Brücke zum Tod

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Das Auftreffen der Regentropfen auf dem nassen Asphalt ist das einzige, das Patrick wahrnimmt. Er öffnet seine Augen, blickt in den Himmel. Dunkelheit. Nun spürt er, wie die kalten Regentropfen seinen warmen Körper abkühlen. Tropfen um Tropfen ladet auf ihm und durchnässt seine zu dünnen Klamotten.
Langsam setzt er sich auf. Vor ihm erstreckt sich die endlose Straße. Lediglich das Scheinwerferlicht des Autos am Horizont lässt vermuten, dass die Straße irgendwo ihren Anfang finden muss. Ein seufzen verlässt seinen Mund. Er träumt. Er befindet sich wieder an dem Ort, der damals sein ganzes Leben in die Richtung getrieben hat, in die es die letzte Zeit entgleitet. Weg von ihm und nicht zum Schluss auch weg von ihr.

„Konntest du deine Fragen beantworten?"
Patrick zuckt nicht zusammen. Er spürt, dass sie hinter ihm steht und ruhig auf ihn hinab blickt. Er schüttelt den Kopf. Immer noch ist sein Blick starr auf das immer näher kommende Licht gerichtet.
„Du weißt, was das bedeutet?"
Sie lässt sich neben ihm auf der Straße nieder. Erst jetzt blickt Patrick zu ihr. Ihre Klamotten sind trocken, keine Spur von Regentropfen bildet sich auf ihrer Haut.
„Ich habe langsam keine Ahnung mehr, was überhaupt irgendetwas hier bedeutet! Sprich bitte nicht in Rätseln mit mir...",bittet er, bevor sein Blick sich wieder zu dem Licht richtet.
„Wenn du hier sitzen bleibst, mit mir an deiner Seite, stirbst du."
Joelles Stimme klingt kalt. Patrick spürt, wie eine Gänsehaut sich auf seinen Armen ausbreitet.
„Es ist nur ein Traum.",gibt er ebenso kalt zurück und spürt, wie Joelle ihre Hand auf seine Schulter legt.
„Du hast in letzter Zeit bemerkt, was 'nur ein Traum' für Auswirkungen hat."
Er nickt. Sie hat recht und genau dies ist die Erkenntnis, die ihm nun solche Angst bereitet.
„Gib nicht auf. Das hier ist die Zeit und der Ort, wo sich deine Richtung ändert."
Entschlossen schiebt Patrick ihre Hand von seiner Schulter und blickt zu ihr. Direkt in ihre Augen.
„Was wenn doch? Wenn ich mein ganzes Leben hinter mir lasse, was passiert dann mit mir? Was passiert mit dir?"
Fast schon flüsternd bringt Patrick diese Worte hervor. Noch nie zuvor hat er seiner Frau so intensiv in die Augen geblickt, wie er es in diesem Moment tut. Er möchte Antworten. Antworten auf die nicht gestellten Fragen, die trotz allem in der Welt zwischen Leben und Tod schweben.

„Du musst lernen ohne mich zu Leben, mit dir ins Reine zu kommen. Aber vor allem musst du hier und jetzt den richtigen Weg einschlagen."
Sie deutet zu dem grellen Licht. Mittlerweile sind die Umrisse des Wagens bereits zu erkennen.
„Gib mir eine Antwort auf diese Fragen! Ich schaffe es nicht!"
Hektisch blickt er wieder zu ihr. Einzelne Tränen vermischen sich mit den Regentropfen auf seiner Haut und hinterlassen eine einheitliche Spur.
„Alles wird gut, aber nie mehr wie es war.."
Das Hupen ertönt. Patrick schluckt.
„Wenn wir uns an dem Ort treffen, an dem wir uns kennengelernt haben, du mich aber nicht siehst, tue mir bitte einen Gefallen. Lass die Vergangenheit endlich los."
Ein weiteres Hupen.
Patrick nähert sich langsam Joelles Gesicht, welches er mit beiden Händen sanft umgreift. Ihre Haut ist warm. Immer näher kommen sie sich, bevor Patrick seine Lippen auf ihre legt und seine Augen schließt. Nur für diesen einen Moment scheint es, als hätte er die Brücke zum Tod bereits genommen. Sich für den Weg mit ihr entschieden. Seine Lippen sind trockener als zuvor, als er sie von ihren löst und seine Stirn an ihre lehnt. Einen Moment sitzen sie Stumm da. Die Regentropfen fallen auf sie hinab und in der Ferne ist bereits das Motorgeräusch des Wagens zu hören.
„Ich schaffe es nicht.",schluchzt Patrick leise. Seine Gedanken scheinen überzukochen und alle aus ihm hinauszuwollen. Sanft streicht Joelle ihm eine Träne von der Wange und lässt ihre Hand darauf ruhen.
„Du bist mehr Wert als deine im Kopf liegende Schranke, vergiss das nicht."
Engelchen und Teufelchen. Was ist richtig, was falsch? Patrick weiß es nicht mehr.

„Geh.",bittet Joelle sanft und lässt ihre Hand von seiner Wange sinken, nur um seine linke Hand in ihre zu nehmen.
„Du bist noch nicht soweit."
Ihre Köpfe gewinnen wieder an Abstand und tatsächlich sieht Patrick eine Träne, die sich aus Joelles Augenwinkel löst.
Langsam steht er auf, geht einige Schritte zurück, lässt ihre Hand aber nicht los. Joelle hat sich ebenfalls erhoben. Sie steht mitten auf der Straße, richtet ihren Blick starr auf Patrick.
„You know I'm not that strong.",nuschelt er und dreht seine linke Hand so, dass er auf die Narbe an seinem Handgelenk blicken kann.
Langsam lässt er ihre Hand aus seiner gleiten, weicht, wie in Zeitlupe, noch einige Schritte zurück und lässt sie auf der Straße stehen.
„Es tut mir alles so unendlich leid.",ist das letzte was er sagt, bevor er seine Augen zusammenkneift, das letzte Hupen wahrnimmt und zusammenschreckt, als er den Aufprall hört.



Gegen den VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt