Aurora
Ich konnte nicht anders, als ein kurzes Déjà-vu zu haben. Vor allem in Kombination mit dem Traum, den ich diese Nacht gehabt hatte.
Ja, dass mein Blut nicht dunkelrot war, das war ein Mysterium. Und das meiner Mutter, rief ich mir ins Gedächtnis.Bis zu meinem vierten Lebensjahr hatte ich gedacht, dass das Blut jedes Menschen genau gleich war wie meines. Ich hatte diesbezüglich nie Zweifel verspürt.
Nämlich, dass das Blut jedes Menschen die Farbe von Bernstein hatte: Eine honigfarbene Substanz, welche in der Sonne leicht schimmerte. Als ich daraufhin völlig verstört über mein neues Wissen, dass nicht alle Menschen bernsteinfarbenes Blut hatten, Zuhause meine Mutter darauf ansprach, antwortete sie mit einer strengen Stimme, die kein Widerspruch erduldete: «Halte dich von den Menschen aus dem Dorf fern.»
Doch ich war ein kleines Kind gewesen, hatte noch nicht einmal mein fünftes Lebensjahr erreicht und war voller Neugierde gewesen. Meine Mutter hatte etwas Furchteinflössendes für mich, schon seit ich denken konnte und wahrscheinlich auch vorher, aber das konnte mich nicht daran hindern, mit meinen kindlichen Nachforschungen zu versuchen, der Ursache auf den Grund zu gehen.Immer wieder war ich ins Dorf geschlichen, das einige Kilometer abseits von unserem Haus lag, um die Menschen dort zu beobachten. Ich war immer davon ausgegangen, dass meine Mutter und ich die Ausserirdischen auf diesem Planeten waren, dass wir eigentlich Bewohner der Sonne oder des Mondes waren. Was hätte ich auch anderes denken können?
Nie wäre mir in den Sinn gekommen, dass wir vielleicht die Gewöhnlichen waren. Oder zumindest gewesen waren.Doch meine Motivation für Nachforschungen war bald zu einem jähen Ende gekommen. Gerade hatte ich mich hinter einem Baum versteckt und die anderen Kinder beim Spielen beobachtet. Ich wusste nicht, was ich damit bezwecken wollte. Mehr über die fremde Spezies und ihre Verhaltensweise herausfinden? Wahrscheinlich hatte ich einfach gar nicht nachgedacht.
Es war ein regnerischer Tag gewesen, die Erde unter meinen Füssen war weich gewesen und so dauerte es nicht lange, bis ich ausrutschte und den Hang hinunterfiel. Und ja, es war ein Zufall, dass es in jeder meiner Geschichten darum ging, dass irgendjemand irgendwie fiel. Jedenfalls war ich sprichwörtlich vor die anderen Kinder in den Dreck hingefallen, eingehüllt in eine dicke Schicht von Schlamm. Ich erhob mich und schaute die anderen an, durch den Regen und den Haaren, welche vor meinen Augen klebten, war es schwer, eine klare Sicht zu erlangen, jedoch konnte ich aber doch sofort erkennen, dass sie mich aus einer Mischung aus Angst und Ekel anstarrten. Und der Ekel kam nicht daher, dass ich in Dreck gehüllt war.
Wahrscheinlich waren sie selber darauf gekommen, dass das, was dazumal auf meiner Stirn und meinen Armen geklebt hatte, nicht Dreck gewesen war, zumal ich so komisch auf das rote Blut reagiert hatte. Ich fühlte mich zutiefst verletzt, so angeschaut zu werden, als ob es mich zu einem Monster machen würde, weil mein Blut anders war als das ihre.Kurz darauf öffnete sich eine Tür, gleich neben uns und die Mutter eines der Kinder trat heraus. Wahrscheinlich wollte sie nur rufen, dass sie sofort Nachhause kommen und nicht in diesem Regen weiterspielen sollten, aber als sie uns, oder genauer gesagt, mich erblickte, verschlug es ihr die Sprache. Sofort wusste ich, dass sie erkannte, wer ich war.
Panisch sagte sie:
«Geht alle ganz schnell zurück zu eurem Haus. Was habe ich euch schon gesagt? Bleibt weg von diesem... Hexenkind.»
Die Kinder verstreuten und ich blieb alleine zurück. Die Mutter warf mir noch einen hasserfüllten Blick zu und sagte:
«Bleib gefälligst weg von unserem Dorf. Du hast hier nichts zu suchen.»
Mit einem lauten Krachen fiel die Tür hinter ihr ins Schloss. Nun stand ich draussen, verwirrt, ängstlich und gedemütigt. Der Regen prasselte unaufhörlich auf mich nieder.Ich blinzelte einige Male und anstelle von Regen sah ich, wie kleine Schneeflocken langsam den Himmel hinab schwebten. Seit diesem grauenhaften Tag hatte ich das Dorf nicht mehr betreten. Abgesehen von meiner Mutter hatte ich keinen menschlichen Kontakt mehr. Und auch das liess sich nicht wirklich als einen Kontakt zählen. Es war nicht so, als ob meine Neugierde über meine Herkunft und der Grund für unsere Blutfarbe gestillt worden war, aber mit der Zeit hatte ich mich einfach irgendwie damit abgefunden, nie zu erfahren, woher ich abstammte. Ich richtete mich auf und rieb mir über die Augen, um vollends aus meinen Tagträumereien aufzuwachen und um den feinen Tränenschleier, welcher sich auf meinen Augen gebildet hatte, wegzuwischen.
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Amber - Das Erwachen
FantasyNach dem Überfall auf ihr Haus wird Aurora ins Lager der Amalintas - der Beschützer der Welt - gebracht. Es stellt sich heraus, dass Auroras Blut, genau wie das Blut der Amalintas, die Farbe von Bernstein hat, was ihnen übernatürliche Kräfte verleih...