PROLOG

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"Bitte, komm weg von der Straße!", hallte meine Stimme erneut durch die düstere Nacht und verzweifelt musterte ich den Jungen, der teilnahmslos auf der offenen Straße lag. Sein pechschwarzes Haar fiel ihm zerzaust in die Stirn.

"Ich hab gesagt du sollst abhauen!", fauchte er mich diesmal an, sodass ich erschrocken zurück zuckte. Er drehte seinen Kopf zu mir und seine eisblauen Augen blitzten gefährlich drohend auf.

Panisch blickte ich um mich und hielt in alle Richtungen nach Autos Ausschau. Jede zusätzliche Sekunde, die er auf der Straße verharrte, konnte sein Todesurteil fällen.

"Es gibt bestimmt eine Lösung für dein Problem!", schrie ich und meine Worte kämpften gegen den tosenden New Yorker Stadtwind an.

"Es gibt keinen Ausweg. Entweder ich sterbe, oder jeder, der mir zu nahe kommt!"

Bei diesen Worten schluckte ich tief. Was konnte er damit nur meinen? War das ein Zeichen für mich zu gehen? Nein! Ich konnte es nicht einfach geschehen lassen.

Langsam näherte ich mich dem Typ, der seinen Blick wieder abwandte und monoton den sternenverzierten Nachthimmel musterte.

"Verzieh dich, Kleine.", knurrte er, ohne seinen Blick vom Himmel abzuwenden, als ich immer näher an ihn heranschritt. Keine Spur von Aufregung lag in seiner Stimme und ich konnte auch keine Angst in seinem Blick ausmachen. Nur Leere. Tiefe Leere.

"Du kommst jetzt mit, weg von der Straße oder du lässt mir keine andere Wahl und ich muss die Polizei rufen.", redete ich mutig auf ihn ein und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich war mir sicher, dass ich am Ende genauso, wie er auf der Straße verenden würde.

"Verstehst du es denn nicht? Ich kann das nicht mehr. Die Dunkelheit in mir wächst Tag für Tag. Und sie zerstört alles was sich mir in den Weg stellt!" Ich versuchte zu verstehen, was er da faselte, versuchte mich in seine Lage hineinzuversetzen. Ich war nicht die einzige, die merkte, wie sehr seine Worte mich einschüchterten. Wieder sah ich mich nach möglichen Fahrzeugen um.

Zu meinem - seinem Glück konnte ich keine ausmachen. War es falsch, dass mich dies beruhigte? Sollte ich nicht eher verängstigt sein, da ich mich mitten in der Nacht, um 3:11 Uhr alleine auf der offenen Straße befand und noch dazu mit einem Typen, den ich nicht kannte? Sollte ich abhauen, so wie er es vorher gesagt hatte? Nein. Etwas sagte mir, dass ich ihm vertrauen konnte.

"Du kennst mich erst seit wenigen Minuten und bist jetzt schon in Gefahr. Wegen mir.", lachte er verächtlich auf und fuhr sich durch sein zerzaustes, dunkles Haar.

Ich zuckte die Schultern und setzte mich neben ihn, auf die kalte Straße, die in nur einem Bruchteil einer Sekunde zum Tatort werden konnte. Ich zog meine Beine eng an meinen Körper und ließ den kühlen Wind durch meine Haare wehen.

"Du bist echt nicht die Schlauste, oder?", ertönte die raue Stimme des Fremden jetzt näher an mir und er sah mich irritiert aus seinen eiskalten Augen an. Mein Herz klopfte so schnell, dass ich Angst hatte, es könnte jeden Moment aufhören, zu schlagen.

Aber naja, das war nun nebensächlich, denn ich befand mich gerade auf einer befahrenen Straße in New York, neben einem Typ, der sich das Leben nehmen wollte und jeden Moment könnte die Stille der Nacht durchbrochen werden und der makellose, glatte Teer würde seine Farbe von dunkelgrau zu blutrot ändern.

"Ich hab dich was gefragt. Was machst du hier!", fuhr er mich lauter an und ich zuckte erneut die Schultern. "Geht dich nichts an." Mein Blick fixierte eine unebene Vertiefung in der Straße und ich versuchte ruhig zu bleiben und meine Atmung zu regulieren. Ich hoffte mein Plan würde aufgehen. Und noch dazu hoffte ich, dass der Blauäugige meine aufsteigende Angst nicht bemerkte. "Hör zu, wenn du auf eine kleine Selbstmordnummer aus bist: bitte.", Er machte eine einladende Handbewegung und fuhr fort, "Aber tu mir bitte den Gefallen und such dir deine eigene Stelle."

Ich antwortete nicht und versuchte gelassen zu wirken, doch innerlich fraß mich die Unruhe regelrecht auf und ich gab mir Mühe, nicht in Panik auszubrechen. Wie schaffte er es nur, so gelassen mit dem Tod umzugehen? Und was machte ich hier eigentlich?

Bildete ich mir wirklich ein, dass er seine Meinung ändern würde, wenn ich mein Leben auch noch in Gefahr brachte? Als würde es einen Fremden interessieren.

Ich lachte innerlich über meine Dummheit auf und überlegte wieder aufzustehen. Der Blauäugige betrachtete mich mit stechenden Blicken von der Seite und schüttelte schmunzelnd den Kopf. "Ich weiß genau was du vorhast."

„Was denn?", fragte ich unschuldig und zwirbelte eine meiner dunklen Haarsträhnen zwischen meinen Fingern.

Wieder lachte er verachtend auf.

"Okay, schön. Bleib einfach hier, aber erwarte nicht, dass ich dich-"

Er verstummte und wir beide horchten auf, als ein leichtes vibrieren die Straße erschütterte und ich drehte mich mit einem Ruck um. Ein Auto! Und tatsächlich, meine Gedanken bestätigten sich!

Die nächsten Sekunden vergingen wie in Trance und ich nahm das Geschehen nur vernebelt war.

Das letzte, was ich vernahm, war ein grelles, beinahe erblindendes Licht. Ich kniff meine Augen zu und presste die Lider fest aufeinander. Ich wusste nicht, ob ich dies aus Angst oder einer Art Reflex tat, aber mein Körper war wie gelähmt.

Zwei starke Arme zogen mich an eine harte Brust und stürzten mich zur Seite.

Ich vernahm quietschende Autoreifen, die auf dem Asphalt schlitterten und markerschütternde Geräusche erzeugten.

Danach ein Dröhnen in meinen Ohren, das jegliche Hintergrundgeräusche ausblendete und ich prallte unsanft auf den Boden der anderen Straßenseite, wo ich gleich darauf von einem schweren Gewicht auf meinem Brustkorb nach unten gedrückt wurde.

Ich schnappte schockiert nach Luft und schlug meine verkrampft geschlossenen Augen wieder auf. Blaue Augen blickten tief in meine.

Sein trainierter Körper lag auf meinem, die Arme auf meinen Schultern abgestützt, drückte er mich fest auf den kalten Asphalt.

Stoßweise prallten unsere Atemzüge aneinander. Und die von Adrenalin getränkten Sekunden, in denen unsere Blicke förmlich aneinander gekettet waren vergingen wie Minuten.

Langsam vernahm ich laute Stimmen um uns herum, blendete diese im Bann seiner Augen jedoch vollkommen aus.

"Ganz blöder Fehler", knurrte der Schönling leise drohend an mein Ohr, entfernte sich von mir und verschwand, ohne jegliche Spur zu hinterlassen in der düsteren Nacht und ließ mich an der Unfallstelle zurück.

Dead end - you can't kill a dead body Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt