|Three Colours|

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,,Werwölfe sind mächtige mythische Wesen, deren einzige Schwachstelle Silber ist. Sie sind übermenschlich stark und schnell.", las ich halblaut und klappte dann seufzend das Buch zu. Mich würde wirklich mal interessieren, wann und wie die das mit dem Silber rausgefunden hatten.

Ich fuhr mir mit meinen Händen einmal durch mein Gesicht. Dass war leider trotz allem nichts, was ich nicht selber schon herausgefunden hatte oder wusste. Die Tür zum Dach wurde mit einem kräftigen Stoß aufgemacht. ,,Nachschub an Büchern!", rief Violet begeistert und trug mühelos mindestens 40 Bücher auf ihren Armen.

Eindeutig war ich froh, ein Mensch geblieben zu sein, aber das war wirklich beneidenswert... Übermenschliche Stärke, hätte ich diese, dann hätte ich mich früher gegen Natalie wehren können. Doch die Vergangenheit konnte ich trotz allem nicht ändern.

Seitdem Hunter und ich diesen ,Deal' gemacht hatten, hatte er mir grinsend einen Kuss auf die Wange gedrückt und war dann nach draußen verschwunden, zum Training wie ich von hier oben sehen konnte. Allesamt standen sie in dem tiefen Schnee und sahen zu ihm und Adrian, die zeigten, wie man sich aus einem bestimmten Griff lösen konnten.

Adrian hielt Hunter im Schwitzkasten fest, Hunter zeigte den anderen Schritt für Schritt, wie sie sich aus diesem befreien konnten. Dabei trug er wie alle anderen auch Shirt und Jogger. Kalt war ihnen wirklich nicht im Gegensatz zu mir.

Das in Filz gebundene Buch mit der seltsamen Überschrift lag neben mir. Violet stellte die Bücher auf meiner anderen Seite ab und setzte sich neben mich. ,,Euch Werwölfen wird wirklich nicht kalt, oder?", fragte ich sie, als ich bereits nach dem nächsten Buch griff.

,,Nicht wirklich, nein.", meinte sie schulterzuckend und mit einem kleinen Grinsen. Auch sie trug ein einfaches Top und Shorts, woraus ich schloss, dass sie gerade erst aufgestanden war, obwohl es bereits Mittag war.

,,Kaffee?" Fragend hielt ich Violet, die laut gähnte meine Tasse entgegen, die sie dankend annahm. Während sie den Inhalt in einem Zug leerte, blätterte ich durch das Buch. ,,Meine Rettung. Die Nachtpatrouillen sind wirklich immer die Schlimmsten.", sagte sie und stieß mir nicht einmal eine Sekunde später mit ihrem Ellbogen in die Rippen.

,,Hmm." Ich hob meinen Kopf und sah zu Violet, die auf den Trainingsplatz deutete. Von dort aus sah Hunter direkt zu mir hoch und sah mich neckisch lächelnd an. Adrien und die restlichen Werwölfe hatten sich in Teams aufgeteilt und übten nun das, was Hunter und Adrien ihnen gezeigt hatten.

Ich erwiderte seinen Blick für einen Moment, bevor ich meinen Blick abwand und nach dem nächsten Buch von dem Stapel griff, den Violet hochgetragen hatte. ,,Vollmond Hexen.", murmelte ich halblaut das Wort, welches in alter Handschrift auf dem vergilbten Papier in meiner Hand stand.

Violet zog fragend ihre Augenbrauen zusammen, als ich das Buch schloss und anhand des Covers sah, dass dieses Buch um einiges älter war, als die Wende der Menschheit durch den violetten Mond.

,,18. Jahrhundert. Sie machen den Dorfbewohnern Angst und doch traut sich keiner, ihnen das Handwerk zu legen. Es ist beängstigend, ihre Haarfarben sind beängstigend, sie sind beängstigend. Violett wie der Amethyst, rot wie Glut und Gold wie edler Bernstein, so sind ihre Haarfarben. Der Mond verhält sich seit ihrer Ankunft seltsam, möglicherweise haben sie eine Bindung zu ihm? Sie werden uns alle in das Verderben schicken! Wir ließen sie töten, sie schworen Rache an der Menschheit, die sie verraten hat. Es-"

Doch ab dort war der restliche Teil der Seite herausgerissen worden. Ich sah zu Violet und nickte auf ihren fragenden Gesichtsausdruck hin. ,,Violett wie der Amethyst, Mond verhält sich seltsam. Entweder bin ich einfach verrückt oder es gibt Dinge, die über unseren Horizont hinausgehen."

Mein Blick wanderte zu dem violetten, verschlossenen Buch. ,,Wenn du die Wahrheit wissen willst Luna, dann musst du dieses Buch öffnen.", sagte Violet. Ich wollte wissen, was dort drinstand. Um jeden Preis.

Die nächsten Tage zogen wie ein kalter Windstoß an mir vorbei. Vormittags trainierte ich für mich selber im hinteren Teil des Trainingsplatzes, während ich nachmittags ein Buch nach dem anderen verschlang. Neben mir lag dabei stets das verschlüsselte Buch.

,,Wieder am Lesen?", fragte ein gut gelaunter Hunter und setzte sich hinter mich, weshalb ich mich an ihn lehnte. Dabei legte er seinen Kopf auf meine Schulter um zu sehen, was ich las. Die kleinen Nebelwolken die er ausstieß vermischten sich mit meinen und flogen ständig vor meinem Gesicht herum.

,,Du vernebelst mir die Sicht, Hunter.", meinte ich konzentriert und realisierte erst zu spät, was ich da sagte. Hunter stieß ein tiefes Lachen aus, was leicht an meinem Rücken vibrierte und meine Wangen färbten sich rot.

,,Ist das so?", fragte er, noch immer leicht glucksend. Nun musste auch ich schmunzeln. ,,Du weißt, was ich meine." Es war bereits spät und seit mittlerweile zwei Wochen wusste ich nicht mehr als davor. Ich war frustriert.

Laut klappte ich das Buch zu und seufzte. Hunter stand auf und reichte mir seine Hand, die ich ergriff. Die Wärme die er ausstrahlte war wirklich unglaublich. Er zog mich hoch und nahm mir das Buch ab.

,,Genug gelesen für heute, immerhin hast du zwei Wochen lang nichts anderes gemacht." Sein starker Geruch nach Kiefer und Minze verriet mir, dass er scheinbar selbst bis vor kurzem im Wald gewesen sein musste.

,,Wo warst du den ganzen Tag?", fragte ich ihn deshalb, als wir die Treppen runter und zu seinem Zimmer liefen. ,,Im Wald mit Adrian und den Zwillingen. Je mehr wir trainieren, desto sicherer werden wir." Es war einer der wenigen Momente, in denen er mir zeigte, dass es auch für ihn nicht leicht war.

Er und der Rest des Rudels waren zum Teil Mensch und zum anderen Teil gigantische Werwölfe, die jetzt nicht mehr nach einer Demokratie, sondern hauptsächlich nach Hunters Regeln lebten. Das war nicht einfach.

Doch obwohl Hunter und ich so unterschiedlich waren, hatten wir etwas gefunden, was wir gleichermaßen aus unterschiedlichen Gründen mochten. Schach spielen. Die letzten Abende so wie in jetzt auch stellten wir die weißen und schwarzen Figuren auf das Feld.

Seine Farbe war weiß, meine schwarz. Für uns war es etwas Symbolisches, denn das schwarz bedeutete nicht Dunkelheit und das Weiß nicht Licht. Für mich bedeuteten die dunklen Figuren auf dem Feld Unsichtbarkeit und Unterschiede, während Hunter die weißen Figuren vorzog, weil diese für ihn die Hoffnung bedeuteten.

Während wir die Figuren über das Feld schoben, redeten wir viel. Ich erfuhr, dass er eine wirklich schöne Kindheit gehabt hatte und diese Streetfights ein Akt seiner Ich-höre-nicht-auf-meine-Eltern-Rebellion waren, er aber froh war, dass seine Eltern seine Verwandlung nicht gesehen hatten.

Ich erzählte ihm von meiner Kindheit und von Natalie, dabei fragte ich mich oft selbst, ob ich ihr jemals meine Meinung gesagt hätte. Vermutlich hätte es nichts geändert.

,,Schachmatt.", sagte ich und rückte die letzte Figur, was mir einen zufriedenen Blick von Hunter einbrachte. ,,Gut gemacht.", lobte er mich und lächelte.

Vollmond total - ViolettWo Geschichten leben. Entdecke jetzt