Betreten sah ich auf den Boden.
Ich hasste ihn nicht, aber niemals habe ich ihm wirklich eine Chance gegeben.
Er konnte mir nicht zeigen, wer er ist.
Ich war aber nicht seine Marionette, er konnte mich nicht die ganze Zeit nach seinem Belieben herumschubsen und mir alles befehlen!
,,Du behandelst mich in dem einen Moment wie Porzellan und im nächsten willst du, dass ich mich verteidigen kann. Du hast kein Recht dazu, mich wie deine persönliche Marionette her zu schubsen!"
Ich sah nicht einmal ein, meinen Blick von ihm abzuwenden. Ich war verdammt sauer auf ihn und das zurecht. Mit seinen grünen Augen sah er mir geradewegs in meine, forschend und aufmerksam. Als er nichts sagte, sprach ich weiter.
,,Ich fühle mich hier einfach verarscht, Hunter. Ich habe keine Ahnung von all dem hier! Ich bin aus einem verdammten Koma aufgewacht und weiß nicht, was hier um mich herum passiert!" Um nicht in Tränen vor Wut auszubrechen, ließ ich mich zurückfallen und sah an die Decke.
,,Natürlich weißt du, was hier los ist, ihr wurdet doch in den Schulen darüber unterrichtet, als wir hier draußen ...gelebt haben."
Das Zögern in seiner Stimme brachte mich runter. Ich war nicht die einzige, die viel durchgemacht hatte. Verdammt, ich war so verdammt egoistisch!
Ich setzte mich mit zusammengezogenen Augenbrauen auf und sah, dass er sich gerade abwandte. ,,Wo gehst du hin?", fragte ich ihn.
,,Zu den Autos, wir treffen uns dort in Zehn Minuten." Ich hasse diese bestimmte Seite an ihm auf eine Art und Weise.
Natürlich stand er lässig angelehnt an einem der teuren Autos in einem matt-schwarz und sah nachdenklich aus dem großen Panorama Fenster.
Zögerlich lief ich auf ihn zu. Ich fühlte mich schlecht dafür, dass ich ihm meine Meinung gesagt hatte. Daher fing ich erst im letzten Moment das auf, was er mir zuwarf. Den Autoschlüssel für den Wagen.
,,Du lässt mich fahren?", fragte ich ihn verwirrt.
Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, als er an mir vorbei lief und entspannt zu der Beifahrertür lief. ,,Was ist? Schließt du auf oder nicht?"
Schnell drückte ich den Knopf und setzte mich kurz darauf hinter das Steuer. Als ich aus der Garage fuhr, blieb ich jedoch wieder stehen.
,,Wohin.. ehm." Peinlich berührt sah ich zu Hunter, der komplett entspannt wirkte. ,,Links lang." Auch wenn ich ihm noch nicht vertraute, tat ich einfach das, was er mir sagte.
Nur einmal. Immerhin bekommt man das Vertrauen einer Person nicht geschenkt. Während der Fahrt und den recht kurzen Anweisungen von Hunter, wo ich langfahren sollte, ging die Sonne unter.
Die knallpinken Wolken und der orangene Himmel ließen die Welt so harmlos aussehen. Als wäre all das niemals passiert. Doch wäre das nicht passiert, was wäre dann? Hätte ich weiter mein trostloses Leben gelebt? Wäre ich irgendwann ausgezogen?
Hunter schien von meinen Gedanken glücklicherweise nichts zu merken, denn er dirigierte mich weiter durch verschneite Landschaften und dichte Wälder, bis wir an einer Klippe zum Stehen kamen.
Dort stand bereits ein schwarzer Jeep, lange schien er jedoch noch nicht dort zu sein. Als Hunter ausstieg tat ich es ihm, wenn auch zögernd nach. ,,Was genau hast du jetzt vor?", fragte ich ihn.
,,Ich möchte dich kennenlernen, Elisa. Und ich möchte dich um etwas bitten.", erklärte er und sah mir direkt in meine Augen. ,,Und was wäre das?", fragte ich nach.
,,Das hier habe ich schon etwas länger geplant, nur wusste ich nicht, dass du das Mädchen sein würdest. Du hast viel durchgemacht, wie wir alle und das einzige worum ich dich heute Abend bitte ist, dass du heute keine Vorurteile hast. Ich bin wer ich bin, so wie du bist wer du bist."
Ich hätte vieles darauf antworten können. Dass es kein Vorurteil, sondern nur die Wahrheit war, dass er ein gigantisch großer und gefährlicher Werwolf war, dass ich einfach nur verstehen wollte, was in dieser grotesken Welt los war. Aber das einzige was ich tat, war nicken.
Langsam lief ich weiter auf ihn zu und erblickte so die Aussicht über alle im Umkreis von zwanzig Kilometern, eingetaucht in absolut wunderschönes und kitschiges Licht. ,,Wow.", formte ich stumm mit meinem Mund.
Ich wollte mich zu Hunter umdrehen, doch er war nicht da. ,,Hunter?", rief ich und entdeckte eine Bewegung auf der Ladefläche des Jeeps. Beim näheren Hinsehen sah ich ihn, wie er Decken und Kissen auf dieser ausbreitete. Er machte sich tatsächlich diese ganze Mühe wegen mir. Ich bemühte mich, nicht allzu dämlich zu grinsen oder rot zu werden. So etwas hatte noch nie jemand für mich getan.
,,Elisa?" Ruckartig schreckte ich aus meinen Gedanken und griff schnell nach der Hand, die Hunter mir reichte. Sobald seine meine Hand umschloss, zogen sich kleine kribbelnde Stromschläge durch meinen Arm.
Mit einem Ruck zog er mich auf die Ladefläche wo ich zu allererst gegen Hunters breite Brust knallte. Mein Atem stockte und ich war kurz davor, mich zu verschlucken. Eine peinliche Stille breitete sich zwischen uns aus und ich setzte mich schnell. Konzentrier dich, Elisa!
Für einen kurzen Moment stand Hunter einfach weiter da und starrte dorthin, wo ich bis gerade gestanden hatte, bis er sich schließlich neben mich setzte. Dabei berührten sich unsere Beine.
,,Ich habe nicht Schule geschwänzt oder so.", sprudelte es aus mir heraus, weshalb ich einen verwirrten Blick von Hunter erntete.
,,Die meisten sind scheinbar wirklich nach ein- bis zwei Monaten aus dem Koma aufgewacht, ich aber.. naja soweit ich das richtig rechnen kann, war ich zehn Monate im Koma. Das war alles so gruselig und fremd. Alles war heruntergekommen, niemand war da. Als ich auf dem Weg nach draußen eine Zeitung entdeckt hatte, habe ich erfahren, dass ein violetter Mond daran schuld war.", erzählte ich und umklammerte eines der Kissen.
Ohne irgendein Anzeichen des Zögerns legte Hunter einen Arm um mich und zog mich zu sich. ,,Als ich mich das erste Mal verwandelt hatte, sind all meine Knochen in meinem Körper gebrochen, es war wie die Hölle." Seine Stimme wurde mit jedem Wort tiefer und langsamer. Verächtlich lachte er auf.
,, Das nächste, an das ich mich erinnern kann ist, dass mich plötzlich jeder umbringen wollte. Auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt in einem Streetfight verwickelt war, war das noch etwas Anderes. Ich konnte die Angst in ihren Augen sehen, als sie mit allem versuchten, mich umzubringen. In meiner eigenen Angst brachte ich selber welche um, bevor ich abhauen konnte und mich in einer alten Ruine versteckte. Adrian und Violet fanden mich mehrere Tage später."
Danach blieben wir beide still. Was sollte man dazu auch sagen?
,,Und ich verstehe selber nicht wieso, Elisa aber du bedeutest mir alles. In meinen Augen bist du der Mond, der selbst in den dunkelsten Stunden über mich wacht und mir alles gibt, in dem er einfach da ist."
Mein Herz schlug so schnell wie noch nie. Ich sah zu ihm hoch. Während sich die letzten Strahlen der Sonne in seinen Augen spiegelten, versuchte ich ihm mit einem Blick zu zeigen, wie viel mir diese Worte bedeuteten. Ohne darüber nachzudenken, küsste ich ihn zaghaft auf seine Wange.
,,Danke.", hauchte ich, bevor ich meinen Kopf an seine Schulter lehnte und in meinem Herzen ein Sturm wütete.
Hunter umfasste mich etwas fester. ,,Gerne."
Ich hatte Gefühle für ihn und er für mich und ich hatte keine Ahnung, ob mich das glücklich machen- oder ich deshalb Angst haben sollte.

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Vollmond total - Violett
Werewolf▪️ 1. Teil der Vollmond Reihe▪️ Unwissen kann dich umbringen. Elisa fürchtet sich davor. Hunter scheint dieses Wort nicht in seinem Wortschatz zu haben.