• 10

2.9K 263 31
                                    

Taehyung PoV

Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Ich ignorierte ihn, ich ging ihm aus dem Weg, ich konzentrierte mich auf die Prüfungen und verkroch mich immer in irgendeiner Ecke, um zu lernen. Lediglich für den Unterricht erhob ich mich, wie ein scheues Kanninchen, das dahin musste, um nicht zu verhungern.

Ich wurde aus mir selbst nicht schlau. Ein riesiger Teil von mir wollte sich von dem Ganzen abrgrenzen, wollte die rote Linie ziehen und schlichtweg lernen. Doch der andere, viel grössere Teil, angeführt von meinem jämmerlichen Herz, wollte zu ihm. Und zwar jede Sekunde.

Die Stunden wurden irgendwie länger, die Tage zogen sich dahin, wie ein Kaugummi. Mit Lesen und Lernen konnte man sich zwar die Zeit vertreiben, doch sie wurde dabei immer länger. Obwohl mein gesunder Menschenverstand mir sagte, dass jede Sekunde gleich lang war und die Sonne immer gleich aufging und unterging, hatte ich das Gefühl, die Stunden gingen weniger schnell vorbei.

Die Zeit wurde zu meinem grössten Feind. Vor ihr konnte ich mich nicht verstecken, vor ihr konnte ich nicht davon laufen. Ihr konnte ich nicht aus dem Weg gehen. Sie war einfach da, zog sich immer mehr in die Länge und machte es meinem Herz immer schwerer.

Jede Minute fühlte sich an wie ein kleiner weiterer Stein, der sich an mein Herz haftete und es runter zog. Ich wusste nicht so wirklich wieso, oder eher, ich wollte es nicht wahrhaben.

Jin hatte mir gesagt, ich würde es nicht zur Seite schieben können. Aber ich wollte es und ich probierte es immer wieder. Ich verstand nicht, wieso mein armseliges Herz sich das selbst antun wollte. Wieso begriff es nicht einfach, dass da nie und nimmer was draus werden könnte?

Doch irgendwann klappte auch das Ablenken nicht mehr. Irgendwann verschwammen die Buchstaben vor meinen Augen, irgendwann schien mein Hirn keine Informationen mehr aufnehmen zu wollen. Als hätte es im Geheimen einen Pakt mir meinem Herz und meinem Bauch geschlossen und entschieden zu streiken.

Ich konnte es ihm nicht verübeln.
Ich wurde zu einem Wrack, mein Gehirn wollte mich nur vor der vollkommenen Vereinsamung bewahren.

Jin und Hobi hatten mehrere Male probierte mich da raus zu holen. Mir klar zu machen, dass das so nicht weitergehen konnte, dass ich so nicht weiterleben konnnte.

Einige Male hatte es Hoseok mit Witzen probiert, wenige brachten mich sogar zum Schmunzeln. Jin schien eher zu merken, dass ich da durch musste. Ich hätte gerne auf meine Freunde gehört, ich hätte mich gerne wieder in die Gesellschaft integriert.

Aber ich wusste, dass ich es nicht konnte.

Sobald wieder die geringste Chance bestand, Jungkook zu begegnen, egal ob auf dem Flur, am See oder in der grossen Halle, würde ich nachgeben. Ich kannte mich, ich wusste, dass er mich schwach werden lassen würde. Meine Prüfungen würden wieder nichtig werden, ich würde mich wieder auf ihn konzentrieren.

Doch schlussendlich würde das auf nichts herauslaufen. Ich würde mich vermutlich in ihn verlieben, er würde mir irgendwann klar machen, dass es ihm nicht so ging und mit einem hübschen Ravenclaw Mädchen von dannen ziehen, während ich mit einem gebrochenen Herz und schlechten ZAG Noten zurück blieb.

Das Risiko war es nicht wert. Er war es nicht wert, meine Zukunft aufs Spiel zu setzen.

Trotzdem, trotz all diesen Argumenten, die meine Gedanken regelrecht einnahmen, konnte ich mich kein Centimeter weit bewegen, als ich auf dem Astronomieturm sass und Jungkook auf mich zu kam.

Ich war oft hier oben, mitten in der Nacht obwohl das nicht erlaubt war. Meist schlichtweg um in Ruhe die Sterne beobachten zu können, oder wenn ich nicht schlafen konnte. Oder wenn ich nachdenken wollte, so wie heute.

Ich hätte gehen sollen. Ich hätte aufstehen und zurück in mein Schlafzimmer gehen sollen. Stattdessen blieb ich sitzen, drehte den Kopf zurück zu den Sternen und liess es zu, dass er sich neben mich setzte.

Mein Herz machte einen Hüpfer.

„Irgendwie passt das zu dir", sagte er.

Mehr Wörter wechselten wir nicht, wir sassen nur still da und schauten beide hoch in die Galaxie, die beinahe so schön war, wie jene in Jungkook's Augen.

„Du musst mir nicht erzählen, wieso du mich ignorierst", meinte er plötzlich und ich wollte schon protestieren, als er lächelnd die Hand hochhielt, um mich zum Schweigen zu bringen. „Du musst es nicht verleugnen. Wir beide wissen es. Und es ist okay, ich muss den Grund nicht kennen. Ich habe kein Recht dazu."

Seine blasse, beinahe weisse Haut glänzte regelrecht im Schein des Mondes und ich ertappte mich selbst bei dem Gedanken, ob seine restliche Haut auch so makellos war. Ob die Haut, verborgen unter dem Umhang und dem roten Shirt, auch so unwirklich schön war.

„Ich warte einfach", redete er weiter. „Ich warte so lange, bis du wieder mit mir sprichst. Ich weiss selbst nicht wieso, aber ich werde es tun."

Ich sah ihn an, doch er lächelte nur weiterhin und stand wieder vom kalten Boden auf. Ich merkte erst jetzt, dass er Pyjama Hosen trug aus schwarzer, glänzender Seide.

„Davonlaufen bringt nichts, Taehyung. Dein Herz wird dich irgendwann in deine Schranken weisen. Du wirst irgendwann nachgeben."

Ich hatte keinerlei Ahnung, woher und vor allem auch warum er das wusste und weshalb er so in Rätseln sprach. Aber irgendwie gefiel mir der Gedanke, dass er mich zumindest nicht dafür verachtete.

„Und wenn du nach gibst, werde ich da sein. Denn schliesslich bist du es defintiv wert, zu warten."

Mit diesen Worten schenkte er mir ein weiteres Lächeln, wobei der leise Wind ihm die braunen Strähnen ins Gesicht wirbelte, ehe er sich umdrehte und langsam den Turm verliess.

Seine Worte schienen an dem kahlen Stein widerzuhallen, sie brannten sich in mein Kopf. Das konnte eigentlich nur ein Scherz sein, ich konnte mir nicht vorstellen, dass das wirklich mal jemand zu mir sagen würde.

Trotzdem waren die Sätze da, beinahe greifbar schwebten sie in der Luft vor mir.

Ich atmete zitternd aus, zog die Ärmel meines Umhangs bis über die Fingerknöchel und sah wieder zum Mond hoch. Was würde er wohl dazu sagen? Als jemand, der immerzu die Erde beobachten konnte, wusste er ja wohl am ehesten, was das Richtige wäre.

Er hatte bestimmt schon einige erfolgreiche Liebesbeziehungen miterlebt.

Aber war es wirklich das, was Jungkook auch gemeint hatte? Meinte er es ernst?

Du bist es wert, zu warten.

time turner | kookvWo Geschichten leben. Entdecke jetzt