sich kurz kaltes Wasser in sein Gesicht spritzt. Unweigerlich fällt sein Blick in den Spiegel. Etwas abgenommen hat er, trotzdem lässt sein Aussehen nicht darauf schließen, wie es in seinem inneren eigentlich aussieht.

Erschöpft lässt er sich in das große Ehebett fallen und verschränkt seine Arme hinter seinem Kopf. Seit nun mehr als einem halben Jahr bleibt die linke Seite des Bettes leer. Und es schmerzt immer und immer wieder.
Jeden Abend wird ihm erneut vor den Kopf geworfen, dass sie nicht mehr hier ist. Nie wieder hier sein wird. Es nie mehr so sein wird, wie es einmal war.
Sein Blick richtet sich auf die leere Bettseite und für einen Moment hat er das Gefühl, dass sie neben ihm liegt. Wie damals. Ihm nach einem stressigen Tag gut zuredet. Sie sich alles erzählen oder einfach nur kuschelnd nebeneinander liegen.

Doch im nächsten Moment ist diese Erinnerung wieder vorbei. Ein kühler Lufthauch zieht seinen Weg durch das Zimmer und verursacht eine Gänsehaut auf Patricks Körper.

Kaum merkbar schüttelt er den Kopf und versuche die Erinnerungen in die allerletzte Ecke zu drängen und schließt seine Augen, um sich in seine Traumwelt zu Träumen.
In die Welt, in der alles perfekt ist. Wirklich alles. Doch leider endet auch diese Illusion jeden Morgen und ihm wird ein weiteres Mal bewusst, dass er alleine ist. Kein Gedanke, keine Gefühle dringen aus seinem Kopf hervor. Es ist, als hätte jemand eine Wand errichtet. Eine Wand, die er selbst nicht zerstören könnte und wenn er es wollte, würden sie trotzdem ins leere schwirren und so unnahbar werden, wie die Sterne in der anderen Welt.

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So da wäre das erste Kapitel. Ich wünsche euch schöne Feiertage! Genießt die Zeit mit der Familie🎄💞

Gegen den VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt